aus. Das muß man zu würdigen wissen, um die jetzigen französischen Romantiker nicht ungerecht zu verurtheilen. Sie sind oft rein toll, und schreiben Sachen, wie man sie im romantischen Deutschland niemals lies't. Das wird sich geben. Sie werden wieder zurückpurzeln, es ist noch kein Franzose in die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬ lesung fragte ich nach einem bekannten romantischen Dichter und man sagte mir, er wäre gegenwärtig in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen Andern. Es scheint, dies junge Volk gehet nach Spanien, romantische Luft einzuathmen. Ich mußte darüber lachen.
-- Gestern war ich bei Franconi. Da wurde ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur; alle seine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu seinem Tode. Als ich diesen Morgen aufwachte, war ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe hatte, und überhaupt noch lebte. Aus so vielen blutigen Schlachten ist noch Keiner unverwundet ge¬ kommen. Denn es war kein Spiel, es war die Wirklichkeit. Ich saß hart an der Bühne in einer Loge, und da ich jetzt so sehr kriegerisch gestimmt bin, war ich ganz selig über das Kanonen- und Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuschung nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬ corationen! mehr Soldaten als das ganze Frank¬
aus. Das muß man zu würdigen wiſſen, um die jetzigen franzöſiſchen Romantiker nicht ungerecht zu verurtheilen. Sie ſind oft rein toll, und ſchreiben Sachen, wie man ſie im romantiſchen Deutſchland niemals lieſ't. Das wird ſich geben. Sie werden wieder zurückpurzeln, es iſt noch kein Franzoſe in die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬ leſung fragte ich nach einem bekannten romantiſchen Dichter und man ſagte mir, er wäre gegenwärtig in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen Andern. Es ſcheint, dies junge Volk gehet nach Spanien, romantiſche Luft einzuathmen. Ich mußte darüber lachen.
— Geſtern war ich bei Franconi. Da wurde ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur; alle ſeine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu ſeinem Tode. Als ich dieſen Morgen aufwachte, war ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe hatte, und überhaupt noch lebte. Aus ſo vielen blutigen Schlachten iſt noch Keiner unverwundet ge¬ kommen. Denn es war kein Spiel, es war die Wirklichkeit. Ich ſaß hart an der Bühne in einer Loge, und da ich jetzt ſo ſehr kriegeriſch geſtimmt bin, war ich ganz ſelig über das Kanonen- und Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuſchung nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬ corationen! mehr Soldaten als das ganze Frank¬
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aus. Das muß man zu würdigen wiſſen, um die
jetzigen franzöſiſchen Romantiker nicht ungerecht zu
verurtheilen. Sie ſind oft rein toll, und ſchreiben
Sachen, wie man ſie im romantiſchen Deutſchland
niemals lieſ't. Das wird ſich geben. Sie werden
wieder zurückpurzeln, es iſt noch kein Franzoſe in
die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬
leſung fragte ich nach einem bekannten romantiſchen
Dichter und man ſagte mir, er wäre gegenwärtig
in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen
Andern. Es ſcheint, dies junge Volk gehet nach
Spanien, romantiſche Luft einzuathmen. Ich mußte
darüber lachen.
— Geſtern war ich bei Franconi. Da wurde
ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur;
alle ſeine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu
ſeinem Tode. Als ich dieſen Morgen aufwachte, war
ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe
hatte, und überhaupt noch lebte. Aus ſo vielen
blutigen Schlachten iſt noch Keiner unverwundet ge¬
kommen. Denn es war kein Spiel, es war die
Wirklichkeit. Ich ſaß hart an der Bühne in einer
Loge, und da ich jetzt ſo ſehr kriegeriſch geſtimmt
bin, war ich ganz ſelig über das Kanonen- und
Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuſchung
nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/135>, abgerufen am 18.06.2024.
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