von der Beringstraße: in ihm steckt ein armes Koljuschen¬ mädchen mit geschwärztem Gesicht. Ein Jahr lang steckt es jetzt schon darin. Seine Sünde war die erste Menstruation. Die Neubritannierin muß es ähnlich fünf Jahre und mehr in einer einsamen Waldhütte aushalten.
Der vage schweifenden Phantasie ist die Menstruation nämlich nicht das erste hoffnungsfrohe Sichentfalten der weib¬ lichen Liebesblüte. Sie ist ein Schrecken, ein Vampyr, ein Ungeheuer. Da schreitet im Zuge der dicke Plinius, Allerwelts¬ apotheker der ganzen antiken Realweisheit von der Natur. Er belehrt dich, daß von der Berührung mit der Menstruierenden das blankeste Rasiermesser augenblicklich rostet. Das trächtige Vieh kalbt vor der Zeit schon bei ihrem Anblick. Der Hund, der von dem Blute leckt, wird toll. Setzt die Unselige sich unter einen Baum, so fallen die Früchte welk herab und die Pfropfreiser dorren. Aber auch dort der kraftlose, sieche Indianer, von dem Plinius noch nichts gewußt hat, ist so, weil er auf, Menstrualblut getreten hat. Am Orinoko breitet sich Wüste, wo eine Menstruierende ein Bedürfnis verrichtet hat. Im heutigen Italien, wo die Volksphantasie noch üppig blüt, be¬ rührt die Verfehmte die Wiese und alles Gras ist welk wohin sie tritt, ja es sproßt auf dieser Brandstätte niemals wieder. Ein Hebammenbüchlein des 18. Jahrhunderts kündet dir, daß dieses Geblüt nicht anders wirkt denn Scheidewasser. Der Spiegel dort mit seinen zwei unheimlichen runden Flecken, die sich tief durch Glas und Quecksilber gefressen haben, ist so ge¬ zeichnet vom Dreinschauen einer Blutjungfrau: ihre Augen haben die Löcher gebrannt. Die Schlange, die dort heran¬ kriecht, ist in der Brutwärme eines Misthaufens aus dem Haar einer Menstruierenden entstanden. Der Mensch, der sich dort in Krämpfen zu Tode windet, ist nicht von einem tollen Hunde gebissen, sondern von einem blutenden Weibe.
Der Leibarzt des großen Kurfürsten, Baldasar Timäus von Güldenklee, unterrichtet dich im Jahre 1704, daß das
von der Beringſtraße: in ihm ſteckt ein armes Koljuſchen¬ mädchen mit geſchwärztem Geſicht. Ein Jahr lang ſteckt es jetzt ſchon darin. Seine Sünde war die erſte Menſtruation. Die Neubritannierin muß es ähnlich fünf Jahre und mehr in einer einſamen Waldhütte aushalten.
Der vage ſchweifenden Phantaſie iſt die Menſtruation nämlich nicht das erſte hoffnungsfrohe Sichentfalten der weib¬ lichen Liebesblüte. Sie iſt ein Schrecken, ein Vampyr, ein Ungeheuer. Da ſchreitet im Zuge der dicke Plinius, Allerwelts¬ apotheker der ganzen antiken Realweisheit von der Natur. Er belehrt dich, daß von der Berührung mit der Menſtruierenden das blankeſte Raſiermeſſer augenblicklich roſtet. Das trächtige Vieh kalbt vor der Zeit ſchon bei ihrem Anblick. Der Hund, der von dem Blute leckt, wird toll. Setzt die Unſelige ſich unter einen Baum, ſo fallen die Früchte welk herab und die Pfropfreiſer dorren. Aber auch dort der kraftloſe, ſieche Indianer, von dem Plinius noch nichts gewußt hat, iſt ſo, weil er auf, Menſtrualblut getreten hat. Am Orinoko breitet ſich Wüſte, wo eine Menſtruierende ein Bedürfnis verrichtet hat. Im heutigen Italien, wo die Volksphantaſie noch üppig blüt, be¬ rührt die Verfehmte die Wieſe und alles Gras iſt welk wohin ſie tritt, ja es ſproßt auf dieſer Brandſtätte niemals wieder. Ein Hebammenbüchlein des 18. Jahrhunderts kündet dir, daß dieſes Geblüt nicht anders wirkt denn Scheidewaſſer. Der Spiegel dort mit ſeinen zwei unheimlichen runden Flecken, die ſich tief durch Glas und Queckſilber gefreſſen haben, iſt ſo ge¬ zeichnet vom Dreinſchauen einer Blutjungfrau: ihre Augen haben die Löcher gebrannt. Die Schlange, die dort heran¬ kriecht, iſt in der Brutwärme eines Miſthaufens aus dem Haar einer Menſtruierenden entſtanden. Der Menſch, der ſich dort in Krämpfen zu Tode windet, iſt nicht von einem tollen Hunde gebiſſen, ſondern von einem blutenden Weibe.
