Gelehrten! Diese armen Teufel, die in Schaaren nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬ genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Gesell¬ schafter, mit der allgemeinen Zeitung correspondiren; die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben, den ihnen nur freies Volk verschaffen kann; die im dürren Vaterlande verhungern würden -- diese wenigstens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil nehmen sollen. Aber hinter einem dicken Fenster¬ pfosten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬ nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬ dern statt zu bluten, und die Leiden eines Volks sich von einem Buchhändler bogenweise bezahlen zu las¬ sen -- nein, das ist zu Schmachvoll, zu Schmach¬ voll!
-- Die Pracht und Herrlichkeit der neuen Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen nicht beschreiben. Ich sah sie gestern Abend zum ersten Male in sonnenheller Gasbeleuchtung, und war überrascht wie selten von etwas. Sie ist breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgassen, die wir in früheren Jahren gesehen, so sehr sie uns damals gefielen, sind düstere Keller oder schlechte Dachkammern dagegen. Es ist ein großer Zauber¬ saal, ganz dieses Volks von Zauberern würdig. Ich
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Gelehrten! Dieſe armen Teufel, die in Schaaren nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬ genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Geſell¬ ſchafter, mit der allgemeinen Zeitung correſpondiren; die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben, den ihnen nur freies Volk verſchaffen kann; die im dürren Vaterlande verhungern würden — dieſe wenigſtens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil nehmen ſollen. Aber hinter einem dicken Fenſter¬ pfoſten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬ nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬ dern ſtatt zu bluten, und die Leiden eines Volks ſich von einem Buchhändler bogenweiſe bezahlen zu laſ¬ ſen — nein, das iſt zu Schmachvoll, zu Schmach¬ voll!
— Die Pracht und Herrlichkeit der neuen Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen nicht beſchreiben. Ich ſah ſie geſtern Abend zum erſten Male in ſonnenheller Gasbeleuchtung, und war überraſcht wie ſelten von etwas. Sie iſt breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgaſſen, die wir in früheren Jahren geſehen, ſo ſehr ſie uns damals gefielen, ſind düſtere Keller oder ſchlechte Dachkammern dagegen. Es iſt ein großer Zauber¬ ſaal, ganz dieſes Volks von Zauberern würdig. Ich
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Gelehrten! Dieſe armen Teufel, die in Schaaren
nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬
genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Geſell¬
ſchafter, mit der allgemeinen Zeitung correſpondiren;
die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben,
den ihnen nur freies Volk verſchaffen kann; die
im dürren Vaterlande verhungern würden — dieſe
wenigſtens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit
gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil
nehmen ſollen. Aber hinter einem dicken Fenſter¬
pfoſten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das
Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬
nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬
dern ſtatt zu bluten, und die Leiden eines Volks ſich
von einem Buchhändler bogenweiſe bezahlen zu laſ¬
ſen — nein, das iſt zu Schmachvoll, zu Schmach¬
voll!
— Die Pracht und Herrlichkeit der neuen
Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen
nicht beſchreiben. Ich ſah ſie geſtern Abend zum
erſten Male in ſonnenheller Gasbeleuchtung, und
war überraſcht wie ſelten von etwas. Sie iſt breit
und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgaſſen,
die wir in früheren Jahren geſehen, ſo ſehr ſie uns
damals gefielen, ſind düſtere Keller oder ſchlechte
Dachkammern dagegen. Es iſt ein großer Zauber¬
ſaal, ganz dieſes Volks von Zauberern würdig. Ich
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/47>, abgerufen am 27.07.2024.
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