Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Schlachtfelde hat es seine Gegner verwundet.
Wehrlose Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬
flüchtete nicht verfolgt, Versteckte nicht aufgesucht,
Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk!
Fürsten aber sind unversöhnlich und unauslöschlich ist
der Durst ihrer Rache. Hätte Karl gesiegt, wie er
besiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine
Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag
brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben.
Wir sehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel,
Piemont und in andern Ländern geschieht, wo die
Gewalt über die Freiheit siegte. Seit Jahren ist
der Sieg entschieden und das Werk der Rache und
der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht.
Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide
verdankte! Tausende schmachten noch im Kerker, Tau¬
sende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert
des Henkers ist immer gezückt, und wo es schont, wo
es zaudert, geschieht es nur, um länger zu drohen, um
länger zu ängstigen. So entartet, so herabgewürdigt hat
sich die Macht gezeigt, daß sie oft mit Grausam¬
keiten prahlte, die sie gar nicht begangen; sich der
Gerechtigkeit schämend, manche ihrer Gefangenen nur
heimlich schonte, und es als Verläumdung bestrafte,
wenn man sie mild gepriesen! Mich empört die nieder¬
trächtige Unverschämtheit der Fürstenschmeichler, welche
die Völker als Tiger, die Fürsten als Lämmer dar¬

dem Schlachtfelde hat es ſeine Gegner verwundet.
Wehrloſe Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬
flüchtete nicht verfolgt, Verſteckte nicht aufgeſucht,
Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk!
Fürſten aber ſind unverſöhnlich und unauslöſchlich iſt
der Durſt ihrer Rache. Hätte Karl geſiegt, wie er
beſiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine
Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag
brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben.
Wir ſehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel,
Piemont und in andern Ländern geſchieht, wo die
Gewalt über die Freiheit ſiegte. Seit Jahren iſt
der Sieg entſchieden und das Werk der Rache und
der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht.
Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide
verdankte! Tauſende ſchmachten noch im Kerker, Tau¬
ſende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert
des Henkers iſt immer gezückt, und wo es ſchont, wo
es zaudert, geſchieht es nur, um länger zu drohen, um
länger zu ängſtigen. So entartet, ſo herabgewürdigt hat
ſich die Macht gezeigt, daß ſie oft mit Grauſam¬
keiten prahlte, die ſie gar nicht begangen; ſich der
Gerechtigkeit ſchämend, manche ihrer Gefangenen nur
heimlich ſchonte, und es als Verläumdung beſtrafte,
wenn man ſie mild geprieſen! Mich empört die nieder¬
trächtige Unverſchämtheit der Fürſtenſchmeichler, welche
die Völker als Tiger, die Fürſten als Lämmer dar¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0055" n="41"/>
dem Schlachtfelde hat es &#x017F;eine Gegner verwundet.<lb/>
Wehrlo&#x017F;e Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬<lb/>
flüchtete nicht verfolgt, Ver&#x017F;teckte nicht aufge&#x017F;ucht,<lb/>
Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk!<lb/>
Für&#x017F;ten aber &#x017F;ind unver&#x017F;öhnlich und unauslö&#x017F;chlich i&#x017F;t<lb/>
der Dur&#x017F;t ihrer Rache. Hätte Karl ge&#x017F;iegt, wie er<lb/>
be&#x017F;iegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine<lb/>
Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag<lb/>
brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben.<lb/>
Wir &#x017F;ehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel,<lb/>
Piemont und in andern Ländern ge&#x017F;chieht, wo die<lb/>
Gewalt über die Freiheit &#x017F;iegte. Seit Jahren i&#x017F;t<lb/>
der Sieg ent&#x017F;chieden und das Werk der Rache und<lb/>
der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht.<lb/>
Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide<lb/>
verdankte! Tau&#x017F;ende &#x017F;chmachten noch im Kerker, Tau¬<lb/>
&#x017F;ende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert<lb/>
des Henkers i&#x017F;t immer gezückt, und wo es &#x017F;chont, wo<lb/>
es zaudert, ge&#x017F;chieht es nur, um länger zu drohen, um<lb/>
länger zu äng&#x017F;tigen. So entartet, &#x017F;o herabgewürdigt hat<lb/>
&#x017F;ich die Macht gezeigt, daß &#x017F;ie oft mit Grau&#x017F;am¬<lb/>
keiten prahlte, die &#x017F;ie gar nicht begangen; &#x017F;ich der<lb/>
Gerechtigkeit &#x017F;chämend, manche ihrer Gefangenen nur<lb/>
heimlich &#x017F;chonte, und es als Verläumdung be&#x017F;trafte,<lb/>
wenn man &#x017F;ie mild geprie&#x017F;en! Mich empört die nieder¬<lb/>
trächtige Unver&#x017F;chämtheit der Für&#x017F;ten&#x017F;chmeichler, welche<lb/>
die Völker als Tiger, die Für&#x017F;ten als Lämmer dar¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0055] dem Schlachtfelde hat es ſeine Gegner verwundet. Wehrloſe Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬ flüchtete nicht verfolgt, Verſteckte nicht aufgeſucht, Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk! Fürſten aber ſind unverſöhnlich und unauslöſchlich iſt der Durſt ihrer Rache. Hätte Karl geſiegt, wie er beſiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben. Wir ſehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel, Piemont und in andern Ländern geſchieht, wo die Gewalt über die Freiheit ſiegte. Seit Jahren iſt der Sieg entſchieden und das Werk der Rache und der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht. Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide verdankte! Tauſende ſchmachten noch im Kerker, Tau¬ ſende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert des Henkers iſt immer gezückt, und wo es ſchont, wo es zaudert, geſchieht es nur, um länger zu drohen, um länger zu ängſtigen. So entartet, ſo herabgewürdigt hat ſich die Macht gezeigt, daß ſie oft mit Grauſam¬ keiten prahlte, die ſie gar nicht begangen; ſich der Gerechtigkeit ſchämend, manche ihrer Gefangenen nur heimlich ſchonte, und es als Verläumdung beſtrafte, wenn man ſie mild geprieſen! Mich empört die nieder¬ trächtige Unverſchämtheit der Fürſtenſchmeichler, welche die Völker als Tiger, die Fürſten als Lämmer dar¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/55
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/55>, abgerufen am 17.05.2024.