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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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das ganze Ubergewicht auch des Menschenmannes durch das
Soziale und seine Führerrolle darin. Das siehst du noch
heute in unserem gesamten öffentlichen Leben verkörpert: der
Mann sitzt fast ausschließlich überall im Präsidium, sobald
mehr als zwei Menschen beisammen sind, er ist der "Beamte",
das Staatstier, das die sozialen Centra besetzt hält, der soziale
Dirigent. Diese Machtstellung verdankte der Mann schon als
Lamahengst oder Pavian zunächst seiner größeren physischen
Kraft, -- dieser Kraft, von der ich dir sagte, daß das Weib
sie ihm ursprünglich selber erst angezüchtet hat. Aus diesem
ungleichen Verhältnis physischer Stärke im Bunde mit dem
Sozialen und seinem Anführerprinzip ergaben sich dann aber
wieder wachsende Ungleichheiten, die das Weib auch in der
Ehe "schwächer" in jedem Betracht machten. Und "Schwach¬
sein" in jedem Sinne umschließt allerdings stets eine wachsende
Wahrscheinlichkeit der "Versklavung".

Immerhin wollen wir aber nicht vergessen, daß auch die
Gegenströmung hier gewaltet hat, die Strömung zur Rettung
der Individualität der Frau in der Ehe.

Ich habe dir früher schon wiederholt betont, daß jede
Liebesform den Keim des Todes in sich trägt, die dauernd zu
einer Vergewaltigung des einen Liebespartners führt. Wäre der
Mensch dauernd auf eine Versklavung des Weibes eingegangen
und hätte seine Entwickelung hierher wachsend eingestellt, so
wäre er an seinem kritischsten Fleck unrettbar in der Degenera¬
tionslinie gewesen. Er hat es aber nicht gethan. Überall
neben drohenden Konstellationen im Menschheitssystem, die eine
Versklavung der Frau fürchten lassen, stehen auch die Regu¬
lierungen mit einer festen Naturgesetzlichkeit, wie droben im
Planetensystem, wenn Jupiter und Saturn sich zu nahe kommen.

Eine solche Selbstregulierung war das langsame Wieder¬
zurücktreten der Polygamie. Ein Riesenruck solcher Selbst¬
regulierung war das Auftreten des Christentums mit seiner
Idee der Gleichheit von Mann und Frau vor der obersten

das ganze Ubergewicht auch des Menſchenmannes durch das
Soziale und ſeine Führerrolle darin. Das ſiehſt du noch
heute in unſerem geſamten öffentlichen Leben verkörpert: der
Mann ſitzt faſt ausſchließlich überall im Präſidium, ſobald
mehr als zwei Menſchen beiſammen ſind, er iſt der „Beamte“,
das Staatstier, das die ſozialen Centra beſetzt hält, der ſoziale
Dirigent. Dieſe Machtſtellung verdankte der Mann ſchon als
Lamahengſt oder Pavian zunächſt ſeiner größeren phyſiſchen
Kraft, — dieſer Kraft, von der ich dir ſagte, daß das Weib
ſie ihm urſprünglich ſelber erſt angezüchtet hat. Aus dieſem
ungleichen Verhältnis phyſiſcher Stärke im Bunde mit dem
Sozialen und ſeinem Anführerprinzip ergaben ſich dann aber
wieder wachſende Ungleichheiten, die das Weib auch in der
Ehe „ſchwächer“ in jedem Betracht machten. Und „Schwach¬
ſein“ in jedem Sinne umſchließt allerdings ſtets eine wachſende
Wahrſcheinlichkeit der „Verſklavung“.

Immerhin wollen wir aber nicht vergeſſen, daß auch die
Gegenſtrömung hier gewaltet hat, die Strömung zur Rettung
der Individualität der Frau in der Ehe.

Ich habe dir früher ſchon wiederholt betont, daß jede
Liebesform den Keim des Todes in ſich trägt, die dauernd zu
einer Vergewaltigung des einen Liebespartners führt. Wäre der
Menſch dauernd auf eine Verſklavung des Weibes eingegangen
und hätte ſeine Entwickelung hierher wachſend eingeſtellt, ſo
wäre er an ſeinem kritiſchſten Fleck unrettbar in der Degenera¬
tionslinie geweſen. Er hat es aber nicht gethan. Überall
neben drohenden Konſtellationen im Menſchheitsſyſtem, die eine
Verſklavung der Frau fürchten laſſen, ſtehen auch die Regu¬
lierungen mit einer feſten Naturgeſetzlichkeit, wie droben im
Planetenſyſtem, wenn Jupiter und Saturn ſich zu nahe kommen.

Eine ſolche Selbſtregulierung war das langſame Wieder¬
zurücktreten der Polygamie. Ein Rieſenruck ſolcher Selbſt¬
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[283/0297] das ganze Ubergewicht auch des Menſchenmannes durch das Soziale und ſeine Führerrolle darin. Das ſiehſt du noch heute in unſerem geſamten öffentlichen Leben verkörpert: der Mann ſitzt faſt ausſchließlich überall im Präſidium, ſobald mehr als zwei Menſchen beiſammen ſind, er iſt der „Beamte“, das Staatstier, das die ſozialen Centra beſetzt hält, der ſoziale Dirigent. Dieſe Machtſtellung verdankte der Mann ſchon als Lamahengſt oder Pavian zunächſt ſeiner größeren phyſiſchen Kraft, — dieſer Kraft, von der ich dir ſagte, daß das Weib ſie ihm urſprünglich ſelber erſt angezüchtet hat. Aus dieſem ungleichen Verhältnis phyſiſcher Stärke im Bunde mit dem Sozialen und ſeinem Anführerprinzip ergaben ſich dann aber wieder wachſende Ungleichheiten, die das Weib auch in der Ehe „ſchwächer“ in jedem Betracht machten. Und „Schwach¬ ſein“ in jedem Sinne umſchließt allerdings ſtets eine wachſende Wahrſcheinlichkeit der „Verſklavung“. Immerhin wollen wir aber nicht vergeſſen, daß auch die Gegenſtrömung hier gewaltet hat, die Strömung zur Rettung der Individualität der Frau in der Ehe. Ich habe dir früher ſchon wiederholt betont, daß jede Liebesform den Keim des Todes in ſich trägt, die dauernd zu einer Vergewaltigung des einen Liebespartners führt. Wäre der Menſch dauernd auf eine Verſklavung des Weibes eingegangen und hätte ſeine Entwickelung hierher wachſend eingeſtellt, ſo wäre er an ſeinem kritiſchſten Fleck unrettbar in der Degenera¬ tionslinie geweſen. Er hat es aber nicht gethan. Überall neben drohenden Konſtellationen im Menſchheitsſyſtem, die eine Verſklavung der Frau fürchten laſſen, ſtehen auch die Regu¬ lierungen mit einer feſten Naturgeſetzlichkeit, wie droben im Planetenſyſtem, wenn Jupiter und Saturn ſich zu nahe kommen. Eine ſolche Selbſtregulierung war das langſame Wieder¬ zurücktreten der Polygamie. Ein Rieſenruck ſolcher Selbſt¬ regulierung war das Auftreten des Chriſtentums mit ſeiner Idee der Gleichheit von Mann und Frau vor der oberſten

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/297>, abgerufen am 22.11.2024.