Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

sen auch in der Dummheit; ein Narrenhaus
ist mir lange nicht so erschrecklich, als ein ein¬
zelner verrückter Mensch. Glauben Sie mir
auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬
heiten, die seit dreitausend Jahren von den
Königen begangen worden sind, von Saul bis
auf Karl X., aber unsere gegenwärtige Zeit
ist reicher an Wahnsinn, als es jene dreitau¬
send Jahre waren. Wenn man alle fürstli¬
chen Paläste Europa's nebeneinander stellte, es
gäbe eine ganze Narren-Stadt. Täglich ver¬
mehren sich meine Nachrichten aus Deutschland,
daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬
theilen, wie eine Pastete; ja König Philipp
selbst soll ein Stück davon bekommen. Die al¬
ten Bourbons sollen die Schüssel mit der Kru¬
ste behalten. Die köstliche Naivität finde ich
nicht darin, daß sie glauben, es ausführen zu
können, sondern, daß sie glauben, wenn sie
das ausgeführt, wäre ihnen geholfen. Kindern

III. 14

ſen auch in der Dummheit; ein Narrenhaus
iſt mir lange nicht ſo erſchrecklich, als ein ein¬
zelner verruͤckter Menſch. Glauben Sie mir
auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬
heiten, die ſeit dreitauſend Jahren von den
Koͤnigen begangen worden ſind, von Saul bis
auf Karl X., aber unſere gegenwaͤrtige Zeit
iſt reicher an Wahnſinn, als es jene dreitau¬
ſend Jahre waren. Wenn man alle fuͤrſtli¬
chen Palaͤſte Europa's nebeneinander ſtellte, es
gaͤbe eine ganze Narren-Stadt. Taͤglich ver¬
mehren ſich meine Nachrichten aus Deutſchland,
daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬
theilen, wie eine Paſtete; ja Koͤnig Philipp
ſelbſt ſoll ein Stuͤck davon bekommen. Die al¬
ten Bourbons ſollen die Schuͤſſel mit der Kru¬
ſte behalten. Die koͤſtliche Naivitaͤt finde ich
nicht darin, daß ſie glauben, es ausfuͤhren zu
koͤnnen, ſondern, daß ſie glauben, wenn ſie
das ausgefuͤhrt, waͤre ihnen geholfen. Kindern

III. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="209"/>
&#x017F;en auch <choice><sic>iu</sic><corr>in</corr></choice> der Dummheit; ein Narrenhaus<lb/>
i&#x017F;t mir lange nicht &#x017F;o er&#x017F;chrecklich, als ein ein¬<lb/>
zelner verru&#x0364;ckter Men&#x017F;ch. Glauben Sie mir<lb/>
auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬<lb/>
heiten, die &#x017F;eit dreitau&#x017F;end Jahren von den<lb/>
Ko&#x0364;nigen begangen worden &#x017F;ind, von Saul bis<lb/>
auf Karl <hi rendition="#aq">X</hi>., aber un&#x017F;ere gegenwa&#x0364;rtige Zeit<lb/>
i&#x017F;t reicher an Wahn&#x017F;inn, als es jene dreitau¬<lb/>
&#x017F;end Jahre waren. Wenn man alle fu&#x0364;r&#x017F;tli¬<lb/>
chen Pala&#x0364;&#x017F;te Europa's nebeneinander &#x017F;tellte, es<lb/>
ga&#x0364;be eine ganze Narren-Stadt. Ta&#x0364;glich ver¬<lb/>
mehren &#x017F;ich meine Nachrichten aus Deut&#x017F;chland,<lb/>
daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬<lb/>
theilen, wie eine Pa&#x017F;tete; ja Ko&#x0364;nig Philipp<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;oll ein Stu&#x0364;ck davon bekommen. Die al¬<lb/>
ten Bourbons &#x017F;ollen die Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el mit der Kru¬<lb/>
&#x017F;te behalten. Die ko&#x0364;&#x017F;tliche Naivita&#x0364;t finde ich<lb/>
nicht darin, daß &#x017F;ie glauben, es ausfu&#x0364;hren zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern, daß &#x017F;ie glauben, <hi rendition="#g">wenn</hi> &#x017F;ie<lb/>
das ausgefu&#x0364;hrt, wa&#x0364;re ihnen geholfen. Kindern<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">III</hi>. 14<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0223] ſen auch in der Dummheit; ein Narrenhaus iſt mir lange nicht ſo erſchrecklich, als ein ein¬ zelner verruͤckter Menſch. Glauben Sie mir auf mein ehrliches Wort: ich kenne alle Toll¬ heiten, die ſeit dreitauſend Jahren von den Koͤnigen begangen worden ſind, von Saul bis auf Karl X., aber unſere gegenwaͤrtige Zeit iſt reicher an Wahnſinn, als es jene dreitau¬ ſend Jahre waren. Wenn man alle fuͤrſtli¬ chen Palaͤſte Europa's nebeneinander ſtellte, es gaͤbe eine ganze Narren-Stadt. Taͤglich ver¬ mehren ſich meine Nachrichten aus Deutſchland, daß man den Plan gefaßt, Frankreich zu ver¬ theilen, wie eine Paſtete; ja Koͤnig Philipp ſelbſt ſoll ein Stuͤck davon bekommen. Die al¬ ten Bourbons ſollen die Schuͤſſel mit der Kru¬ ſte behalten. Die koͤſtliche Naivitaͤt finde ich nicht darin, daß ſie glauben, es ausfuͤhren zu koͤnnen, ſondern, daß ſie glauben, wenn ſie das ausgefuͤhrt, waͤre ihnen geholfen. Kindern III. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/223
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/223>, abgerufen am 25.11.2024.