Affenkäfigs gerade bei dem ästhetisch und erotisch verfeinerten Menschen ihr stärkster Widersacher gewesen. Diese offene Liebes¬ sprache nackter, unförmlich angeschwollener, mit schreienden Farben einer Narrenkappe herausfordernder Rückseiten macht den Naiven blöde lachen, -- dem Denkenden aber hat sie zunächst etwas Grausiges. In diese Welt hinab soll der Mensch! In solchem Augenblick pflegt vergessen zu werden, bis zu welchen grotesken Ungeheuerlichkeiten auch die Liebe des Erdentieres Mensch sich in Völkern, Zeiten und Individuen verstiegen hat. Unwill¬ kürlich wird doch immer nur gemessen an einem idealen Bilde, wie es jene liebliche Lotosnixe symbolisch trifft. Das -- und das. Das -- daher?
Doch die Schicksalsspinne webt. Und die Gedankenspinne webt ihr nach. Gegen Gott hilft niemand als Gott. Gedanken werden nur überwunden durch noch tiefere Gedanken. Gerade an dieser Stelle spinnt sich der geheimnisvollste Faden an.
[Abbildung]
Warum ist der Mensch nackt? Nicht als Paradiesier, sondern als Säugetier. Das Säugetier bestreitest du ja in seiner heiligen Verklärung mütterlicher Reine auch dem Lotos¬ nixlein nicht.
Aber gerade das Säugetier war in der Stunde seiner Entstehung sozusagen verbrieft und eingeschworen auf das dicke, wärmende Hauthaar, auf den Pelz.
In uralten Tagen, in jener Triaszeit der Schachtelhalme und der Meerdrachen, taucht das Säugetier auf als ein Triumph der Entwickelungssteigerung über das Kriechtier hinaus: dauernd warmblütig, nicht mehr abhängig in ewigem Wechsel von der äußeren Lufttemperatur. Um diese Warmblütigkeit zu schützen, trägt es den neuen Rock: das Haar, den Pelz. Vielleicht hat
Affenkäfigs gerade bei dem äſthetiſch und erotiſch verfeinerten Menſchen ihr ſtärkſter Widerſacher geweſen. Dieſe offene Liebes¬ ſprache nackter, unförmlich angeſchwollener, mit ſchreienden Farben einer Narrenkappe herausfordernder Rückſeiten macht den Naiven blöde lachen, — dem Denkenden aber hat ſie zunächſt etwas Grauſiges. In dieſe Welt hinab ſoll der Menſch! In ſolchem Augenblick pflegt vergeſſen zu werden, bis zu welchen grotesken Ungeheuerlichkeiten auch die Liebe des Erdentieres Menſch ſich in Völkern, Zeiten und Individuen verſtiegen hat. Unwill¬ kürlich wird doch immer nur gemeſſen an einem idealen Bilde, wie es jene liebliche Lotosnixe ſymboliſch trifft. Das — und das. Das — daher?
Doch die Schickſalsſpinne webt. Und die Gedankenſpinne webt ihr nach. Gegen Gott hilft niemand als Gott. Gedanken werden nur überwunden durch noch tiefere Gedanken. Gerade an dieſer Stelle ſpinnt ſich der geheimnisvollſte Faden an.
[Abbildung]
Warum iſt der Menſch nackt? Nicht als Paradieſier, ſondern als Säugetier. Das Säugetier beſtreiteſt du ja in ſeiner heiligen Verklärung mütterlicher Reine auch dem Lotos¬ nixlein nicht.
Aber gerade das Säugetier war in der Stunde ſeiner Entſtehung ſozuſagen verbrieft und eingeſchworen auf das dicke, wärmende Hauthaar, auf den Pelz.
