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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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jetzt, die Algen müßten doch wohl jedesmal auf das ganz
kleine Polyplein sich mit einem wahren Heißhunger sofort
losstürzen, um es mit sich grün zu tapezieren. Aber woher?
Vergebens suchte man im Wasser, wo die Polypen ihre Wochen¬
stube hatten, nach den nötigen ringsum lauernden Algen. Zum
Überfluß setzte man Polypen in ein sorgfältig rein gehaltenes,
absolut algenfreies Aquarium, und sie heckten dennoch gras¬
grüne Junge. Des Rätsels Lösung ist endlich gewesen, daß
die Algen schon im Mutterleibe des Polypen in seine Eier
kriechen und so mit übertragen werden. Für gewöhnlich sitzt
das grüne Algenvolk ziemlich tief in der Leibeswand des Po¬
lypen. Der Polyp hat nun die Eigenschaft, wenn er weib¬
liche Eier erzeugt, diese wie Warzen aus seiner äußersten
Hautdecke heraussprießen zu lassen. Sobald er damit aber
im Gange ist und noch ehe die Eizelle richtig heraus ist,
haben schon grüne Algen sich ebenfalls bis in diese Eier¬
gegend vorgebohrt, sind in das Ei leibhaftig mithineingekrochen
und treiben nun, während das Ei befruchtet wird und einen
neuen Polypen aus sich entwickelt, in diesem Ei und werdenden
Polypen selber fleißig Liebesleben, maßen sie sich durch ein¬
fache Selbstteilung nach Rumpelstilzchens Urbrauch massenhaft
vermehren, bis sie endlich den fertigen neuen Polypen aber¬
mals mit einem ganzen innerlichen Geheimhemde ihres Pflanzen¬
grüns überzogen haben. Bei solcher Kunst konnte allerdings
dieses Algenvolk sein Sonderleben im Wasser draußen schlie߬
lich ganz aufgeben und sich auf seine Polypen beschränken.

Nun kannst du dir diese Geschichte leicht aber noch ein
bißchen weiter ausdenken. Stelle dir vor, das Verhältnis
zwischen dem Polyp und seinen Algen wäre kein so behagliches,
wie es zu sein scheint. Etwa: die Algen da drinnen ex¬
krementierten nicht bloß angenehmen Sauerstoff, den der Polyp
wie Champagner gern säuft, sondern irgend welche Exkremente
von ekelhafterer, dem Polypen zuwiderer Natur. Der Polyp
bekäme also von seinen Grünfärbern die fatalsten Bauchschmerzen,

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jetzt, die Algen müßten doch wohl jedesmal auf das ganz
kleine Polyplein ſich mit einem wahren Heißhunger ſofort
losſtürzen, um es mit ſich grün zu tapezieren. Aber woher?
Vergebens ſuchte man im Waſſer, wo die Polypen ihre Wochen¬
ſtube hatten, nach den nötigen ringsum lauernden Algen. Zum
Überfluß ſetzte man Polypen in ein ſorgfältig rein gehaltenes,
abſolut algenfreies Aquarium, und ſie heckten dennoch gras¬
grüne Junge. Des Rätſels Löſung iſt endlich geweſen, daß
die Algen ſchon im Mutterleibe des Polypen in ſeine Eier
kriechen und ſo mit übertragen werden. Für gewöhnlich ſitzt
das grüne Algenvolk ziemlich tief in der Leibeswand des Po¬
lypen. Der Polyp hat nun die Eigenſchaft, wenn er weib¬
liche Eier erzeugt, dieſe wie Warzen aus ſeiner äußerſten
Hautdecke herausſprießen zu laſſen. Sobald er damit aber
im Gange iſt und noch ehe die Eizelle richtig heraus iſt,
haben ſchon grüne Algen ſich ebenfalls bis in dieſe Eier¬
gegend vorgebohrt, ſind in das Ei leibhaftig mithineingekrochen
und treiben nun, während das Ei befruchtet wird und einen
neuen Polypen aus ſich entwickelt, in dieſem Ei und werdenden
Polypen ſelber fleißig Liebesleben, maßen ſie ſich durch ein¬
fache Selbſtteilung nach Rumpelſtilzchens Urbrauch maſſenhaft
vermehren, bis ſie endlich den fertigen neuen Polypen aber¬
mals mit einem ganzen innerlichen Geheimhemde ihres Pflanzen¬
grüns überzogen haben. Bei ſolcher Kunſt konnte allerdings
dieſes Algenvolk ſein Sonderleben im Waſſer draußen ſchlie߬
lich ganz aufgeben und ſich auf ſeine Polypen beſchränken.