Der Leibarzt des großen Kurfürſten, Baldaſar Timäus von Güldenklee, unterrichtet dich im Jahre 1704, daß das
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0325"n="311"/>
von der Beringſtraße: in ihm ſteckt ein armes Koljuſchen¬<lb/>
mädchen mit geſchwärztem Geſicht. Ein Jahr lang ſteckt es<lb/>
jetzt ſchon darin. Seine Sünde war die erſte Menſtruation.<lb/>
Die Neubritannierin muß es ähnlich fünf Jahre und mehr in<lb/>
einer einſamen Waldhütte aushalten.</p><lb/><p>Der vage ſchweifenden Phantaſie iſt die Menſtruation<lb/>
nämlich nicht das erſte hoffnungsfrohe Sichentfalten der weib¬<lb/>
lichen Liebesblüte. Sie iſt ein Schrecken, ein Vampyr, ein<lb/>
Ungeheuer. Da ſchreitet im Zuge der dicke Plinius, Allerwelts¬<lb/>
apotheker der ganzen antiken Realweisheit von der Natur.<lb/>
Er belehrt dich, daß von der Berührung mit der Menſtruierenden<lb/>
das blankeſte Raſiermeſſer augenblicklich roſtet. Das trächtige<lb/>
Vieh kalbt vor der Zeit ſchon bei ihrem Anblick. Der Hund,<lb/>
der von dem Blute leckt, wird toll. Setzt die Unſelige ſich<lb/>
unter einen Baum, ſo fallen die Früchte welk herab und die<lb/>
Pfropfreiſer dorren. Aber auch dort der kraftloſe, ſieche Indianer,<lb/>
von dem Plinius noch nichts gewußt hat, iſt ſo, weil er auf,<lb/>
Menſtrualblut getreten hat. Am Orinoko breitet ſich Wüſte,<lb/>
wo eine Menſtruierende ein Bedürfnis verrichtet hat. Im<lb/>
heutigen Italien, wo die Volksphantaſie noch üppig blüt, be¬<lb/>
rührt die Verfehmte die Wieſe und alles Gras iſt welk wohin<lb/>ſie tritt, ja es ſproßt auf dieſer Brandſtätte niemals wieder.<lb/>
Ein Hebammenbüchlein des 18. Jahrhunderts kündet dir, daß<lb/>
dieſes Geblüt nicht anders wirkt denn Scheidewaſſer. Der<lb/>
Spiegel dort mit ſeinen zwei unheimlichen runden Flecken, die<lb/>ſich tief durch Glas und Queckſilber gefreſſen haben, iſt ſo ge¬<lb/>
zeichnet vom Dreinſchauen einer Blutjungfrau: ihre Augen<lb/>
haben die Löcher gebrannt. Die Schlange, die dort heran¬<lb/>
kriecht, iſt in der Brutwärme eines Miſthaufens aus dem Haar<lb/>
einer Menſtruierenden entſtanden. Der Menſch, der ſich dort<lb/>
in Krämpfen zu Tode windet, iſt nicht von einem tollen Hunde<lb/>
gebiſſen, ſondern von einem blutenden Weibe.</p><lb/><p>Der Leibarzt des großen Kurfürſten, Baldaſar Timäus<lb/>
von Güldenklee, unterrichtet dich im Jahre 1704, daß das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[311/0325]
von der Beringſtraße: in ihm ſteckt ein armes Koljuſchen¬
mädchen mit geſchwärztem Geſicht. Ein Jahr lang ſteckt es
jetzt ſchon darin. Seine Sünde war die erſte Menſtruation.
Die Neubritannierin muß es ähnlich fünf Jahre und mehr in
einer einſamen Waldhütte aushalten.
Der vage ſchweifenden Phantaſie iſt die Menſtruation
nämlich nicht das erſte hoffnungsfrohe Sichentfalten der weib¬
lichen Liebesblüte. Sie iſt ein Schrecken, ein Vampyr, ein
Ungeheuer. Da ſchreitet im Zuge der dicke Plinius, Allerwelts¬
apotheker der ganzen antiken Realweisheit von der Natur.
Er belehrt dich, daß von der Berührung mit der Menſtruierenden
das blankeſte Raſiermeſſer augenblicklich roſtet. Das trächtige
Vieh kalbt vor der Zeit ſchon bei ihrem Anblick. Der Hund,
der von dem Blute leckt, wird toll. Setzt die Unſelige ſich
unter einen Baum, ſo fallen die Früchte welk herab und die
Pfropfreiſer dorren. Aber auch dort der kraftloſe, ſieche Indianer,
von dem Plinius noch nichts gewußt hat, iſt ſo, weil er auf,
Menſtrualblut getreten hat. Am Orinoko breitet ſich Wüſte,
wo eine Menſtruierende ein Bedürfnis verrichtet hat. Im
heutigen Italien, wo die Volksphantaſie noch üppig blüt, be¬
rührt die Verfehmte die Wieſe und alles Gras iſt welk wohin
ſie tritt, ja es ſproßt auf dieſer Brandſtätte niemals wieder.
Ein Hebammenbüchlein des 18. Jahrhunderts kündet dir, daß
dieſes Geblüt nicht anders wirkt denn Scheidewaſſer. Der
Spiegel dort mit ſeinen zwei unheimlichen runden Flecken, die
ſich tief durch Glas und Queckſilber gefreſſen haben, iſt ſo ge¬
zeichnet vom Dreinſchauen einer Blutjungfrau: ihre Augen
haben die Löcher gebrannt. Die Schlange, die dort heran¬
kriecht, iſt in der Brutwärme eines Miſthaufens aus dem Haar
einer Menſtruierenden entſtanden. Der Menſch, der ſich dort
in Krämpfen zu Tode windet, iſt nicht von einem tollen Hunde
gebiſſen, ſondern von einem blutenden Weibe.
Der Leibarzt des großen Kurfürſten, Baldaſar Timäus
von Güldenklee, unterrichtet dich im Jahre 1704, daß das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/325>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.