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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Rot bepinselt er sich. Farben über Farben tättowiert er sich
in die Haut ein. Durch den Purpurrock zeichnet sich bei den
Bekleideten der König vor der Menge aus. Mit dem vollen
Siegellackrot der Mandrillnase rinnt der Saum um die Toga
des römischen Senators. Aus Rot und Blau in strengstem
Gegensatz baut sich die Kleiderfarbe der sixtinischen Madonna
auf. Rot ist der Kardinalshut und der Streifen der Generals¬
hose. Wenn in unseren Kulturländern heute vor allem die
Männerkleidung wirklich fast dem Abtönungsprinzip ins Schmutzig¬
graue, Braune, Schwarze verfallen ist, wie es jene Theorie
brauchte, so läßt sich mit Sicherheit nachweisen, daß hier das
Ergebnis einer ausgesucht unkünstlerischen, dem natürlichen
ästhetischen Prinzip entfremdeten Zwischenepoche vorliegt. Alle
Künstler schreien gen Himmel davor, und über kurz oder lang
wird diese puritanisch-bourgeoise Dreckfarbentracht wieder von
uns gehen wie ein böser Spuk, besiegt vom farbenfrohen Auge
des gesunden Menschen, das heute noch in diesem Punkte ge¬
nau so empfindet, wie der Paradiesvogel. Wann soll das je
dauernd in Affenmenschentagen unterdrückt gewesen sein? In
der zweitältesten Fundstätte menschlicher Urkultur, die wir heute
kennen, an der Schussenquelle in Oberschwaben, neben Renn¬
tierknochen und den grönländischen Moosen eines Gletschersees
zwischen Moränenschutt der Eiszeit, hat sich roter Farbstoff in
Masse gefunden: mit Renntierfett eingefettete Farbpasten aus
Eisenrot, wie es der geschlämmte Thoneisenstein der benachbarten
Alb lieferte. Kein Zweifel besteht, daß hier schon prähistorische
Menschen, Mammut- und Renntierjäger, ihre Nacktheit mit
einem grellroten Anstrich nachträglich mandrillhaft illustriert
haben, sintemalen ihnen die natürliche Grundfarbe nicht ge¬
nügte. Und da sollen die Ahnen aus ästhetischem Trieb ab¬
geschafft haben, was die nahen Enkel schon wieder so lebhaft
erstrebten, daß sie es künstlich aufpinselten?

Darwin meinte, der Knoten lasse sich denn auch mit einer
viel einfacheren Methode zerhauen. Die Haut sei eben nicht

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Rot bepinſelt er ſich. Farben über Farben tättowiert er ſich
in die Haut ein. Durch den Purpurrock zeichnet ſich bei den
Bekleideten der König vor der Menge aus. Mit dem vollen
Siegellackrot der Mandrillnaſe rinnt der Saum um die Toga
des römiſchen Senators. Aus Rot und Blau in ſtrengſtem
Gegenſatz baut ſich die Kleiderfarbe der ſixtiniſchen Madonna
auf. Rot iſt der Kardinalshut und der Streifen der Generals¬
hoſe. Wenn in unſeren Kulturländern heute vor allem die
Männerkleidung wirklich faſt dem Abtönungsprinzip ins Schmutzig¬
graue, Braune, Schwarze verfallen iſt, wie es jene Theorie
brauchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit nachweiſen, daß hier das
Ergebnis einer ausgeſucht unkünſtleriſchen, dem natürlichen
äſthetiſchen Prinzip entfremdeten Zwiſchenepoche vorliegt. Alle
Künſtler ſchreien gen Himmel davor, und über kurz oder lang
wird dieſe puritaniſch-bourgeoiſe Dreckfarbentracht wieder von
uns gehen wie ein böſer Spuk, beſiegt vom farbenfrohen Auge
des geſunden Menſchen, das heute noch in dieſem Punkte ge¬
nau ſo empfindet, wie der Paradiesvogel. Wann ſoll das je
dauernd in Affenmenſchentagen unterdrückt geweſen ſein? In
der zweitälteſten Fundſtätte menſchlicher Urkultur, die wir heute
kennen, an der Schuſſenquelle in Oberſchwaben, neben Renn¬
tierknochen und den grönländiſchen Mooſen eines Gletſcherſees
zwiſchen Moränenſchutt der Eiszeit, hat ſich roter Farbſtoff in
Maſſe gefunden: mit Renntierfett eingefettete Farbpaſten aus
Eiſenrot, wie es der geſchlämmte Thoneiſenſtein der benachbarten
Alb lieferte. Kein Zweifel beſteht, daß hier ſchon prähiſtoriſche
Menſchen, Mammut- und Renntierjäger, ihre Nacktheit mit
einem grellroten Anſtrich nachträglich mandrillhaft illuſtriert
haben, ſintemalen ihnen die natürliche Grundfarbe nicht ge¬
nügte. Und da ſollen die Ahnen aus äſthetiſchem Trieb ab¬
geſchafft haben, was die nahen Enkel ſchon wieder ſo lebhaft
erſtrebten, daß ſie es künſtlich aufpinſelten?

