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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Mitteilung durch den Duft hat etwas voraus vor der durch
das Licht, durch das Auge, denn sie kann auch im Stockfinstern
erfolgen. Außerdem hat der Duft eine äußerst intensive
Phantasiewirkung, deren psychologische Gründe mir vorläufig
dunkel sind, die du aber beständig an dir selber erleben kannst.
Ein Geruch, den du da, dort einmal zu riechen pflegtest --
und die Erinnerungen schießen ein mit unerhörter Plastik: ein
Zimmer, ein Haus, eine Familie, ein Weib, sie stehen wie ver¬
zaubert leibhaft vor dir. Dabei ist der Duft auch real einer
starken räumlichen Ausdehnung fähig, unter Umständen viel
weiter, als das beschränkte Gesicht tragen würde. Denke nur
an das Moschustier selbst in seinem Wald voll eng gedrängter
Bäume und Felsblöcke. Wenn das Schiff sich der Insel Corsika
nähert, so ist es der Duft gewisser Strandkräuter, des soge¬
nannten "Maquis" (Rosmarin und andere), der wie eine
greifbare Hand herüberlangt, wenn auch dem Anblick noch die
ganze Silhouette des Landes in blauen Wolken liegt.

Gleich bei diesen betäubend duftenden Blüten hast du
aber schon eine erste Ausnutzung der Sache. Was läge an
Fäden und Netzen in der Natur und wäre nicht irgendwie
ausgenutzt! Die köstlichen, schweren, auch uns Menschen wie
ein wollüstiger Sinnentraum betäubenden Düfte eines blumen¬
reichen Gartens: Heliotrop und Gaisblatt, Nelken und Hya¬
zinthen und Veilchen, sie dienen sämtlich jenem großen Lockspiel
der Pflanze gegenüber dem Insekt, das ihre Befruchtung voll¬
ziehen soll. Sie sind erotische Lockdüfte, wenn auch indirekter
Art, da sie zugleich Weinblumen des gratis geöffneten Wirts¬
hauses sind. Eigentümlich ist dabei die Thatsache, daß diese
Pflanzendüfte, selber ja ausgehaucht von den Blüten, also von
den Geschlechtsteilen der Pflanze, vielfach Ähnlichkeit zeigen
mit einem ausgesprochenen menschlichen Geschlechtsduft: nämlich
mit der Duftblume des männlichen Samens. Die Verwandt¬
schaft ist schon beim Gaisblatt merkbar, ihren Gipfelpunkt
findet sie aber bei der Blüte der zahmen Kastanie. Zur Zeit

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Mitteilung durch den Duft hat etwas voraus vor der durch
das Licht, durch das Auge, denn ſie kann auch im Stockfinſtern
erfolgen. Außerdem hat der Duft eine äußerſt intenſive
Phantaſiewirkung, deren pſychologiſche Gründe mir vorläufig
dunkel ſind, die du aber beſtändig an dir ſelber erleben kannſt.
Ein Geruch, den du da, dort einmal zu riechen pflegteſt —
und die Erinnerungen ſchießen ein mit unerhörter Plaſtik: ein
Zimmer, ein Haus, eine Familie, ein Weib, ſie ſtehen wie ver¬
zaubert leibhaft vor dir. Dabei iſt der Duft auch real einer
ſtarken räumlichen Ausdehnung fähig, unter Umſtänden viel
weiter, als das beſchränkte Geſicht tragen würde. Denke nur
an das Moſchustier ſelbſt in ſeinem Wald voll eng gedrängter
Bäume und Felsblöcke. Wenn das Schiff ſich der Inſel Corſika
nähert, ſo iſt es der Duft gewiſſer Strandkräuter, des ſoge¬
nannten „Maquis“ (Rosmarin und andere), der wie eine
greifbare Hand herüberlangt, wenn auch dem Anblick noch die
ganze Silhouette des Landes in blauen Wolken liegt.

