Man stellte sich, als habe man Furcht, um bei den Bürgern Furcht zu erregen. Man ließ die bewaffnete Macht auf den Straßen toben. Schrecken verbreitete sich. Die Läden wurden geschlossen. Das wollte man. Die Kaufleute, die gerade um diese Weihnacht-Zeit mehr ver¬ kaufen in einer Woche, als sonst in ganzen Monaten, sollten gegen die Männer der Frei¬ heit, der Bewegung, gegen die Unruhestifter murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der Rache ihres Krämer-Gottes, Casimir Perrier, überlassen. Bei solchem schändlichen, kleinlich tückischen Treiben der Staats-Gewalt -- kann man da Novellen schreiben? Nein. Ich verfaßte eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie keine früher; zehn Galgen hoch. Nicht diesen Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich niedergeschmettert. Ich hatte mich abgekühlt und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde ich beschämt! Ich kam bis auf den Boulevard
Man ſtellte ſich, als habe man Furcht, um bei den Buͤrgern Furcht zu erregen. Man ließ die bewaffnete Macht auf den Straßen toben. Schrecken verbreitete ſich. Die Laͤden wurden geſchloſſen. Das wollte man. Die Kaufleute, die gerade um dieſe Weihnacht-Zeit mehr ver¬ kaufen in einer Woche, als ſonſt in ganzen Monaten, ſollten gegen die Maͤnner der Frei¬ heit, der Bewegung, gegen die Unruheſtifter murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der Rache ihres Kraͤmer-Gottes, Caſimir Perrier, uͤberlaſſen. Bei ſolchem ſchaͤndlichen, kleinlich tuͤckiſchen Treiben der Staats-Gewalt — kann man da Novellen ſchreiben? Nein. Ich verfaßte eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie keine fruͤher; zehn Galgen hoch. Nicht dieſen Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich niedergeſchmettert. Ich hatte mich abgekuͤhlt und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde ich beſchaͤmt! Ich kam bis auf den Boulevard
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0326"n="312"/>
Man ſtellte ſich, als habe man Furcht, um bei<lb/>
den Buͤrgern Furcht zu erregen. Man ließ die<lb/>
bewaffnete Macht auf den Straßen toben.<lb/>
Schrecken verbreitete ſich. Die Laͤden wurden<lb/>
geſchloſſen. Das wollte man. Die Kaufleute,<lb/>
die gerade um dieſe Weihnacht-Zeit mehr ver¬<lb/>
kaufen in einer Woche, als ſonſt in ganzen<lb/>
Monaten, ſollten gegen die Maͤnner der Frei¬<lb/>
heit, der Bewegung, gegen die Unruheſtifter<lb/>
murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der<lb/>
Rache ihres Kraͤmer-Gottes, Caſimir Perrier,<lb/>
uͤberlaſſen. Bei ſolchem ſchaͤndlichen, kleinlich<lb/>
tuͤckiſchen Treiben der Staats-Gewalt — kann<lb/>
man da Novellen ſchreiben? Nein. Ich verfaßte<lb/>
eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie<lb/>
keine fruͤher; zehn Galgen hoch. Nicht dieſen<lb/>
Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich<lb/>
niedergeſchmettert. Ich hatte mich abgekuͤhlt<lb/>
und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde<lb/>
ich beſchaͤmt! Ich kam bis auf den Boulevard<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[312/0326]
Man ſtellte ſich, als habe man Furcht, um bei
den Buͤrgern Furcht zu erregen. Man ließ die
bewaffnete Macht auf den Straßen toben.
Schrecken verbreitete ſich. Die Laͤden wurden
geſchloſſen. Das wollte man. Die Kaufleute,
die gerade um dieſe Weihnacht-Zeit mehr ver¬
kaufen in einer Woche, als ſonſt in ganzen
Monaten, ſollten gegen die Maͤnner der Frei¬
heit, der Bewegung, gegen die Unruheſtifter
murren, und ihren Schmerz und ihren Zorn der
Rache ihres Kraͤmer-Gottes, Caſimir Perrier,
uͤberlaſſen. Bei ſolchem ſchaͤndlichen, kleinlich
tuͤckiſchen Treiben der Staats-Gewalt — kann
man da Novellen ſchreiben? Nein. Ich verfaßte
eine donnernde Zornrede, breit und erhaben wie
keine fruͤher; zehn Galgen hoch. Nicht dieſen
Perrier allein, alle Perriers Europa's hatte ich
niedergeſchmettert. Ich hatte mich abgekuͤhlt
und war zufrieden mit mir. Aber wie wurde
ich beſchaͤmt! Ich kam bis auf den Boulevard
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/326>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.