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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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Wasser, ohne Wurzel und ohne Dauer. Aber was
geht mich der Unglaube der Andern an? Ich lache
und denke; ich habe meinen Gott, sehet zu, wie ihr
ohne ihn fertig werdet, das ist euere Sache. Ich
habe nie begreifen können, wie gläubige Menschen so
unduldsam seyn mögen gegen ungläubige. Es ist
auch nur Adel- und Priesterstolz. Die Frommen
sehen den Himmel für einen Hof an, und blicken mit
Verachtung auf alle diejenigen herab, die nicht hof¬
fähig sind wie sie. Darum erquickt es mich, wenn
in den neuen französischen Volks-Souverainen und
Zensurfreien Theaterstücken, die Geistlichkeit, die
schwarze Gendsarmerie und geheime Polizei der Für¬
sten, so geneckt und gehudelt wird. Es ist eine
Schadenfreude, daß man jauchzen möchte. Und was
thut man ihnen denn? Sie werden nicht gemartert,
nicht verbannt, nicht eingekerkert, nicht verflucht, durch
keinen Höllenspuk geängstigt; man nimmt ihnen keine
Zehenten ab, man macht sie nicht dumm; man lacht
sie nur aus. Wahrlich die Rache für tausend Jahr
erlittener Qual ist mild genug! Es ist aber auch
eine Lebensfreudigkeit eine frisch quellende Natur in
den Pariser Schauspielern, so oft sie Geistliche vor¬
stellen, daß man deutlich wahrnimmt, wie ihnen al¬
les aus der Brust kommt, und wie sie gar nicht spie¬
len, sondern wie das Herz mit ihnen selbst spielt.
Die Tartüff-Natur können sie auswendig wie das

Waſſer, ohne Wurzel und ohne Dauer. Aber was
geht mich der Unglaube der Andern an? Ich lache
und denke; ich habe meinen Gott, ſehet zu, wie ihr
ohne ihn fertig werdet, das iſt euere Sache. Ich
habe nie begreifen können, wie gläubige Menſchen ſo
unduldſam ſeyn mögen gegen ungläubige. Es iſt
auch nur Adel- und Prieſterſtolz. Die Frommen
ſehen den Himmel für einen Hof an, und blicken mit
Verachtung auf alle diejenigen herab, die nicht hof¬
fähig ſind wie ſie. Darum erquickt es mich, wenn
in den neuen franzöſiſchen Volks-Souverainen und
Zenſurfreien Theaterſtücken, die Geiſtlichkeit, die
ſchwarze Gendsarmerie und geheime Polizei der Für¬
ſten, ſo geneckt und gehudelt wird. Es iſt eine
Schadenfreude, daß man jauchzen möchte. Und was
thut man ihnen denn? Sie werden nicht gemartert,
nicht verbannt, nicht eingekerkert, nicht verflucht, durch
keinen Höllenſpuk geängſtigt; man nimmt ihnen keine
Zehenten ab, man macht ſie nicht dumm; man lacht
ſie nur aus. Wahrlich die Rache für tauſend Jahr
erlittener Qual iſt mild genug! Es iſt aber auch
eine Lebensfreudigkeit eine friſch quellende Natur in
den Pariſer Schauſpielern, ſo oft ſie Geiſtliche vor¬
ſtellen, daß man deutlich wahrnimmt, wie ihnen al¬
les aus der Bruſt kommt, und wie ſie gar nicht ſpie¬
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Die Tartüff-Natur können ſie auswendig wie das

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[151/0165] Waſſer, ohne Wurzel und ohne Dauer. Aber was geht mich der Unglaube der Andern an? Ich lache und denke; ich habe meinen Gott, ſehet zu, wie ihr ohne ihn fertig werdet, das iſt euere Sache. Ich habe nie begreifen können, wie gläubige Menſchen ſo unduldſam ſeyn mögen gegen ungläubige. Es iſt auch nur Adel- und Prieſterſtolz. Die Frommen ſehen den Himmel für einen Hof an, und blicken mit Verachtung auf alle diejenigen herab, die nicht hof¬ fähig ſind wie ſie. Darum erquickt es mich, wenn in den neuen franzöſiſchen Volks-Souverainen und Zenſurfreien Theaterſtücken, die Geiſtlichkeit, die ſchwarze Gendsarmerie und geheime Polizei der Für¬ ſten, ſo geneckt und gehudelt wird. Es iſt eine Schadenfreude, daß man jauchzen möchte. Und was thut man ihnen denn? Sie werden nicht gemartert, nicht verbannt, nicht eingekerkert, nicht verflucht, durch keinen Höllenſpuk geängſtigt; man nimmt ihnen keine Zehenten ab, man macht ſie nicht dumm; man lacht ſie nur aus. Wahrlich die Rache für tauſend Jahr erlittener Qual iſt mild genug! Es iſt aber auch eine Lebensfreudigkeit eine friſch quellende Natur in den Pariſer Schauſpielern, ſo oft ſie Geiſtliche vor¬ ſtellen, daß man deutlich wahrnimmt, wie ihnen al¬ les aus der Bruſt kommt, und wie ſie gar nicht ſpie¬ len, ſondern wie das Herz mit ihnen ſelbſt ſpielt. Die Tartüff-Natur können ſie auswendig wie das

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/165>, abgerufen am 29.11.2024.