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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Stromnetz, das Soziale. Ungeheuer, wie es ist, liegt es doch
ganz oben auf der Fläche, und wenn wir nur die nötige Höhe
des Beobachterstandpunktes gewinnen, so können wir hoffen, es
durchaus mit dem Verstande aufzulösen. Wir sehen es zuerst
in Gestalt feindlich aufeinander loseilender Wellen. Wilde
Kämpfe toben. Aber aus diesen Kämpfen gestaltet sich endlich
ein feineres harmonisches Netz mit geregelten Kreisläufen. Der
soziale Kampf geht über in soziale Ordnung, immer höhere
Ordnung, bis die Harmonie jedes feinste Äderchen umspannt,
das Netz eine wundervolle rhythmische Figur bildet.

Inzwischen bleibt aber als Voraussetzung die Thätigkeit
der Quellen von unten herauf. Sobald sie erlahmte, versiegte
der ganze Strom, die schöne Figur verblaßte. Es versagte
das Leben in der Netzfigur, das unablässige Strömen: aus
dem Ganzen würde zunächst eine stagnierende tote Pfütze, deren
übler Geruch leichenhaft zum Himmel dränge. Es versagte
die ewige fortschreitende Neuregulierung der Harmonie des
Netzes, die nötig wird durch das stille Sichwandeln des
Planetenbodens unter ihm, durch den Umschwung der großen
kosmischen Verhältnisse, denn es flösse kein neues unberechen¬
bares Material aus den Quellen, mit dem neue Rechnungen
sich einstellen können.

Die Arbeit dieser beiden großen Faktoren hast du in der
ganzen Entwickelung, von der wir bisher gesprochen haben.
Immer hast du einen mehr oder minder durchsichtigen Teil,
den sozialen, und ein Geheimbuch, das Individuelle. Denke
an die Entwickelung etwa von Tier- und Pflanzenarten. Hier
die großen, hellen Gesetze der Auslese im Daseinskampfe, der
Anpassung, der Bildung dauernd harmonischer Arten; dort als
Grundmaterial die immer neuen individuellen Varianten, das
ewige Geborenwerden individuell etwas verschiedener, vom
Gegebenen abweichender Einzelwesen, mit denen dann jene
große helle Arbeit wirtschaften kann.

Wie gesagt: ich will hier durchaus keine Wunder haben.

Stromnetz, das Soziale. Ungeheuer, wie es iſt, liegt es doch
ganz oben auf der Fläche, und wenn wir nur die nötige Höhe
des Beobachterſtandpunktes gewinnen, ſo können wir hoffen, es
durchaus mit dem Verſtande aufzulöſen. Wir ſehen es zuerſt
in Geſtalt feindlich aufeinander loseilender Wellen. Wilde
Kämpfe toben. Aber aus dieſen Kämpfen geſtaltet ſich endlich
ein feineres harmoniſches Netz mit geregelten Kreisläufen. Der
ſoziale Kampf geht über in ſoziale Ordnung, immer höhere
Ordnung, bis die Harmonie jedes feinſte Äderchen umſpannt,
das Netz eine wundervolle rhythmiſche Figur bildet.

Inzwiſchen bleibt aber als Vorausſetzung die Thätigkeit
der Quellen von unten herauf. Sobald ſie erlahmte, verſiegte
der ganze Strom, die ſchöne Figur verblaßte. Es verſagte
das Leben in der Netzfigur, das unabläſſige Strömen: aus
dem Ganzen würde zunächſt eine ſtagnierende tote Pfütze, deren
übler Geruch leichenhaft zum Himmel dränge. Es verſagte
die ewige fortſchreitende Neuregulierung der Harmonie des
Netzes, die nötig wird durch das ſtille Sichwandeln des
Planetenbodens unter ihm, durch den Umſchwung der großen
kosmiſchen Verhältniſſe, denn es flöſſe kein neues unberechen¬
bares Material aus den Quellen, mit dem neue Rechnungen
ſich einſtellen können.

Die Arbeit dieſer beiden großen Faktoren haſt du in der
ganzen Entwickelung, von der wir bisher geſprochen haben.
Immer haſt du einen mehr oder minder durchſichtigen Teil,
den ſozialen, und ein Geheimbuch, das Individuelle. Denke
an die Entwickelung etwa von Tier- und Pflanzenarten. Hier
die großen, hellen Geſetze der Ausleſe im Daſeinskampfe, der
Anpaſſung, der Bildung dauernd harmoniſcher Arten; dort als
Grundmaterial die immer neuen individuellen Varianten, das
ewige Geborenwerden individuell etwas verſchiedener, vom
Gegebenen abweichender Einzelweſen, mit denen dann jene
große helle Arbeit wirtſchaften kann.

Wie geſagt: ich will hier durchaus keine Wunder haben.

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[296/0310] Stromnetz, das Soziale. Ungeheuer, wie es iſt, liegt es doch ganz oben auf der Fläche, und wenn wir nur die nötige Höhe des Beobachterſtandpunktes gewinnen, ſo können wir hoffen, es durchaus mit dem Verſtande aufzulöſen. Wir ſehen es zuerſt in Geſtalt feindlich aufeinander loseilender Wellen. Wilde Kämpfe toben. Aber aus dieſen Kämpfen geſtaltet ſich endlich ein feineres harmoniſches Netz mit geregelten Kreisläufen. Der ſoziale Kampf geht über in ſoziale Ordnung, immer höhere Ordnung, bis die Harmonie jedes feinſte Äderchen umſpannt, das Netz eine wundervolle rhythmiſche Figur bildet. Inzwiſchen bleibt aber als Vorausſetzung die Thätigkeit der Quellen von unten herauf. Sobald ſie erlahmte, verſiegte der ganze Strom, die ſchöne Figur verblaßte. Es verſagte das Leben in der Netzfigur, das unabläſſige Strömen: aus dem Ganzen würde zunächſt eine ſtagnierende tote Pfütze, deren übler Geruch leichenhaft zum Himmel dränge. Es verſagte die ewige fortſchreitende Neuregulierung der Harmonie des Netzes, die nötig wird durch das ſtille Sichwandeln des Planetenbodens unter ihm, durch den Umſchwung der großen kosmiſchen Verhältniſſe, denn es flöſſe kein neues unberechen¬ bares Material aus den Quellen, mit dem neue Rechnungen ſich einſtellen können. Die Arbeit dieſer beiden großen Faktoren haſt du in der ganzen Entwickelung, von der wir bisher geſprochen haben. Immer haſt du einen mehr oder minder durchſichtigen Teil, den ſozialen, und ein Geheimbuch, das Individuelle. Denke an die Entwickelung etwa von Tier- und Pflanzenarten. Hier die großen, hellen Geſetze der Ausleſe im Daſeinskampfe, der Anpaſſung, der Bildung dauernd harmoniſcher Arten; dort als Grundmaterial die immer neuen individuellen Varianten, das ewige Geborenwerden individuell etwas verſchiedener, vom Gegebenen abweichender Einzelweſen, mit denen dann jene große helle Arbeit wirtſchaften kann. Wie geſagt: ich will hier durchaus keine Wunder haben.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/310>, abgerufen am 22.11.2024.