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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Kopf springen? Das gleiche trifft auf das rein erotisch Auf¬
regliche zu. Die brennend heißen Mandrillfarben konnten
wohl zu der althergebrachten Liebe im Pelz etwas hinzuthun
nach da hinüber. Von der einfachen Nacktheit, zumal in ihren
ersten Stadien, sehe ich aber keinen einleuchtenden Zweck.

Dazu kommt aber nun noch etwas anderes. Vom rein
Nützlichen einer Anpassung an allgemeine Lebensbedingungen
hatte, wie gesagt, die Enthaarung bei Tropentieren gar nichts
an sich, -- im Gegenteil. Die ästhetisch-erotische Neuerung
hätte hier einen harten Kampf durchkämpfen müssen. Wer
immer Kleider getragen hat und auch nur in der heißen Sonne
des Mittelmeeres zum erstenmal Versuche mit nackten Sonnen¬
bädern macht, der weiß, wie empfindlich die jäh entblößte Haut
"anbrennt". Das Pelztier ist auch in diesem Sinne genau
daran wie der Kulturmensch: entpelzt hätte es diese Mißlich¬
keiten sowohl wie ihre Kehrseite, die Erkältungsgefahr in der
Nachtkühle, bitter durchzukosten gehabt. Ob das nicht der Liebe,
selbst ihr neues Ideal zugestanden, doch den Eigensinn der
Nacktmode schließlich ausgetrieben hätte? Vergiß nicht: diese
Schutzanpassungen sind immer das erste, sind der solide Propfen
der Sektflasche: erst wenn der nachgeben darf, schäumt das
andere hoch wie eine Art Luxus der Entwickelung. Gerade
in diesem Falle möchte ich aber ein Plus sehen von solcher
Nützlichkeitsecke her anstatt eines Minus. Ich möchte hören,
daß Nacktheit rein praktisch unter bestimmten Umständen nütz¬
licher war als Bepelzung. Dann könnte ich glauben, daß bei
einer gewissen Stufe dieser Nützlichkeitsenthaarung das erotisch-
ästhetische Fach endlich auch eingesetzt und nachgeholfen habe.

Aber wie soll das bei der Tropensituation gehen, wo der
Orang heute noch Haare hat, dick wie angewachsene Reisig¬
bündel, und der Löwe seine sprichwörtlich kolossale Mähne wie
einen Superlativ aller Haarigkeit mit sich schleppt?

[Abbildung]

Kopf ſpringen? Das gleiche trifft auf das rein erotiſch Auf¬
regliche zu. Die brennend heißen Mandrillfarben konnten
wohl zu der althergebrachten Liebe im Pelz etwas hinzuthun
nach da hinüber. Von der einfachen Nacktheit, zumal in ihren
erſten Stadien, ſehe ich aber keinen einleuchtenden Zweck.

Dazu kommt aber nun noch etwas anderes. Vom rein
Nützlichen einer Anpaſſung an allgemeine Lebensbedingungen
hatte, wie geſagt, die Enthaarung bei Tropentieren gar nichts
an ſich, — im Gegenteil. Die äſthetiſch-erotiſche Neuerung
hätte hier einen harten Kampf durchkämpfen müſſen. Wer
immer Kleider getragen hat und auch nur in der heißen Sonne
des Mittelmeeres zum erſtenmal Verſuche mit nackten Sonnen¬
bädern macht, der weiß, wie empfindlich die jäh entblößte Haut
„anbrennt“. Das Pelztier iſt auch in dieſem Sinne genau
daran wie der Kulturmenſch: entpelzt hätte es dieſe Mißlich¬
keiten ſowohl wie ihre Kehrſeite, die Erkältungsgefahr in der
Nachtkühle, bitter durchzukoſten gehabt. Ob das nicht der Liebe,
ſelbſt ihr neues Ideal zugeſtanden, doch den Eigenſinn der
Nacktmode ſchließlich ausgetrieben hätte? Vergiß nicht: dieſe
Schutzanpaſſungen ſind immer das erſte, ſind der ſolide Propfen
der Sektflaſche: erſt wenn der nachgeben darf, ſchäumt das
andere hoch wie eine Art Luxus der Entwickelung. Gerade
in dieſem Falle möchte ich aber ein Plus ſehen von ſolcher
Nützlichkeitsecke her anſtatt eines Minus. Ich möchte hören,
daß Nacktheit rein praktiſch unter beſtimmten Umſtänden nütz¬
licher war als Bepelzung. Dann könnte ich glauben, daß bei
einer gewiſſen Stufe dieſer Nützlichkeitsenthaarung das erotiſch–
äſthetiſche Fach endlich auch eingeſetzt und nachgeholfen habe.

Aber wie ſoll das bei der Tropenſituation gehen, wo der
Orang heute noch Haare hat, dick wie angewachſene Reiſig¬
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[36/0050] Kopf ſpringen? Das gleiche trifft auf das rein erotiſch Auf¬ regliche zu. Die brennend heißen Mandrillfarben konnten wohl zu der althergebrachten Liebe im Pelz etwas hinzuthun nach da hinüber. Von der einfachen Nacktheit, zumal in ihren erſten Stadien, ſehe ich aber keinen einleuchtenden Zweck. Dazu kommt aber nun noch etwas anderes. Vom rein Nützlichen einer Anpaſſung an allgemeine Lebensbedingungen hatte, wie geſagt, die Enthaarung bei Tropentieren gar nichts an ſich, — im Gegenteil. Die äſthetiſch-erotiſche Neuerung hätte hier einen harten Kampf durchkämpfen müſſen. Wer immer Kleider getragen hat und auch nur in der heißen Sonne des Mittelmeeres zum erſtenmal Verſuche mit nackten Sonnen¬ bädern macht, der weiß, wie empfindlich die jäh entblößte Haut „anbrennt“. Das Pelztier iſt auch in dieſem Sinne genau daran wie der Kulturmenſch: entpelzt hätte es dieſe Mißlich¬ keiten ſowohl wie ihre Kehrſeite, die Erkältungsgefahr in der Nachtkühle, bitter durchzukoſten gehabt. Ob das nicht der Liebe, ſelbſt ihr neues Ideal zugeſtanden, doch den Eigenſinn der Nacktmode ſchließlich ausgetrieben hätte? Vergiß nicht: dieſe Schutzanpaſſungen ſind immer das erſte, ſind der ſolide Propfen der Sektflaſche: erſt wenn der nachgeben darf, ſchäumt das andere hoch wie eine Art Luxus der Entwickelung. Gerade in dieſem Falle möchte ich aber ein Plus ſehen von ſolcher Nützlichkeitsecke her anſtatt eines Minus. Ich möchte hören, daß Nacktheit rein praktiſch unter beſtimmten Umſtänden nütz¬ licher war als Bepelzung. Dann könnte ich glauben, daß bei einer gewiſſen Stufe dieſer Nützlichkeitsenthaarung das erotiſch– äſthetiſche Fach endlich auch eingeſetzt und nachgeholfen habe. Aber wie ſoll das bei der Tropenſituation gehen, wo der Orang heute noch Haare hat, dick wie angewachſene Reiſig¬ bündel, und der Löwe ſeine ſprichwörtlich koloſſale Mähne wie einen Superlativ aller Haarigkeit mit ſich ſchleppt? [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/50>, abgerufen am 26.11.2024.