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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Was ergiebt sich aber auch da wieder anderes, als eine
neue Wurzel der Ehe?

Und wiederum ist es eine Wurzel, die nur stärker werden
kann, je mehr die groben Schutzdinge im Verfolg einer großen
Sozialordnung überflüssig werden. Je mehr Freiheit, je mehr
stille Möglichkeit für alle Quellen, im grünen Kulturwalde
ohne Trübungsgefahr zu sprudeln, -- desto lebhafter und
aussichtsvoller der Wunsch, das Beste und Vergeistigtste unserer
Persönlichkeit unseren Kindern nicht bloß durch die Minute
einer Weibesumarmung, sondern durch lange Jahre freien
Bewußtseinsverkehrs zu übermitteln. In diesem Zeugungs¬
augenblick ist es, als falle eine Wolke auf unser Bewußtsein.
Laß sie, es ist die Wolke, in der Jahrmillionen vorüberziehen,
in der das ganze Besitztum deiner Ahnen im Extrakt eines
winzigen Tröpfchens heiligen Weltenstoffes von dir vorüber¬
geht. Aber wenn aus dieser Wolke sich dann das wirkliche
Kind erhebt, so beginnt der andere, ungeheure Apparat deines
Bewußtseins um so mächtiger zu arbeiten, auf den Flügeln
der Sprache entläßt er seine Engel zu diesem Kinde. Dein
Gehirn ist es jetzt, das dort das Zeugungswerk fortsetzt. Willst
du diese ganze Riesenseite der Individualarbeit einfach über
Bord werfen, weil eine verbesserte Sozialordnung dein Kind
auch nährt und kleidet und auf die nötigen Schutzsignale des
Lebens eindrillt, auch wenn du dich nicht um es bekümmerst?

Ich meine, daß von diesen höchsten individuellen Impon¬
derabilien der Erziehung im großen und ganzen genau das
gleiche gilt, wie von der körperlichen Zeugung: sie wird nie auf
den Markt in die Masse gehören, wie auch die Welt und ihre
Moral sich wandle, sondern ins enge Kämmerlein, wo zwei
Menschen nach nichts anderem Verlangen tragen als nur nach
sich, weil sie in sich die Welt fühlen, die mit den Schauern
des ewigen Geheimnisses über sie rauscht.

Seien wir ehrlich, so müssen wir bekennen, daß im
dumpfen Empfinden dieses wahren unvergänglichen Wurzel¬

Was ergiebt ſich aber auch da wieder anderes, als eine
neue Wurzel der Ehe?

Und wiederum iſt es eine Wurzel, die nur ſtärker werden
kann, je mehr die groben Schutzdinge im Verfolg einer großen
Sozialordnung überflüſſig werden. Je mehr Freiheit, je mehr
ſtille Möglichkeit für alle Quellen, im grünen Kulturwalde
ohne Trübungsgefahr zu ſprudeln, — deſto lebhafter und
ausſichtsvoller der Wunſch, das Beſte und Vergeiſtigtſte unſerer
Perſönlichkeit unſeren Kindern nicht bloß durch die Minute
einer Weibesumarmung, ſondern durch lange Jahre freien
Bewußtſeinsverkehrs zu übermitteln. In dieſem Zeugungs¬
augenblick iſt es, als falle eine Wolke auf unſer Bewußtſein.
Laß ſie, es iſt die Wolke, in der Jahrmillionen vorüberziehen,
in der das ganze Beſitztum deiner Ahnen im Extrakt eines
winzigen Tröpfchens heiligen Weltenſtoffes von dir vorüber¬
geht. Aber wenn aus dieſer Wolke ſich dann das wirkliche
Kind erhebt, ſo beginnt der andere, ungeheure Apparat deines
Bewußtſeins um ſo mächtiger zu arbeiten, auf den Flügeln
der Sprache entläßt er ſeine Engel zu dieſem Kinde. Dein
Gehirn iſt es jetzt, das dort das Zeugungswerk fortſetzt. Willſt
du dieſe ganze Rieſenſeite der Individualarbeit einfach über
Bord werfen, weil eine verbeſſerte Sozialordnung dein Kind
auch nährt und kleidet und auf die nötigen Schutzſignale des
Lebens eindrillt, auch wenn du dich nicht um es bekümmerſt?

Ich meine, daß von dieſen höchſten individuellen Impon¬
derabilien der Erziehung im großen und ganzen genau das
gleiche gilt, wie von der körperlichen Zeugung: ſie wird nie auf
den Markt in die Maſſe gehören, wie auch die Welt und ihre
Moral ſich wandle, ſondern ins enge Kämmerlein, wo zwei
Menſchen nach nichts anderem Verlangen tragen als nur nach
ſich, weil ſie in ſich die Welt fühlen, die mit den Schauern
des ewigen Geheimniſſes über ſie rauſcht.

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[302/0316] Was ergiebt ſich aber auch da wieder anderes, als eine neue Wurzel der Ehe? Und wiederum iſt es eine Wurzel, die nur ſtärker werden kann, je mehr die groben Schutzdinge im Verfolg einer großen Sozialordnung überflüſſig werden. Je mehr Freiheit, je mehr ſtille Möglichkeit für alle Quellen, im grünen Kulturwalde ohne Trübungsgefahr zu ſprudeln, — deſto lebhafter und ausſichtsvoller der Wunſch, das Beſte und Vergeiſtigtſte unſerer Perſönlichkeit unſeren Kindern nicht bloß durch die Minute einer Weibesumarmung, ſondern durch lange Jahre freien Bewußtſeinsverkehrs zu übermitteln. In dieſem Zeugungs¬ augenblick iſt es, als falle eine Wolke auf unſer Bewußtſein. Laß ſie, es iſt die Wolke, in der Jahrmillionen vorüberziehen, in der das ganze Beſitztum deiner Ahnen im Extrakt eines winzigen Tröpfchens heiligen Weltenſtoffes von dir vorüber¬ geht. Aber wenn aus dieſer Wolke ſich dann das wirkliche Kind erhebt, ſo beginnt der andere, ungeheure Apparat deines Bewußtſeins um ſo mächtiger zu arbeiten, auf den Flügeln der Sprache entläßt er ſeine Engel zu dieſem Kinde. Dein Gehirn iſt es jetzt, das dort das Zeugungswerk fortſetzt. Willſt du dieſe ganze Rieſenſeite der Individualarbeit einfach über Bord werfen, weil eine verbeſſerte Sozialordnung dein Kind auch nährt und kleidet und auf die nötigen Schutzſignale des Lebens eindrillt, auch wenn du dich nicht um es bekümmerſt? Ich meine, daß von dieſen höchſten individuellen Impon¬ derabilien der Erziehung im großen und ganzen genau das gleiche gilt, wie von der körperlichen Zeugung: ſie wird nie auf den Markt in die Maſſe gehören, wie auch die Welt und ihre Moral ſich wandle, ſondern ins enge Kämmerlein, wo zwei Menſchen nach nichts anderem Verlangen tragen als nur nach ſich, weil ſie in ſich die Welt fühlen, die mit den Schauern des ewigen Geheimniſſes über ſie rauſcht. Seien wir ehrlich, ſo müſſen wir bekennen, daß im dumpfen Empfinden dieſes wahren unvergänglichen Wurzel¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/316>, abgerufen am 22.11.2024.