Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.kein Gesang zu nennen, wenn man es mit dem der -- Vorgestern habe ich mich im Gymnase kein Geſang zu nennen, wenn man es mit dem der — Vorgeſtern habe ich mich im Gymnaſe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="72"/> kein Geſang zu nennen, wenn man es mit dem der<lb/> Italiener vergleicht. Liegt es in dem, was die Na¬<lb/> tur oder in dem was die Kunſt gibt? Fehlt es ih¬<lb/> nen an Stimme oder an Vortrag.</p><lb/> <p>— Vorgeſtern habe ich mich im <hi rendition="#g">Gymnaſe<lb/> Dramatique</hi> nach den Geſetzen der Natur und<lb/> nach den Regeln der Kunſt zugleich gelangweilt —<lb/> als gewöhnlicher Zuſchauer aus Neigung, als Kri¬<lb/> tiker aus Pflicht. Man gab drei Stücke, alle drei<lb/> von Scribe. <hi rendition="#aq #g">Zoé,</hi> <hi rendition="#aq">ou l’amant prêté; les</hi> <hi rendition="#aq #g">trois<lb/> maîtresses</hi> <hi rendition="#aq">ou une cour d'Allemagne;</hi> <hi rendition="#aq #g">la fa¬<lb/> mille Biquebourg,</hi> <hi rendition="#aq">ou le mariage mal as¬<lb/> sorti</hi>. Ich hätte nie gedacht, daß der liebenswürdige<lb/> Scribe ſo ein verdrießlicher Menſch ſeyn könnte.<lb/> Die <hi rendition="#aq">troi maîtresses</hi> lockten mich, weil ich hörte, es<lb/> käme eine deutſche Revolution darin vor. Eine deut¬<lb/> ſche Revolution! Ich dachte nichts Drolligeres<lb/> könne es geben auf der Welt. Aber die Revolution<lb/> hat mich geprellt, freilich viel erträglicher als andere<lb/> — nur um einige Franken. Die neueſte Zeit wurde<lb/> in eine alte Liebesgeſchichte geworfen, wie Salz in<lb/> die Schüſſel. Wenn aber das Eſſen nichts taugt,<lb/> macht es das Salz nicht beſſer. Eine franzöſiſche<lb/> Komödie iſt wie ein ewiger Kalender; ein kleiner<lb/> Ruck mit dem Finger, und aus Juli wird Auguſt,<lb/> und aus 1830 1831. Der Rahmen von Pappe<lb/> bleibt immer der nehmliche. Ein glückliches Volk die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0086]
kein Geſang zu nennen, wenn man es mit dem der
Italiener vergleicht. Liegt es in dem, was die Na¬
tur oder in dem was die Kunſt gibt? Fehlt es ih¬
nen an Stimme oder an Vortrag.
— Vorgeſtern habe ich mich im Gymnaſe
Dramatique nach den Geſetzen der Natur und
nach den Regeln der Kunſt zugleich gelangweilt —
als gewöhnlicher Zuſchauer aus Neigung, als Kri¬
tiker aus Pflicht. Man gab drei Stücke, alle drei
von Scribe. Zoé, ou l’amant prêté; les trois
maîtresses ou une cour d'Allemagne; la fa¬
mille Biquebourg, ou le mariage mal as¬
sorti. Ich hätte nie gedacht, daß der liebenswürdige
Scribe ſo ein verdrießlicher Menſch ſeyn könnte.
Die troi maîtresses lockten mich, weil ich hörte, es
käme eine deutſche Revolution darin vor. Eine deut¬
ſche Revolution! Ich dachte nichts Drolligeres
könne es geben auf der Welt. Aber die Revolution
hat mich geprellt, freilich viel erträglicher als andere
— nur um einige Franken. Die neueſte Zeit wurde
in eine alte Liebesgeſchichte geworfen, wie Salz in
die Schüſſel. Wenn aber das Eſſen nichts taugt,
macht es das Salz nicht beſſer. Eine franzöſiſche
Komödie iſt wie ein ewiger Kalender; ein kleiner
Ruck mit dem Finger, und aus Juli wird Auguſt,
und aus 1830 1831. Der Rahmen von Pappe
bleibt immer der nehmliche. Ein glückliches Volk die
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