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viel einfacheren Methode zerhauen. Die Haut ſei eben nicht

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[33/0047] Rot bepinſelt er ſich. Farben über Farben tättowiert er ſich in die Haut ein. Durch den Purpurrock zeichnet ſich bei den Bekleideten der König vor der Menge aus. Mit dem vollen Siegellackrot der Mandrillnaſe rinnt der Saum um die Toga des römiſchen Senators. Aus Rot und Blau in ſtrengſtem Gegenſatz baut ſich die Kleiderfarbe der ſixtiniſchen Madonna auf. Rot iſt der Kardinalshut und der Streifen der Generals¬ hoſe. Wenn in unſeren Kulturländern heute vor allem die Männerkleidung wirklich faſt dem Abtönungsprinzip ins Schmutzig¬ graue, Braune, Schwarze verfallen iſt, wie es jene Theorie brauchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit nachweiſen, daß hier das Ergebnis einer ausgeſucht unkünſtleriſchen, dem natürlichen äſthetiſchen Prinzip entfremdeten Zwiſchenepoche vorliegt. Alle Künſtler ſchreien gen Himmel davor, und über kurz oder lang wird dieſe puritaniſch-bourgeoiſe Dreckfarbentracht wieder von uns gehen wie ein böſer Spuk, beſiegt vom farbenfrohen Auge des geſunden Menſchen, das heute noch in dieſem Punkte ge¬ nau ſo empfindet, wie der Paradiesvogel. Wann ſoll das je dauernd in Affenmenſchentagen unterdrückt geweſen ſein? In der zweitälteſten Fundſtätte menſchlicher Urkultur, die wir heute kennen, an der Schuſſenquelle in Oberſchwaben, neben Renn¬ tierknochen und den grönländiſchen Mooſen eines Gletſcherſees zwiſchen Moränenſchutt der Eiszeit, hat ſich roter Farbſtoff in Maſſe gefunden: mit Renntierfett eingefettete Farbpaſten aus Eiſenrot, wie es der geſchlämmte Thoneiſenſtein der benachbarten Alb lieferte. Kein Zweifel beſteht, daß hier ſchon prähiſtoriſche Menſchen, Mammut- und Renntierjäger, ihre Nacktheit mit einem grellroten Anſtrich nachträglich mandrillhaft illuſtriert haben, ſintemalen ihnen die natürliche Grundfarbe nicht ge¬ nügte. Und da ſollen die Ahnen aus äſthetiſchem Trieb ab¬ geſchafft haben, was die nahen Enkel ſchon wieder ſo lebhaft erſtrebten, daß ſie es künſtlich aufpinſelten? Darwin meinte, der Knoten laſſe ſich denn auch mit einer viel einfacheren Methode zerhauen. Die Haut ſei eben nicht 3

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/47>, abgerufen am 03.05.2024.