Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

bastiani hat erst vor einigen Tagen in Gegenwart
ganz Europa's erklärt, seine Regierung würde weder
den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬
einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So
sind die Diplomaten! Sie wissen recht gut, daß sie
einander nicht betrügen können -- es ist Liebhaberei,
es ist eine Kunstliebe.

Sie schreiben mir, Heine habe in seinem vier¬
ten Bande von der französischen Revolution gespro¬
chen. Ich denke, er hat nur zu sprechen versucht,
es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre stark genug,
diese wildgährende Zeit zu halten? Man müßte
einen eisernen Reif um jedes Wort legen, und dazu
gehörte ein eisernes Herz. Heine ist zu mild. Mir
auch schrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬
ten Bande etwas Zeitgemäßes sagen. Dieser
achte Band, den ich machen sollte, hier in Paris,
eine Viertelstunde von den Tuilerien, eine halbe vom
Stadthause entfernt -- es gibt nichts Komischeres!
Was, wo, worauf, womit soll ich schreiben? Der
Boden zittert, es zittert der Tisch, das Pult, Hand
und Herz zittern, und die Geschichte vom Sturme
bewegt, zittert selbst. Ich kann nicht wiederkauen,
was ich mit so viel Lust verzehrt; dazu bin ich nicht
Ochs genug. Prophet wollte ich ihm seyn, zwölf
Bände durch. Und was kann der Deutsche anderes
seyn als Prophet? wir sind keine Geschichtsschrei¬

baſtiani hat erſt vor einigen Tagen in Gegenwart
ganz Europa's erklärt, ſeine Regierung würde weder
den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬
einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So
ſind die Diplomaten! Sie wiſſen recht gut, daß ſie
einander nicht betrügen können — es iſt Liebhaberei,
es iſt eine Kunſtliebe.

Sie ſchreiben mir, Heine habe in ſeinem vier¬
ten Bande von der franzöſiſchen Revolution geſpro¬
chen. Ich denke, er hat nur zu ſprechen verſucht,
es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre ſtark genug,
dieſe wildgährende Zeit zu halten? Man müßte
einen eiſernen Reif um jedes Wort legen, und dazu
gehörte ein eiſernes Herz. Heine iſt zu mild. Mir
auch ſchrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬
ten Bande etwas Zeitgemäßes ſagen. Dieſer
achte Band, den ich machen ſollte, hier in Paris,
eine Viertelſtunde von den Tuilerien, eine halbe vom
Stadthauſe entfernt — es gibt nichts Komiſcheres!
Was, wo, worauf, womit ſoll ich ſchreiben? Der
Boden zittert, es zittert der Tiſch, das Pult, Hand
und Herz zittern, und die Geſchichte vom Sturme
bewegt, zittert ſelbſt. Ich kann nicht wiederkauen,
was ich mit ſo viel Luſt verzehrt; dazu bin ich nicht
Ochs genug. Prophet wollte ich ihm ſeyn, zwölf
Bände durch. Und was kann der Deutſche anderes
ſeyn als Prophet? wir ſind keine Geſchichtsſchrei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="23"/>
ba&#x017F;tiani hat er&#x017F;t vor einigen Tagen in Gegenwart<lb/>
ganz Europa's erklärt, &#x017F;eine Regierung würde weder<lb/>
den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬<lb/>
einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So<lb/>
&#x017F;ind die Diplomaten! Sie wi&#x017F;&#x017F;en recht gut, daß &#x017F;ie<lb/>
einander nicht betrügen können &#x2014; es i&#x017F;t Liebhaberei,<lb/>
es i&#x017F;t eine Kun&#x017F;tliebe.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;chreiben mir, Heine habe in &#x017F;einem vier¬<lb/>
ten Bande von der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Revolution ge&#x017F;pro¬<lb/>
chen. Ich denke, er hat nur zu &#x017F;prechen ver&#x017F;ucht,<lb/>
es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre &#x017F;tark <choice><sic>genng</sic><corr>genug</corr></choice>,<lb/>
die&#x017F;e wildgährende Zeit zu halten? Man müßte<lb/>
einen ei&#x017F;ernen Reif um jedes Wort legen, und dazu<lb/>
gehörte ein ei&#x017F;ernes Herz. Heine i&#x017F;t zu mild. Mir<lb/>
auch &#x017F;chrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬<lb/>
ten Bande etwas <hi rendition="#g">Zeitgemäßes</hi> &#x017F;agen. Die&#x017F;er<lb/>
achte Band, den ich machen &#x017F;ollte, hier in Paris,<lb/>
eine Viertel&#x017F;tunde von den Tuilerien, eine halbe vom<lb/>
Stadthau&#x017F;e entfernt &#x2014; es gibt nichts Komi&#x017F;cheres!<lb/>
Was, wo, worauf, womit &#x017F;oll ich &#x017F;chreiben? Der<lb/>
Boden zittert, es zittert der Ti&#x017F;ch, das Pult, Hand<lb/>
und Herz zittern, und die Ge&#x017F;chichte vom Sturme<lb/>
bewegt, zittert &#x017F;elb&#x017F;t. Ich kann nicht wiederkauen,<lb/>
was ich mit &#x017F;o viel Lu&#x017F;t verzehrt; dazu bin ich nicht<lb/>
Ochs genug. Prophet wollte ich ihm &#x017F;eyn, zwölf<lb/>
Bände durch. Und was kann der Deut&#x017F;che anderes<lb/>
&#x017F;eyn als Prophet? wir &#x017F;ind keine Ge&#x017F;chichts&#x017F;chrei¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] baſtiani hat erſt vor einigen Tagen in Gegenwart ganz Europa's erklärt, ſeine Regierung würde weder den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬ einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So ſind die Diplomaten! Sie wiſſen recht gut, daß ſie einander nicht betrügen können — es iſt Liebhaberei, es iſt eine Kunſtliebe. Sie ſchreiben mir, Heine habe in ſeinem vier¬ ten Bande von der franzöſiſchen Revolution geſpro¬ chen. Ich denke, er hat nur zu ſprechen verſucht, es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre ſtark genug, dieſe wildgährende Zeit zu halten? Man müßte einen eiſernen Reif um jedes Wort legen, und dazu gehörte ein eiſernes Herz. Heine iſt zu mild. Mir auch ſchrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬ ten Bande etwas Zeitgemäßes ſagen. Dieſer achte Band, den ich machen ſollte, hier in Paris, eine Viertelſtunde von den Tuilerien, eine halbe vom Stadthauſe entfernt — es gibt nichts Komiſcheres! Was, wo, worauf, womit ſoll ich ſchreiben? Der Boden zittert, es zittert der Tiſch, das Pult, Hand und Herz zittern, und die Geſchichte vom Sturme bewegt, zittert ſelbſt. Ich kann nicht wiederkauen, was ich mit ſo viel Luſt verzehrt; dazu bin ich nicht Ochs genug. Prophet wollte ich ihm ſeyn, zwölf Bände durch. Und was kann der Deutſche anderes ſeyn als Prophet? wir ſind keine Geſchichtsſchrei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/37
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/37>, abgerufen am 25.04.2024.