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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Freilich: der Mensch wünschte sie fortan, -- gesagt ist
aber damit noch nicht, daß er sie ohne weiteres erlangen konnte.
Zu allererst hat er jedenfalls sich daran gemacht und "werk¬
zeuglich" nachgeholfen: er hat sich künstlich geschoren. Aber da
sehen wir heute noch bei wilden Völkern vielfältig im Brauch, sich
die Augenwimpern, die Barthaare, die Schamhaare und Achsel¬
haare nicht bloß abzurasieren, sondern sogar mit dem größten
Raffinement Stück für Stück immer wieder auszureißen. Bei
den nackten Bakairi-Indianern Zentral-Brasiliens werden schon
den ganz kleinen Kindern die Wimpern systematisch ausgezupft,
und das Schamhaar wird von Jüngling wie Jungfrau bis
aufs spärlichste Würzelchen vertilgt, als sei es die gott¬
loseste Unsittlichkeit. Aber trotz alledem -- und wie uralt mögen
solche Bräuche sein -- kommen die Kinder dort immer wieder
mit Wimpern zur Welt, und gerade die Pflicht des Jätens in
der Reifezeit beweist die immer erneute Fruchtbarkeit des Korn¬
feldes. Und so geht's, scheint es, mit anderen ebenfalls. Die
Tonsur, auch bei jenen Indianern ein altbeliebter Brauch, den
nicht erst der fromme Jesuitenpater zu ihnen zu bringen braucht,
muß immer in jeder Generation neu gemacht werden, -- vererbt
wird sie nicht. Endlich: seit grauen Tagen huldigen (neben
so viel andern Völkern) die Juden der Beschneidung, noch
immer aber liegt keine einwandfreie Statistik darüber vor, daß
deshalb ein wachsender Prozentsatz von Judenkindern ohne Vor¬
haut geboren würde. Und so ließe sich denken, daß jene prä¬
historischen Haarmenschen in ihrer Höhle sich jahrtausende¬
lang das gesamte Körperhaar (mit Ausnahme des Kopfhaares)
abrasiert und ausgezupft hätten und daß es doch nichts genützt
hätte, -- als eine zu grobe Methode, die die Vererbung nicht
erreichte. Aber du kannst auch dieses künstliche Abrasieren aus
menschlichem Willensakt thatsächlich als direkte Ursache des
wirklichen Nacktwerdens noch ganz aus dem Spiel lassen und
wirst doch den Einschlag gerade vor dieser Stelle sofort sehen,
der die Sache zum Klappen bringen mußte.

Freilich: der Menſch wünſchte ſie fortan, — geſagt iſt
aber damit noch nicht, daß er ſie ohne weiteres erlangen konnte.
Zu allererſt hat er jedenfalls ſich daran gemacht und „werk¬
zeuglich“ nachgeholfen: er hat ſich künſtlich geſchoren. Aber da
ſehen wir heute noch bei wilden Völkern vielfältig im Brauch, ſich
die Augenwimpern, die Barthaare, die Schamhaare und Achſel¬
haare nicht bloß abzuraſieren, ſondern ſogar mit dem größten
Raffinement Stück für Stück immer wieder auszureißen. Bei
den nackten Bakairi-Indianern Zentral-Braſiliens werden ſchon
den ganz kleinen Kindern die Wimpern ſyſtematiſch ausgezupft,
und das Schamhaar wird von Jüngling wie Jungfrau bis
aufs ſpärlichſte Würzelchen vertilgt, als ſei es die gott¬
loſeſte Unſittlichkeit. Aber trotz alledem — und wie uralt mögen
ſolche Bräuche ſein — kommen die Kinder dort immer wieder
mit Wimpern zur Welt, und gerade die Pflicht des Jätens in
der Reifezeit beweiſt die immer erneute Fruchtbarkeit des Korn¬
