Ein mal Eins, anfangen mir über den Kopf zu stei¬ gen. Anfänglich hielt ich sie unter mir, indem ich mich auf den höchsten Stuhl der Betrachtung stellte; aber da sind sie mir bald nachgekommen und ich kann jetzt nicht höher. Die deutschen Regierungen, statt ihren Unterthanen Opium zu geben, geben ih¬ nen Kaffee, daß sie munter bleiben, und statt ihnen das weichste Bett zu machen, zupfen sie sie an der Nase, aus Furcht, sie möchten einschlafen. In Frankreich ist es noch toller. Ich weiß so wenig mehr was hier getrieben wird, als wäre ich Ge¬ sandter. Man wird ganz dumm davon, und wenn das alltägliche diplomatische Schmausen, das ich nicht vertragen kann, nicht wäre, könnte ich im Taxischen Pallast so ehrenvoll sitzen als Einer. Wenn nicht ganz was besonders vorgeht, wenn nicht etwa die französischen Minister aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß, ob sie zwar bürgerliche Emporkömmlinge sind, die im vorigen Jahre noch ehrliche Leute waren, doch spitzbübischer seyn können als der älteste Adel -- wenn sie nicht ganz etwas außerordentlich Fei¬ nes spinnen, aus einem Lothe Wahrheit einen Lügen¬ schleier von drei Ellen weben -- weiß ich nicht, was ich davon denken soll. Das Verderben von außen rückt ihnen immer näher, und sie lachen dazu wie
Ein mal Eins, anfangen mir über den Kopf zu ſtei¬ gen. Anfänglich hielt ich ſie unter mir, indem ich mich auf den höchſten Stuhl der Betrachtung ſtellte; aber da ſind ſie mir bald nachgekommen und ich kann jetzt nicht höher. Die deutſchen Regierungen, ſtatt ihren Unterthanen Opium zu geben, geben ih¬ nen Kaffee, daß ſie munter bleiben, und ſtatt ihnen das weichſte Bett zu machen, zupfen ſie ſie an der Naſe, aus Furcht, ſie möchten einſchlafen. In Frankreich iſt es noch toller. Ich weiß ſo wenig mehr was hier getrieben wird, als wäre ich Ge¬ ſandter. Man wird ganz dumm davon, und wenn das alltägliche diplomatiſche Schmauſen, das ich nicht vertragen kann, nicht wäre, könnte ich im Taxiſchen Pallaſt ſo ehrenvoll ſitzen als Einer. Wenn nicht ganz was beſonders vorgeht, wenn nicht etwa die franzöſiſchen Miniſter aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß, ob ſie zwar bürgerliche Emporkömmlinge ſind, die im vorigen Jahre noch ehrliche Leute waren, doch ſpitzbübiſcher ſeyn können als der älteſte Adel — wenn ſie nicht ganz etwas außerordentlich Fei¬ nes ſpinnen, aus einem Lothe Wahrheit einen Lügen¬ ſchleier von drei Ellen weben — weiß ich nicht, was ich davon denken ſoll. Das Verderben von außen rückt ihnen immer näher, und ſie lachen dazu wie
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Ein mal Eins, anfangen mir über den Kopf zu ſtei¬
gen. Anfänglich hielt ich ſie unter mir, indem ich
mich auf den höchſten Stuhl der Betrachtung ſtellte;
aber da ſind ſie mir bald nachgekommen und ich
kann jetzt nicht höher. Die deutſchen Regierungen,
ſtatt ihren Unterthanen Opium zu geben, geben ih¬
nen Kaffee, daß ſie munter bleiben, und ſtatt ihnen
das weichſte Bett zu machen, zupfen ſie ſie an der
Naſe, aus Furcht, ſie möchten einſchlafen. In
Frankreich iſt es noch toller. Ich weiß ſo wenig
mehr was hier getrieben wird, als wäre ich Ge¬
ſandter. Man wird ganz dumm davon, und wenn
das alltägliche diplomatiſche Schmauſen, das ich nicht
vertragen kann, nicht wäre, könnte ich im Taxiſchen
Pallaſt ſo ehrenvoll ſitzen als Einer. Wenn nicht
ganz was beſonders vorgeht, wenn nicht etwa die
franzöſiſchen Miniſter aus Eitelkeit, um zu zeigen,
daß, ob ſie zwar bürgerliche Emporkömmlinge ſind,
die im vorigen Jahre noch ehrliche Leute waren,
doch ſpitzbübiſcher ſeyn können als der älteſte Adel
— wenn ſie nicht ganz etwas außerordentlich Fei¬
nes ſpinnen, aus einem Lothe Wahrheit einen Lügen¬
ſchleier von drei Ellen weben — weiß ich nicht, was
ich davon denken ſoll. Das Verderben von außen
rückt ihnen immer näher, und ſie lachen dazu wie
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/196>, abgerufen am 26.06.2024.
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