Josephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von Orleans, Benjamin Constant, sie mußten alle auf die Bretter. Das war nun freilich oft unanständig. Allein, wenn das Gesetz sogar Unanständigkeiten ver¬ bietet und bestraft, was bleibt dann der Sittlichkeit und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der sich selbst durch jene Theater-Injurien, oder einen Angehörigen seiner Familie, oder das Andenken eines Verstorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den Gerichten Hülfe zu suchen und die Regierung brauchte sich nicht hinein zu mischen. Auch wären nach einem Vierteljahre diese albernen Wachsfiguren-Komödien wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben. Jetzt haben die Minister ein Gesetz vorgelegt, diese Freiheit zu beschränken. Zwar haben sie nicht ge¬ wagt die Theater-Censur wieder einzuführen, doch sind sie dem heißen Brei so nahe als möglich ge¬ kommen. Wer ein neues Stück spielen läßt, muß es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Minister oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar die Aufführung auf keine Weise werden; wird es aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin vor (und jetzt wird die endlose Reihe der Vergehun¬ gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer, gegen fremde Fürsten, gegen Privatpersonen), dann treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬
Joſephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von Orleans, Benjamin Conſtant, ſie mußten alle auf die Bretter. Das war nun freilich oft unanſtändig. Allein, wenn das Geſetz ſogar Unanſtändigkeiten ver¬ bietet und beſtraft, was bleibt dann der Sittlichkeit und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der ſich ſelbſt durch jene Theater-Injurien, oder einen Angehörigen ſeiner Familie, oder das Andenken eines Verſtorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den Gerichten Hülfe zu ſuchen und die Regierung brauchte ſich nicht hinein zu miſchen. Auch wären nach einem Vierteljahre dieſe albernen Wachsfiguren-Komödien wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben. Jetzt haben die Miniſter ein Geſetz vorgelegt, dieſe Freiheit zu beſchränken. Zwar haben ſie nicht ge¬ wagt die Theater-Cenſur wieder einzuführen, doch ſind ſie dem heißen Brei ſo nahe als möglich ge¬ kommen. Wer ein neues Stück ſpielen läßt, muß es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Miniſter oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar die Aufführung auf keine Weiſe werden; wird es aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin vor (und jetzt wird die endloſe Reihe der Vergehun¬ gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer, gegen fremde Fürſten, gegen Privatperſonen), dann treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬
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Joſephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von
Orleans, Benjamin Conſtant, ſie mußten alle auf
die Bretter. Das war nun freilich oft unanſtändig.
Allein, wenn das Geſetz ſogar Unanſtändigkeiten ver¬
bietet und beſtraft, was bleibt dann der Sittlichkeit
und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der
ſich ſelbſt durch jene Theater-Injurien, oder einen
Angehörigen ſeiner Familie, oder das Andenken eines
Verſtorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den
Gerichten Hülfe zu ſuchen und die Regierung brauchte
ſich nicht hinein zu miſchen. Auch wären nach einem
Vierteljahre dieſe albernen Wachsfiguren-Komödien
wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung
benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben.
Jetzt haben die Miniſter ein Geſetz vorgelegt, dieſe
Freiheit zu beſchränken. Zwar haben ſie nicht ge¬
wagt die Theater-Cenſur wieder einzuführen, doch
ſind ſie dem heißen Brei ſo nahe als möglich ge¬
kommen. Wer ein neues Stück ſpielen läßt, muß
es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Miniſter
oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar
die Aufführung auf keine Weiſe werden; wird es
aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin
vor (und jetzt wird die endloſe Reihe der Vergehun¬
gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer,
gegen fremde Fürſten, gegen Privatperſonen), dann
treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/229>, abgerufen am 17.05.2024.
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