Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.-- Ich habe Heine's vierten Band in einem — Ich habe Heine's vierten Band in einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0060" n="46"/> <p>— Ich habe Heine's vierten Band in einem<lb/> Abende mit der freudigſten Ungeduld durchgeleſen.<lb/> Meine Augen, die Windſpiele meines Geiſtes, liefen<lb/> weit voraus und waren ſchon am Ende des Buches,<lb/> als ihr langſamer Herr erſt in der Mitte war. Das<lb/> iſt der wahre Dichter, der Günſtling der Natur, der<lb/> alles kennt, was ſeine Gebieterin dem Tage Häßli¬<lb/> ches, was ſie ihm Schönes verbirgt. Auch iſt Heine,<lb/> als Dichter, ein gründlicher Geſchichtsforſcher. Doch<lb/> verſtecken Sie meinen Brief in den dunkelſten Schrank;<lb/> denn läſe ein hiſtoriſcher Profeſſor, was ich ſo eben<lb/> geſchrieben, er ließe mich todt ſchlagen, auf ſeiner<lb/> eigenen oder einer andern Univerſität — ob zwar die<lb/> deutſchen <hi rendition="#g">Heeren</hi> keine Freunde vom Todtſchlagen<lb/> ſind, weder vom aktiven noch vom paſſiven, wie man<lb/> neulich in Göttingen geſehen. Diesmal hat der<lb/> Stoff Heine ernſter gemacht, als er ſonſt den Stoff,<lb/> und wenn er auch noch immer mit ſeinen Waffen<lb/> ſpielt, ſo weiß er doch auch mit Blumen zu fechten.<lb/> Das Buch hat mich gelabt wie das Murmeln einer<lb/> Quelle in der Wüſte, es hat mich entzückt wie eine<lb/> Menſchenſtimme von oben, wie ein Lichtſtrahl den le¬<lb/> bendig Begrabenen entzückt. Das Grab iſt nicht<lb/> dunkler, die Wüſte iſt nicht dürrer als Deutſchland.<lb/> Was ein ſeelenloſer Wald, was ein todter Felſen<lb/> vermag: uns das eigne Wort zurückzurufen — nicht<lb/> einmal dazu kann das blöde Volk dienen. Kann man<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0060]
— Ich habe Heine's vierten Band in einem
Abende mit der freudigſten Ungeduld durchgeleſen.
Meine Augen, die Windſpiele meines Geiſtes, liefen
weit voraus und waren ſchon am Ende des Buches,
als ihr langſamer Herr erſt in der Mitte war. Das
iſt der wahre Dichter, der Günſtling der Natur, der
alles kennt, was ſeine Gebieterin dem Tage Häßli¬
ches, was ſie ihm Schönes verbirgt. Auch iſt Heine,
als Dichter, ein gründlicher Geſchichtsforſcher. Doch
verſtecken Sie meinen Brief in den dunkelſten Schrank;
denn läſe ein hiſtoriſcher Profeſſor, was ich ſo eben
geſchrieben, er ließe mich todt ſchlagen, auf ſeiner
eigenen oder einer andern Univerſität — ob zwar die
deutſchen Heeren keine Freunde vom Todtſchlagen
ſind, weder vom aktiven noch vom paſſiven, wie man
neulich in Göttingen geſehen. Diesmal hat der
Stoff Heine ernſter gemacht, als er ſonſt den Stoff,
und wenn er auch noch immer mit ſeinen Waffen
ſpielt, ſo weiß er doch auch mit Blumen zu fechten.
Das Buch hat mich gelabt wie das Murmeln einer
Quelle in der Wüſte, es hat mich entzückt wie eine
Menſchenſtimme von oben, wie ein Lichtſtrahl den le¬
bendig Begrabenen entzückt. Das Grab iſt nicht
dunkler, die Wüſte iſt nicht dürrer als Deutſchland.
Was ein ſeelenloſer Wald, was ein todter Felſen
vermag: uns das eigne Wort zurückzurufen — nicht
einmal dazu kann das blöde Volk dienen. Kann man
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