wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen, denn die Schlange österreichische Poli¬ zei liegt davor gelagert, und schreckt mich mit giftigen Augen zurück -- dort, die Son¬ ne war untergegangen, das Abendroth über¬ flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬ len des Lichtes schlugen über den felsigen Mann und verklärten den ewig Grauen -- und vielleicht kam Werthers Geist über ihn, und dann fühlte er, daß er noch ein Herz habe, daß es eine Menschheit gebe um ihn, einen Gott über ihm, und dann erschrak er wohl über den Schlag seines Herzens, ent¬ setzte sich über den Geist seiner gestorbenen Jugend; die Haare standen ihm zu Berge, und da, in seiner Todesangst, "nach gewohn¬ ter Weise, um alle Betrachtungen loszuwer¬ den" -- -- verkroch er sich in einen ge¬ borstenen Schafs-Schädel und hielt sich da versteckt, bis wieder Nacht und Kühle
wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen, denn die Schlange oͤſterreichiſche Poli¬ zei liegt davor gelagert, und ſchreckt mich mit giftigen Augen zuruͤck — dort, die Son¬ ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬ flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬ len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen Mann und verklaͤrten den ewig Grauen — und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn, und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn, einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬ ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge, und da, in ſeiner Todesangſt, „nach gewohn¬ ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬ den“ — — verkroch er ſich in einen ge¬ borſtenen Schafs-Schaͤdel und hielt ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0046"n="32"/>
wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen,<lb/>
denn die Schlange <hirendition="#g">oͤſterreichiſche Poli¬<lb/>
zei</hi> liegt davor gelagert, und ſchreckt mich<lb/>
mit giftigen Augen zuruͤck — dort, die Son¬<lb/>
ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬<lb/>
flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬<lb/>
len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen<lb/>
Mann und verklaͤrten den ewig Grauen —<lb/>
und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn,<lb/>
und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz<lb/>
habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn,<lb/>
einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er<lb/>
wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬<lb/>ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen<lb/>
Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge,<lb/>
und da, in ſeiner Todesangſt, „nach gewohn¬<lb/>
ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬<lb/>
den“—— verkroch er ſich in einen <hirendition="#g">ge¬<lb/>
borſtenen Schafs-Schaͤdel</hi> und hielt<lb/>ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[32/0046]
wende, doch nicht wage ihm nahe zu kommen,
denn die Schlange oͤſterreichiſche Poli¬
zei liegt davor gelagert, und ſchreckt mich
mit giftigen Augen zuruͤck — dort, die Son¬
ne war untergegangen, das Abendroth uͤber¬
flutete Meer und Land, und die Purpurwel¬
len des Lichtes ſchlugen uͤber den felſigen
Mann und verklaͤrten den ewig Grauen —
und vielleicht kam Werthers Geiſt uͤber ihn,
und dann fuͤhlte er, daß er noch ein Herz
habe, daß es eine Menſchheit gebe um ihn,
einen Gott uͤber ihm, und dann erſchrak er
wohl uͤber den Schlag ſeines Herzens, ent¬
ſetzte ſich uͤber den Geiſt ſeiner geſtorbenen
Jugend; die Haare ſtanden ihm zu Berge,
und da, in ſeiner Todesangſt, „nach gewohn¬
ter Weiſe, um alle Betrachtungen loszuwer¬
den“ — — verkroch er ſich in einen ge¬
borſtenen Schafs-Schaͤdel und hielt
ſich da verſteckt, bis wieder Nacht und Kuͤhle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/46>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.