In uralten Tagen, in jener Triaszeit der Schachtelhalme und der Meerdrachen, taucht das Säugetier auf als ein Triumph der Entwickelungsſteigerung über das Kriechtier hinaus: dauernd warmblütig, nicht mehr abhängig in ewigem Wechſel von der äußeren Lufttemperatur. Um dieſe Warmblütigkeit zu ſchützen, trägt es den neuen Rock: das Haar, den Pelz. Vielleicht hat
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0029"n="15"/>
Affenkäfigs gerade bei dem äſthetiſch und erotiſch verfeinerten<lb/>
Menſchen ihr ſtärkſter Widerſacher geweſen. Dieſe offene Liebes¬<lb/>ſprache nackter, unförmlich angeſchwollener, mit ſchreienden Farben<lb/>
einer Narrenkappe herausfordernder Rückſeiten macht den Naiven<lb/>
blöde lachen, — dem Denkenden aber hat ſie zunächſt etwas<lb/>
Grauſiges. In dieſe Welt hinab ſoll der Menſch! In ſolchem<lb/>
Augenblick pflegt vergeſſen zu werden, bis zu welchen grotesken<lb/>
Ungeheuerlichkeiten auch die Liebe des Erdentieres Menſch ſich<lb/>
in Völkern, Zeiten und Individuen verſtiegen hat. Unwill¬<lb/>
kürlich wird doch immer nur gemeſſen an einem idealen Bilde,<lb/>
wie es jene liebliche Lotosnixe ſymboliſch trifft. Das — und<lb/>
das. Das — daher?</p><lb/><p>Doch die Schickſalsſpinne webt. Und die Gedankenſpinne<lb/>
webt ihr nach. Gegen Gott hilft niemand als Gott. Gedanken<lb/>
werden nur überwunden durch noch tiefere Gedanken. Gerade<lb/>
an dieſer Stelle ſpinnt ſich der geheimnisvollſte Faden an.</p><lb/><figure/><p>Warum iſt der Menſch nackt? Nicht als Paradieſier,<lb/>ſondern als Säugetier. Das Säugetier beſtreiteſt du ja in<lb/>ſeiner heiligen Verklärung mütterlicher Reine auch dem Lotos¬<lb/>
nixlein nicht.</p><lb/><p>Aber gerade das Säugetier war in der Stunde ſeiner<lb/>
Entſtehung ſozuſagen verbrieft und eingeſchworen auf das dicke,<lb/>
wärmende Hauthaar, auf den Pelz.</p><lb/><p>In uralten Tagen, in jener Triaszeit der Schachtelhalme<lb/>
und der Meerdrachen, taucht das Säugetier auf als ein Triumph<lb/>
der Entwickelungsſteigerung über das Kriechtier hinaus: dauernd<lb/>
warmblütig, nicht mehr abhängig in ewigem Wechſel von der<lb/>
äußeren Lufttemperatur. Um dieſe Warmblütigkeit zu ſchützen,<lb/>
trägt es den neuen Rock: das Haar, den Pelz. Vielleicht hat<lb/></p></div></body></text></TEI>
[15/0029]
Affenkäfigs gerade bei dem äſthetiſch und erotiſch verfeinerten
Menſchen ihr ſtärkſter Widerſacher geweſen. Dieſe offene Liebes¬
ſprache nackter, unförmlich angeſchwollener, mit ſchreienden Farben
einer Narrenkappe herausfordernder Rückſeiten macht den Naiven
blöde lachen, — dem Denkenden aber hat ſie zunächſt etwas
Grauſiges. In dieſe Welt hinab ſoll der Menſch! In ſolchem
Augenblick pflegt vergeſſen zu werden, bis zu welchen grotesken
Ungeheuerlichkeiten auch die Liebe des Erdentieres Menſch ſich
in Völkern, Zeiten und Individuen verſtiegen hat. Unwill¬
kürlich wird doch immer nur gemeſſen an einem idealen Bilde,
wie es jene liebliche Lotosnixe ſymboliſch trifft. Das — und
das. Das — daher?
Doch die Schickſalsſpinne webt. Und die Gedankenſpinne
webt ihr nach. Gegen Gott hilft niemand als Gott. Gedanken
werden nur überwunden durch noch tiefere Gedanken. Gerade
an dieſer Stelle ſpinnt ſich der geheimnisvollſte Faden an.
[Abbildung]
Warum iſt der Menſch nackt? Nicht als Paradieſier,
ſondern als Säugetier. Das Säugetier beſtreiteſt du ja in
ſeiner heiligen Verklärung mütterlicher Reine auch dem Lotos¬
nixlein nicht.
Aber gerade das Säugetier war in der Stunde ſeiner
Entſtehung ſozuſagen verbrieft und eingeſchworen auf das dicke,
wärmende Hauthaar, auf den Pelz.
In uralten Tagen, in jener Triaszeit der Schachtelhalme
und der Meerdrachen, taucht das Säugetier auf als ein Triumph
der Entwickelungsſteigerung über das Kriechtier hinaus: dauernd
warmblütig, nicht mehr abhängig in ewigem Wechſel von der
äußeren Lufttemperatur. Um dieſe Warmblütigkeit zu ſchützen,
trägt es den neuen Rock: das Haar, den Pelz. Vielleicht hat
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/29>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.