Schlachtfeld an der Berezina. Es schneit, die Fran¬ zosen ziehen über die Brücke, neben ihr, über den gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verschlingt sie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles, was sich die Phantasie erfinden kann. Eine der schön¬ sten Scenen ist Napoleons Abfahrt von Elba, um nach Frankreich zurückzukehren. Er mit seinen Sol¬ daten steht auf dem Verdecke eines Kriegsschiffes, und die Fahrt des Schiffes wird im höchsten Grade täuschend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend sich immer ändert, von Fels zu Fels fortschreitend bis in die offne See, so daß man glaubt, das feste Schiff bewege sich. Es ist ein Kind darüber zu wer¬ den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII., dick, alt und lahm, watschelt durch ein Vorzimmer, sich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute Art der Franzosen und ihr Zartgefühl verläugnete sich bei dieser gefährlichen Probe nicht. Im Odeon sind die jungen Leute, die Schüler der polytechnischen Schule, Meister, da herrscht der Liberalismus un¬ beschränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war unanständig, der Spott grausam, und im ganzen Hause wurde gepfiffen und gezischt, und nicht Einer hat applaudirt, und das Klatschen hörte doch sonst den ganzen Abend nicht auf. Deß freuete ich mich,
Schlachtfeld an der Berezina. Es ſchneit, die Fran¬ zoſen ziehen über die Brücke, neben ihr, über den gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verſchlingt ſie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles, was ſich die Phantaſie erfinden kann. Eine der ſchön¬ ſten Scenen iſt Napoleons Abfahrt von Elba, um nach Frankreich zurückzukehren. Er mit ſeinen Sol¬ daten ſteht auf dem Verdecke eines Kriegsſchiffes, und die Fahrt des Schiffes wird im höchſten Grade täuſchend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend ſich immer ändert, von Fels zu Fels fortſchreitend bis in die offne See, ſo daß man glaubt, das feſte Schiff bewege ſich. Es iſt ein Kind darüber zu wer¬ den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII., dick, alt und lahm, watſchelt durch ein Vorzimmer, ſich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute Art der Franzoſen und ihr Zartgefühl verläugnete ſich bei dieſer gefährlichen Probe nicht. Im Odeon ſind die jungen Leute, die Schüler der polytechniſchen Schule, Meiſter, da herrſcht der Liberalismus un¬ beſchränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war unanſtändig, der Spott grauſam, und im ganzen Hauſe wurde gepfiffen und geziſcht, und nicht Einer hat applaudirt, und das Klatſchen hörte doch ſonſt den ganzen Abend nicht auf. Deß freuete ich mich,
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Schlachtfeld an der Berezina. Es ſchneit, die Fran¬
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gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verſchlingt
ſie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles,
was ſich die Phantaſie erfinden kann. Eine der ſchön¬
ſten Scenen iſt Napoleons Abfahrt von Elba, um
nach Frankreich zurückzukehren. Er mit ſeinen Sol¬
daten ſteht auf dem Verdecke eines Kriegsſchiffes,
und die Fahrt des Schiffes wird im höchſten Grade
täuſchend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend
ſich immer ändert, von Fels zu Fels fortſchreitend
bis in die offne See, ſo daß man glaubt, das feſte
Schiff bewege ſich. Es iſt ein Kind darüber zu wer¬
den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien
am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII.,
dick, alt und lahm, watſchelt durch ein Vorzimmer,
ſich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute
Art der Franzoſen und ihr Zartgefühl verläugnete
ſich bei dieſer gefährlichen Probe nicht. Im Odeon
ſind die jungen Leute, die Schüler der polytechniſchen
Schule, Meiſter, da herrſcht der Liberalismus un¬
beſchränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war
unanſtändig, der Spott grauſam, und im ganzen
Hauſe wurde gepfiffen und geziſcht, und nicht Einer
hat applaudirt, und das Klatſchen hörte doch ſonſt
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/202>, abgerufen am 28.07.2024.
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