feldes. Und ſo geht's, ſcheint es, mit anderen ebenfalls. Die
Tonſur, auch bei jenen Indianern ein altbeliebter Brauch, den
nicht erſt der fromme Jeſuitenpater zu ihnen zu bringen braucht,
muß immer in jeder Generation neu gemacht werden, — vererbt
wird ſie nicht. Endlich: ſeit grauen Tagen huldigen (neben
ſo viel andern Völkern) die Juden der Beſchneidung, noch
immer aber liegt keine einwandfreie Statiſtik darüber vor, daß
deshalb ein wachſender Prozentſatz von Judenkindern ohne Vor¬
haut geboren würde. Und ſo ließe ſich denken, daß jene prä¬
hiſtoriſchen Haarmenſchen in ihrer Höhle ſich jahrtauſende¬
lang das geſamte Körperhaar (mit Ausnahme des Kopfhaares)
abraſiert und ausgezupft hätten und daß es doch nichts genützt
hätte, — als eine zu grobe Methode, die die Vererbung nicht
erreichte. Aber du kannſt auch dieſes künſtliche Abraſieren aus
menſchlichem Willensakt thatſächlich als direkte Urſache des
wirklichen Nacktwerdens noch ganz aus dem Spiel laſſen und
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[59/0073] Freilich: der Menſch wünſchte ſie fortan, — geſagt iſt aber damit noch nicht, daß er ſie ohne weiteres erlangen konnte. Zu allererſt hat er jedenfalls ſich daran gemacht und „werk¬ zeuglich“ nachgeholfen: er hat ſich künſtlich geſchoren. Aber da ſehen wir heute noch bei wilden Völkern vielfältig im Brauch, ſich die Augenwimpern, die Barthaare, die Schamhaare und Achſel¬ haare nicht bloß abzuraſieren, ſondern ſogar mit dem größten Raffinement Stück für Stück immer wieder auszureißen. Bei den nackten Bakairi-Indianern Zentral-Braſiliens werden ſchon den ganz kleinen Kindern die Wimpern ſyſtematiſch ausgezupft, und das Schamhaar wird von Jüngling wie Jungfrau bis aufs ſpärlichſte Würzelchen vertilgt, als ſei es die gott¬ loſeſte Unſittlichkeit. Aber trotz alledem — und wie uralt mögen ſolche Bräuche ſein — kommen die Kinder dort immer wieder mit Wimpern zur Welt, und gerade die Pflicht des Jätens in der Reifezeit beweiſt die immer erneute Fruchtbarkeit des Korn¬ feldes. Und ſo geht's, ſcheint es, mit anderen ebenfalls. Die Tonſur, auch bei jenen Indianern ein altbeliebter Brauch, den nicht erſt der fromme Jeſuitenpater zu ihnen zu bringen braucht, muß immer in jeder Generation neu gemacht werden, — vererbt wird ſie nicht. Endlich: ſeit grauen Tagen huldigen (neben ſo viel andern Völkern) die Juden der Beſchneidung, noch immer aber liegt keine einwandfreie Statiſtik darüber vor, daß deshalb ein wachſender Prozentſatz von Judenkindern ohne Vor¬ haut geboren würde. Und ſo ließe ſich denken, daß jene prä¬ hiſtoriſchen Haarmenſchen in ihrer Höhle ſich jahrtauſende¬ lang das geſamte Körperhaar (mit Ausnahme des Kopfhaares) abraſiert und ausgezupft hätten und daß es doch nichts genützt hätte, — als eine zu grobe Methode, die die Vererbung nicht erreichte. Aber du kannſt auch dieſes künſtliche Abraſieren aus menſchlichem Willensakt thatſächlich als direkte Urſache des wirklichen Nacktwerdens noch ganz aus dem Spiel laſſen und wirſt doch den Einſchlag gerade vor dieſer Stelle ſofort ſehen, der die Sache zum Klappen bringen mußte.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/73>, abgerufen am 23.11.2024.