hören, was ich nicht Lust habe zu hören, muß spre¬ chen, wenn ich nicht Lust habe zu sprechen, und muß schweigen, wenn ich reden möchte. Sie ist eine wahre Krämerei, die sogenannte gesellschaftliche Un¬ terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, setzt man lothweise ab. Wie selten trifft man einen Menschen, mit dem man en gros sprechen kann! Wem, wie mir, seine Meinungen zugleich Gesin¬ nungen sind, wem der Kopf nur die Pairskammer ist, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬ kammer, der kann sich nicht in Gesellschaften behag¬ lich fühlen, wo der aristokratische Geist allein Gesetze gibt. Drei, höchstens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch -- so liebe ich es. Das ist die Philosophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch, daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reisen, ohne alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar braucht man sie in Paris weniger als an andern Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten zu einem Unbekannten geführt und so geht es schnell fort; aber sich vorstellen zu lassen, mit anhören zu müssen, wer und was man ist, sich unverdient, und was noch schlimmer, sich verdient loben zu hören -- das thut einem doch gar zu kurios!
-- Was sagen Sie zu Antwerpen? Ist es nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Ist je so eine Schändlichkeit begangen worden? ....
hören, was ich nicht Luſt habe zu hören, muß ſpre¬ chen, wenn ich nicht Luſt habe zu ſprechen, und muß ſchweigen, wenn ich reden möchte. Sie iſt eine wahre Krämerei, die ſogenannte geſellſchaftliche Un¬ terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, ſetzt man lothweiſe ab. Wie ſelten trifft man einen Menſchen, mit dem man en gros ſprechen kann! Wem, wie mir, ſeine Meinungen zugleich Geſin¬ nungen ſind, wem der Kopf nur die Pairskammer iſt, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬ kammer, der kann ſich nicht in Geſellſchaften behag¬ lich fühlen, wo der ariſtokratiſche Geiſt allein Geſetze gibt. Drei, höchſtens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch — ſo liebe ich es. Das iſt die Philoſophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch, daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reiſen, ohne alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar braucht man ſie in Paris weniger als an andern Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten zu einem Unbekannten geführt und ſo geht es ſchnell fort; aber ſich vorſtellen zu laſſen, mit anhören zu müſſen, wer und was man iſt, ſich unverdient, und was noch ſchlimmer, ſich verdient loben zu hören — das thut einem doch gar zu kurios!
— Was ſagen Sie zu Antwerpen? Iſt es nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Iſt je ſo eine Schändlichkeit begangen worden? ....
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hören, was ich nicht Luſt habe zu hören, muß ſpre¬
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muß ſchweigen, wenn ich reden möchte. Sie iſt eine
wahre Krämerei, die ſogenannte geſellſchaftliche Un¬
terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, ſetzt
man lothweiſe ab. Wie ſelten trifft man einen
Menſchen, mit dem man en gros ſprechen kann!
Wem, wie mir, ſeine Meinungen zugleich Geſin¬
nungen ſind, wem der Kopf nur die Pairskammer
iſt, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬
kammer, der kann ſich nicht in Geſellſchaften behag¬
lich fühlen, wo der ariſtokratiſche Geiſt allein Geſetze
gibt. Drei, höchſtens fünf Freunde, oder dann
Markt oder ein Buch — ſo liebe ich es. Das iſt
die Philoſophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch,
daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reiſen, ohne
alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar
braucht man ſie in Paris weniger als an andern
Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten
zu einem Unbekannten geführt und ſo geht es ſchnell
fort; aber ſich vorſtellen zu laſſen, mit anhören zu
müſſen, wer und was man iſt, ſich unverdient,
und was noch ſchlimmer, ſich verdient loben zu
hören — das thut einem doch gar zu kurios!
— Was ſagen Sie zu Antwerpen? Iſt es
nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Iſt
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/96>, abgerufen am 27.07.2024.
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