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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Geistes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe
gar nicht mehr gegeben werden. So weit schon ist
es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in
Paris waren!

Es flog ein Gänschen über den Rhein,
Und kam als Gans wieder heim.

-- Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß
heißt: es darf jeder, der Lust hat, ein Theater errichten
und man braucht kein Privilegium mehr dazu, keine
allergnädigste, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬
laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die
Theater-Censur aufgehört und es herrscht vollkom¬
mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus,
und Deutschland ist das große Coblenz, wo alle
emigrirten Mißbräuche zusammentreffen. In Zeit
von zehn Jahren werden die Freunde der politischen
Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutsch¬
land reisen, um da ihre Kunstliebhaberei zu befrie¬
digen. Ich sehe sie schon mit ihren Antiquites
de l'Allemagne
in der Hand, Brille auf der
Nase und Notizbuch in der Tasche, durch unsere
Städte wandern, und unsere Gerichtsordnung, unsere
Stockschläge, unsere Censur, unsere Mauthen, un¬
sern Adelstolz, unsere Bürgerdemuth, unsere aller¬
höchsten und allerniedrigsten Personen, unsere Zünfte,
unsern Judenzwang, unsere Bauernnoth, begucken,
betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln

Geiſtes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe
gar nicht mehr gegeben werden. So weit ſchon iſt
es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in
Paris waren!

Es flog ein Gänschen über den Rhein,
Und kam als Gans wieder heim.

— Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß
heißt: es darf jeder, der Luſt hat, ein Theater errichten
und man braucht kein Privilegium mehr dazu, keine
allergnädigſte, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬
laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die
Theater-Cenſur aufgehört und es herrſcht vollkom¬
mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus,
und Deutſchland iſt das große Coblenz, wo alle
emigrirten Mißbräuche zuſammentreffen. In Zeit
von zehn Jahren werden die Freunde der politiſchen
Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutſch¬
land reiſen, um da ihre Kunſtliebhaberei zu befrie¬
digen. Ich ſehe ſie ſchon mit ihren Antiquités
de l'Allemagne
in der Hand, Brille auf der
Naſe und Notizbuch in der Taſche, durch unſere
Städte wandern, und unſere Gerichtsordnung, unſere
Stockſchläge, unſere Cenſur, unſere Mauthen, un¬
ſern Adelſtolz, unſere Bürgerdemuth, unſere aller¬
höchſten und allerniedrigſten Perſonen, unſere Zünfte,
unſern Judenzwang, unſere Bauernnoth, begucken,
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[91/0105] Geiſtes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe gar nicht mehr gegeben werden. So weit ſchon iſt es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in Paris waren! Es flog ein Gänschen über den Rhein, Und kam als Gans wieder heim. — Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß heißt: es darf jeder, der Luſt hat, ein Theater errichten und man braucht kein Privilegium mehr dazu, keine allergnädigſte, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬ laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die Theater-Cenſur aufgehört und es herrſcht vollkom¬ mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus, und Deutſchland iſt das große Coblenz, wo alle emigrirten Mißbräuche zuſammentreffen. In Zeit von zehn Jahren werden die Freunde der politiſchen Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutſch¬ land reiſen, um da ihre Kunſtliebhaberei zu befrie¬ digen. Ich ſehe ſie ſchon mit ihren Antiquités de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Naſe und Notizbuch in der Taſche, durch unſere Städte wandern, und unſere Gerichtsordnung, unſere Stockſchläge, unſere Cenſur, unſere Mauthen, un¬ ſern Adelſtolz, unſere Bürgerdemuth, unſere aller¬ höchſten und allerniedrigſten Perſonen, unſere Zünfte, unſern Judenzwang, unſere Bauernnoth, begucken, betaſten, ausmeſſen, beſchwatzen, uns armen Teufeln

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/105>, abgerufen am 24.11.2024.