sie ihre Beute festhält und die Beute sie. Die Poesie macht keinen Fürsten satt, und hat er ein schwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann, wird er selbst schwach werden. Der König von Baiern siehet zu weit. Solche Fürsten sind wie die Augen, sie zucken mit den Wimpern, sobald nur ein Stäubchen von Gefahr sich ihnen nähert, und wäh¬ rend der Sekunde, daß sie die Augen verschließen, werden sie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch be¬ kümmern wir uns um keine Fürsten, sie haben nichts zu verantworten. Es ist eine Krankheit, einen König haben, es ist eine schlimmere, einer seyn. Wir wol¬ len sie heilen und nicht hassen. Ihre heillosen Rath¬ geber, die müssen wir bekämpfen.
-- Von welch einem erhabenen Schauspiele kehre ich eben zurück! und welch eine Stadt ist die¬ ses Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich ihre Wunder feil bieten! Ich stand auf dem höch¬ sten Gipfel des menschlichen Geistes, und übersah von dort das unermeßliche Land seines Wissens und seiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des mensch¬ lichen Gebietes, da wo die Herrschaft der Götter be¬ ginnet -- ich habe eine Seeschlacht gesehen. Der Himmel war blau wie an Feiertagen, und mit der schönsten Sonne geschmückt. Das Meer schlummerte und athmete sanft und ward nur von Zeit zu Zeit
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ſie ihre Beute feſthält und die Beute ſie. Die Poeſie macht keinen Fürſten ſatt, und hat er ein ſchwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann, wird er ſelbſt ſchwach werden. Der König von Baiern ſiehet zu weit. Solche Fürſten ſind wie die Augen, ſie zucken mit den Wimpern, ſobald nur ein Stäubchen von Gefahr ſich ihnen nähert, und wäh¬ rend der Sekunde, daß ſie die Augen verſchließen, werden ſie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch be¬ kümmern wir uns um keine Fürſten, ſie haben nichts zu verantworten. Es iſt eine Krankheit, einen König haben, es iſt eine ſchlimmere, einer ſeyn. Wir wol¬ len ſie heilen und nicht haſſen. Ihre heilloſen Rath¬ geber, die müſſen wir bekämpfen.
— Von welch einem erhabenen Schauſpiele kehre ich eben zurück! und welch eine Stadt iſt die¬ ſes Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich ihre Wunder feil bieten! Ich ſtand auf dem höch¬ ſten Gipfel des menſchlichen Geiſtes, und überſah von dort das unermeßliche Land ſeines Wiſſens und ſeiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des menſch¬ lichen Gebietes, da wo die Herrſchaft der Götter be¬ ginnet — ich habe eine Seeſchlacht geſehen. Der Himmel war blau wie an Feiertagen, und mit der ſchönſten Sonne geſchmückt. Das Meer ſchlummerte und athmete ſanft und ward nur von Zeit zu Zeit
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ſie ihre Beute feſthält und die Beute ſie. Die
Poeſie macht keinen Fürſten ſatt, und hat er ein
ſchwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann,
wird er ſelbſt ſchwach werden. Der König von
Baiern ſiehet zu weit. Solche Fürſten ſind wie die
Augen, ſie zucken mit den Wimpern, ſobald nur ein
Stäubchen von Gefahr ſich ihnen nähert, und wäh¬
rend der Sekunde, daß ſie die Augen verſchließen,
werden ſie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch be¬
kümmern wir uns um keine Fürſten, ſie haben nichts
zu verantworten. Es iſt eine Krankheit, einen König
haben, es iſt eine ſchlimmere, einer ſeyn. Wir wol¬
len ſie heilen und nicht haſſen. Ihre heilloſen Rath¬
geber, die müſſen wir bekämpfen.
— Von welch einem erhabenen Schauſpiele
kehre ich eben zurück! und welch eine Stadt iſt die¬
ſes Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich
ihre Wunder feil bieten! Ich ſtand auf dem höch¬
ſten Gipfel des menſchlichen Geiſtes, und überſah
von dort das unermeßliche Land ſeines Wiſſens und
ſeiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des menſch¬
lichen Gebietes, da wo die Herrſchaft der Götter be¬
ginnet — ich habe eine Seeſchlacht geſehen. Der
Himmel war blau wie an Feiertagen, und mit der
ſchönſten Sonne geſchmückt. Das Meer ſchlummerte
und athmete ſanft und ward nur von Zeit zu Zeit
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/97>, abgerufen am 15.08.2024.
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