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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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lichen. Dieses Individuum sucht jetzt ein zweites Individuum.
Es sucht nicht ein beliebiges Wesen bloß vom anderen Ge¬
schlecht. Es sucht innerhalb des anderen Geschlechts ein
Individuum, das ergänzend zu seinem tiefsten persönlichen
Wurzelwerte steht. Diese Ergänzung kann in mancherlei Rich¬
tungen sich ergehen. Sie kann auf bestimmten Contrastgründen
beruhen, die doch gerade ein vielseitiges Ganzes ergeben. Sie
kann auf einfacher Ähnlichkeit beruhen, so daß die Vermischung
von Gleich mit Gleich ein einfaches Plus des Wurzelwertes,
der individuellen Wucht ergiebt. Voraussetzung ist aber auf
alle Fälle eine ganz bestimmte Beziehung der individuellen
Kernpunkte beider aufeinander.

Nun kommt das Kind aus dieser Verbindung. Es ist
nicht bloß einfaches soziales Material als neue Menschen¬
nummer. Es ist auch nicht bloß ein neuer Wurzelwert an
sich aus dem Unbekannten heraus. Es ist aller Wahrschein¬
lichkeit nach, so viel wir vom Geheimnis der Vererbung wissen,
gleichzeitig eine Steigerung jener beiden elterlichen schon so
verwandten Individualpunkte, es drückt eine ganz bestimmte
Individualkonstellation weiter durch.

Und das muß von einer eminenten Bedeutung sein für
die gesamte Rolle und Wirkungskraft des Individuellen im Ent¬
wickelungsspiel. Dieses auf bestimmte individuelle Richtung hin
gezeugte "Wahlkind" ist ein ganz anderes Ding als das be¬
liebige einfache "Zeugungskind". Mit Schutzgenossenschaft und
so weiter im wirtschaftlichen Sinne aber hat diese ganze Sache
absolut nichts zu thun, sie wird also auch von allen sozialen
Fortschritten nicht berührt. Höchstens daß du sagen kannst:
je weniger Rücksicht auf Schutzgenossenschaft bei den Eltern
nötig wird, je mehr das soziale Dach sich schützend auch über
sie breitet, desto leichter wird die höchste Verfeinerung der
individuellen Sympathiewahl werden. Das ist wichtig und ist
für Zukunftsbetrachtungen sogar sehr wichtig. Aber bleiben
wir jetzt ganz in der individuellen Linie.

lichen. Dieſes Individuum ſucht jetzt ein zweites Individuum.
Es ſucht nicht ein beliebiges Weſen bloß vom anderen Ge¬
ſchlecht. Es ſucht innerhalb des anderen Geſchlechts ein
Individuum, das ergänzend zu ſeinem tiefſten perſönlichen
Wurzelwerte ſteht. Dieſe Ergänzung kann in mancherlei Rich¬
tungen ſich ergehen. Sie kann auf beſtimmten Contraſtgründen
beruhen, die doch gerade ein vielſeitiges Ganzes ergeben. Sie
kann auf einfacher Ähnlichkeit beruhen, ſo daß die Vermiſchung
von Gleich mit Gleich ein einfaches Plus des Wurzelwertes,
der individuellen Wucht ergiebt. Vorausſetzung iſt aber auf
alle Fälle eine ganz beſtimmte Beziehung der individuellen
Kernpunkte beider aufeinander.

Nun kommt das Kind aus dieſer Verbindung. Es iſt
nicht bloß einfaches ſoziales Material als neue Menſchen¬
nummer. Es iſt auch nicht bloß ein neuer Wurzelwert an
ſich aus dem Unbekannten heraus. Es iſt aller Wahrſchein¬
lichkeit nach, ſo viel wir vom Geheimnis der Vererbung wiſſen,
gleichzeitig eine Steigerung jener beiden elterlichen ſchon ſo
verwandten Individualpunkte, es drückt eine ganz beſtimmte
Individualkonſtellation weiter durch.

Und das muß von einer eminenten Bedeutung ſein für
die geſamte Rolle und Wirkungskraft des Individuellen im Ent¬
wickelungsſpiel. Dieſes auf beſtimmte individuelle Richtung hin
gezeugte „Wahlkind“ iſt ein ganz anderes Ding als das be¬
liebige einfache „Zeugungskind“. Mit Schutzgenoſſenſchaft und
ſo weiter im wirtſchaftlichen Sinne aber hat dieſe ganze Sache
abſolut nichts zu thun, ſie wird alſo auch von allen ſozialen
Fortſchritten nicht berührt. Höchſtens daß du ſagen kannſt:
je weniger Rückſicht auf Schutzgenoſſenſchaft bei den Eltern
nötig wird, je mehr das ſoziale Dach ſich ſchützend auch über
ſie breitet, deſto leichter wird die höchſte Verfeinerung der
individuellen Sympathiewahl werden. Das iſt wichtig und iſt
für Zukunftsbetrachtungen ſogar ſehr wichtig. Aber bleiben
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[299/0313] lichen. Dieſes Individuum ſucht jetzt ein zweites Individuum. Es ſucht nicht ein beliebiges Weſen bloß vom anderen Ge¬ ſchlecht. Es ſucht innerhalb des anderen Geſchlechts ein Individuum, das ergänzend zu ſeinem tiefſten perſönlichen Wurzelwerte ſteht. Dieſe Ergänzung kann in mancherlei Rich¬ tungen ſich ergehen. Sie kann auf beſtimmten Contraſtgründen beruhen, die doch gerade ein vielſeitiges Ganzes ergeben. Sie kann auf einfacher Ähnlichkeit beruhen, ſo daß die Vermiſchung von Gleich mit Gleich ein einfaches Plus des Wurzelwertes, der individuellen Wucht ergiebt. Vorausſetzung iſt aber auf alle Fälle eine ganz beſtimmte Beziehung der individuellen Kernpunkte beider aufeinander. Nun kommt das Kind aus dieſer Verbindung. Es iſt nicht bloß einfaches ſoziales Material als neue Menſchen¬ nummer. Es iſt auch nicht bloß ein neuer Wurzelwert an ſich aus dem Unbekannten heraus. Es iſt aller Wahrſchein¬ lichkeit nach, ſo viel wir vom Geheimnis der Vererbung wiſſen, gleichzeitig eine Steigerung jener beiden elterlichen ſchon ſo verwandten Individualpunkte, es drückt eine ganz beſtimmte Individualkonſtellation weiter durch. Und das muß von einer eminenten Bedeutung ſein für die geſamte Rolle und Wirkungskraft des Individuellen im Ent¬ wickelungsſpiel. Dieſes auf beſtimmte individuelle Richtung hin gezeugte „Wahlkind“ iſt ein ganz anderes Ding als das be¬ liebige einfache „Zeugungskind“. Mit Schutzgenoſſenſchaft und ſo weiter im wirtſchaftlichen Sinne aber hat dieſe ganze Sache abſolut nichts zu thun, ſie wird alſo auch von allen ſozialen Fortſchritten nicht berührt. Höchſtens daß du ſagen kannſt: je weniger Rückſicht auf Schutzgenoſſenſchaft bei den Eltern nötig wird, je mehr das ſoziale Dach ſich ſchützend auch über ſie breitet, deſto leichter wird die höchſte Verfeinerung der individuellen Sympathiewahl werden. Das iſt wichtig und iſt für Zukunftsbetrachtungen ſogar ſehr wichtig. Aber bleiben wir jetzt ganz in der individuellen Linie.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/313>, abgerufen am 25.11.2024.