Gleich bei dieſen betäubend duftenden Blüten haſt du
aber ſchon eine erſte Ausnutzung der Sache. Was läge an
Fäden und Netzen in der Natur und wäre nicht irgendwie
ausgenutzt! Die köſtlichen, ſchweren, auch uns Menſchen wie
ein wollüſtiger Sinnentraum betäubenden Düfte eines blumen¬
reichen Gartens: Heliotrop und Gaisblatt, Nelken und Hya¬
zinthen und Veilchen, ſie dienen ſämtlich jenem großen Lockſpiel
der Pflanze gegenüber dem Inſekt, das ihre Befruchtung voll¬
ziehen ſoll. Sie ſind erotiſche Lockdüfte, wenn auch indirekter
Art, da ſie zugleich Weinblumen des gratis geöffneten Wirts¬
hauſes ſind. Eigentümlich iſt dabei die Thatſache, daß dieſe
Pflanzendüfte, ſelber ja ausgehaucht von den Blüten, alſo von
den Geſchlechtsteilen der Pflanze, vielfach Ähnlichkeit zeigen
mit einem ausgeſprochenen menſchlichen Geſchlechtsduft: nämlich
mit der Duftblume des männlichen Samens. Die Verwandt¬
ſchaft iſt ſchon beim Gaisblatt merkbar, ihren Gipfelpunkt
findet ſie aber bei der Blüte der zahmen Kaſtanie. Zur Zeit

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[67/0081] Mitteilung durch den Duft hat etwas voraus vor der durch das Licht, durch das Auge, denn ſie kann auch im Stockfinſtern erfolgen. Außerdem hat der Duft eine äußerſt intenſive Phantaſiewirkung, deren pſychologiſche Gründe mir vorläufig dunkel ſind, die du aber beſtändig an dir ſelber erleben kannſt. Ein Geruch, den du da, dort einmal zu riechen pflegteſt — und die Erinnerungen ſchießen ein mit unerhörter Plaſtik: ein Zimmer, ein Haus, eine Familie, ein Weib, ſie ſtehen wie ver¬ zaubert leibhaft vor dir. Dabei iſt der Duft auch real einer ſtarken räumlichen Ausdehnung fähig, unter Umſtänden viel weiter, als das beſchränkte Geſicht tragen würde. Denke nur an das Moſchustier ſelbſt in ſeinem Wald voll eng gedrängter Bäume und Felsblöcke. Wenn das Schiff ſich der Inſel Corſika nähert, ſo iſt es der Duft gewiſſer Strandkräuter, des ſoge¬ nannten „Maquis“ (Rosmarin und andere), der wie eine greifbare Hand herüberlangt, wenn auch dem Anblick noch die ganze Silhouette des Landes in blauen Wolken liegt. Gleich bei dieſen betäubend duftenden Blüten haſt du aber ſchon eine erſte Ausnutzung der Sache. Was läge an Fäden und Netzen in der Natur und wäre nicht irgendwie ausgenutzt! Die köſtlichen, ſchweren, auch uns Menſchen wie ein wollüſtiger Sinnentraum betäubenden Düfte eines blumen¬ reichen Gartens: Heliotrop und Gaisblatt, Nelken und Hya¬ zinthen und Veilchen, ſie dienen ſämtlich jenem großen Lockſpiel der Pflanze gegenüber dem Inſekt, das ihre Befruchtung voll¬ ziehen ſoll. Sie ſind erotiſche Lockdüfte, wenn auch indirekter Art, da ſie zugleich Weinblumen des gratis geöffneten Wirts¬ hauſes ſind. Eigentümlich iſt dabei die Thatſache, daß dieſe Pflanzendüfte, ſelber ja ausgehaucht von den Blüten, alſo von den Geſchlechtsteilen der Pflanze, vielfach Ähnlichkeit zeigen mit einem ausgeſprochenen menſchlichen Geſchlechtsduft: nämlich mit der Duftblume des männlichen Samens. Die Verwandt¬ ſchaft iſt ſchon beim Gaisblatt merkbar, ihren Gipfelpunkt findet ſie aber bei der Blüte der zahmen Kaſtanie. Zur Zeit 5*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/81>, abgerufen am 22.11.2024.