Nun kannſt du dir dieſe Geſchichte leicht aber noch ein
bißchen weiter ausdenken. Stelle dir vor, das Verhältnis
zwiſchen dem Polyp und ſeinen Algen wäre kein ſo behagliches,
wie es zu ſein ſcheint. Etwa: die Algen da drinnen ex¬
krementierten nicht bloß angenehmen Sauerſtoff, den der Polyp
wie Champagner gern ſäuft, ſondern irgend welche Exkremente
von ekelhafterer, dem Polypen zuwiderer Natur. Der Polyp
bekäme alſo von ſeinen Grünfärbern die fatalſten Bauchſchmerzen,

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[339/0353] jetzt, die Algen müßten doch wohl jedesmal auf das ganz kleine Polyplein ſich mit einem wahren Heißhunger ſofort losſtürzen, um es mit ſich grün zu tapezieren. Aber woher? Vergebens ſuchte man im Waſſer, wo die Polypen ihre Wochen¬ ſtube hatten, nach den nötigen ringsum lauernden Algen. Zum Überfluß ſetzte man Polypen in ein ſorgfältig rein gehaltenes, abſolut algenfreies Aquarium, und ſie heckten dennoch gras¬ grüne Junge. Des Rätſels Löſung iſt endlich geweſen, daß die Algen ſchon im Mutterleibe des Polypen in ſeine Eier kriechen und ſo mit übertragen werden. Für gewöhnlich ſitzt das grüne Algenvolk ziemlich tief in der Leibeswand des Po¬ lypen. Der Polyp hat nun die Eigenſchaft, wenn er weib¬ liche Eier erzeugt, dieſe wie Warzen aus ſeiner äußerſten Hautdecke herausſprießen zu laſſen. Sobald er damit aber im Gange iſt und noch ehe die Eizelle richtig heraus iſt, haben ſchon grüne Algen ſich ebenfalls bis in dieſe Eier¬ gegend vorgebohrt, ſind in das Ei leibhaftig mithineingekrochen und treiben nun, während das Ei befruchtet wird und einen neuen Polypen aus ſich entwickelt, in dieſem Ei und werdenden Polypen ſelber fleißig Liebesleben, maßen ſie ſich durch ein¬ fache Selbſtteilung nach Rumpelſtilzchens Urbrauch maſſenhaft vermehren, bis ſie endlich den fertigen neuen Polypen aber¬ mals mit einem ganzen innerlichen Geheimhemde ihres Pflanzen¬ grüns überzogen haben. Bei ſolcher Kunſt konnte allerdings dieſes Algenvolk ſein Sonderleben im Waſſer draußen ſchlie߬ lich ganz aufgeben und ſich auf ſeine Polypen beſchränken. Nun kannſt du dir dieſe Geſchichte leicht aber noch ein bißchen weiter ausdenken. Stelle dir vor, das Verhältnis zwiſchen dem Polyp und ſeinen Algen wäre kein ſo behagliches, wie es zu ſein ſcheint. Etwa: die Algen da drinnen ex¬ krementierten nicht bloß angenehmen Sauerſtoff, den der Polyp wie Champagner gern ſäuft, ſondern irgend welche Exkremente von ekelhafterer, dem Polypen zuwiderer Natur. Der Polyp bekäme alſo von ſeinen Grünfärbern die fatalſten Bauchſchmerzen, 22*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/353>, abgerufen am 19.05.2024.