Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Erfahrungen des Lebens erspart, hätte ich feine er¬
wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit.
Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine
Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde.
Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über
Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬
ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬
scheinlich sagen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns):
Liebe Freundin! Du siehst alles mit trüben Augen
an; denn du bist alt! Aber von unserem verstor¬
benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine
solche Grobheit zarter ausdrückt. Er schreibt seiner
Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine älter
werdende Ansicht
ist schuld an Deiner Grämlich¬
keit. Das ist alles. Von den Briefen eines Ver¬
storbenen erwartet man, Dinge aus einer andern
Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu
sagen wagt. Nichts von dem. Daß diese Briefe
solches Aufsehen machen konnten, daß ich sogar hier
in Paris davon sprechen hörte, und sie in Deutsch¬
land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge sagte, "ra¬
send
abgehen", verdanken sie wahrscheinlich nicht
dem Guten, sondern dem Schlechten, das sie ent¬
halten. Es sind den adligen Briefen einige Satiren
eingeschaltet, aber von der gemeinsten bürgerlichen
Art. Da ist erstens Eine gegen deutsche Titelsucht,

Erfahrungen des Lebens erſpart, hätte ich feine er¬
wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit.
Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine
Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde.
Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über
Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬
ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬
ſcheinlich ſagen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns):
Liebe Freundin! Du ſiehſt alles mit trüben Augen
an; denn du biſt alt! Aber von unſerem verſtor¬
benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine
ſolche Grobheit zarter ausdrückt. Er ſchreibt ſeiner
Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine älter
werdende Anſicht
iſt ſchuld an Deiner Grämlich¬
keit. Das iſt alles. Von den Briefen eines Ver¬
ſtorbenen erwartet man, Dinge aus einer andern
Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu
ſagen wagt. Nichts von dem. Daß dieſe Briefe
ſolches Aufſehen machen konnten, daß ich ſogar hier
in Paris davon ſprechen hörte, und ſie in Deutſch¬
land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge ſagte, „ra¬
ſend
abgehen“, verdanken ſie wahrſcheinlich nicht
dem Guten, ſondern dem Schlechten, das ſie ent¬
halten. Es ſind den adligen Briefen einige Satiren
eingeſchaltet, aber von der gemeinſten bürgerlichen
Art. Da iſt erſtens Eine gegen deutſche Titelſucht,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0052" n="38"/>
Erfahrungen des Lebens er&#x017F;part, hätte ich feine er¬<lb/>
wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit.<lb/>
Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine<lb/>
Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde.<lb/>
Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über<lb/>
Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬<lb/>
ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlich &#x017F;agen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns):<lb/>
Liebe Freundin! Du &#x017F;ieh&#x017F;t alles mit trüben Augen<lb/>
an; denn du bi&#x017F;t alt! Aber von un&#x017F;erem ver&#x017F;tor¬<lb/>
benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine<lb/>
&#x017F;olche Grobheit zarter ausdrückt. Er &#x017F;chreibt &#x017F;einer<lb/>
Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine <hi rendition="#g">älter<lb/>
werdende An&#x017F;icht</hi> i&#x017F;t &#x017F;chuld an Deiner Grämlich¬<lb/>
keit. Das i&#x017F;t alles. Von den Briefen eines Ver¬<lb/>
&#x017F;torbenen erwartet man, Dinge aus einer andern<lb/>
Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu<lb/>
&#x017F;agen wagt. Nichts von dem. Daß die&#x017F;e Briefe<lb/>
&#x017F;olches Auf&#x017F;ehen machen konnten, daß ich &#x017F;ogar hier<lb/>
in Paris davon &#x017F;prechen hörte, und &#x017F;ie in Deut&#x017F;ch¬<lb/>
land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge &#x017F;agte, &#x201E;<hi rendition="#g">ra¬<lb/>
&#x017F;end</hi> abgehen&#x201C;, verdanken &#x017F;ie wahr&#x017F;cheinlich nicht<lb/>
dem Guten, &#x017F;ondern dem Schlechten, das &#x017F;ie ent¬<lb/>
halten. Es &#x017F;ind den adligen Briefen einige Satiren<lb/>
einge&#x017F;chaltet, aber von der gemein&#x017F;ten bürgerlichen<lb/>
Art. Da i&#x017F;t er&#x017F;tens Eine gegen deut&#x017F;che Titel&#x017F;ucht,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0052] Erfahrungen des Lebens erſpart, hätte ich feine er¬ wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit. Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde. Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬ ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬ ſcheinlich ſagen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns): Liebe Freundin! Du ſiehſt alles mit trüben Augen an; denn du biſt alt! Aber von unſerem verſtor¬ benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine ſolche Grobheit zarter ausdrückt. Er ſchreibt ſeiner Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine älter werdende Anſicht iſt ſchuld an Deiner Grämlich¬ keit. Das iſt alles. Von den Briefen eines Ver¬ ſtorbenen erwartet man, Dinge aus einer andern Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu ſagen wagt. Nichts von dem. Daß dieſe Briefe ſolches Aufſehen machen konnten, daß ich ſogar hier in Paris davon ſprechen hörte, und ſie in Deutſch¬ land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge ſagte, „ra¬ ſend abgehen“, verdanken ſie wahrſcheinlich nicht dem Guten, ſondern dem Schlechten, das ſie ent¬ halten. Es ſind den adligen Briefen einige Satiren eingeſchaltet, aber von der gemeinſten bürgerlichen Art. Da iſt erſtens Eine gegen deutſche Titelſucht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/52
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/52>, abgerufen am 05.12.2024.