auch beim Menschen ein beständiges Anwachsen, eine unablässige Vervollkommnung des Sozialen im großen Stil den kleinen Sozialversuch der Ehe wieder aufsaugen und überflüssig machen müsse als eine Zwischenstufe der Entwickelung, die ihre Schuldig¬ keit gethan hat und nun gehen kann?
Wenn irgend etwas dabei sicher ist, so ist es der unauf¬ haltsame Fortschritt sozialer Ordnung in der Menschheit. Hier waltet eine so schlichte Logik, wie zwischen den Glasteilchen eines Kaleidoskops, die eine Weile durcheinander rollen mögen, dann aber unerbittlich in ein bestimmtes Harmoniemuster ein¬ fallen müssen. Noch steht die Menschheit in ungezählten Fällen auf ihrem Planeten im Stadium dieses Rollens, und aus den rohen Zusammenstößen quillt Blut und klagt die Stimme der Unterdrückung und der Not. Aber schon schweben die großen Linien des harmonischen Musters über uns wie ein ungeheures mathematisches Netz, die Runen einer mathematischen Ethik, nur dem Eingeweihten bereits lesbar.
Die bunten Steine werden sich schon einordnen.
Die Höhle im Kalkfels, wo die Schar Mammutjäger sich zusammenthat, war ein Stoß im menschlichen Kaleidoskop hierher. Christus war einer. Auch was wir heute soziale Frage nennen, ist nur wieder einer. Und so werden die Jahrtausende nach uns noch mehr Worte für große Stationen finden. Am Resultat aber, meine ich, ist kein Zweifel. Auch hier schreitet ein Natur¬ gesetz seine Bahn. Und was Milchstraßen harmonisch gebaut hat, das wird auch ein paar hundert Millionen Menschen auf einem winzigen Stern schließlich in soziale Harmonie bringen können.
Aber ist es das Horoskop des Untergangs nun zugleich für die Ehe, was in diesen schönen Sternen glänzt? Muß sie unter¬ gehen, dieses uralte flammende Gestirn des Liebeslebens, wenn jenes Sternbild einer friedlich geeinten Menschheit, in der Not und Vergewaltigung gestorben sind, an der anderen Himmels¬ seite langsam hoch und höher steigt?
Die Frage berührt interessanterweise noch eine zweite.
auch beim Menſchen ein beſtändiges Anwachſen, eine unabläſſige Vervollkommnung des Sozialen im großen Stil den kleinen Sozialverſuch der Ehe wieder aufſaugen und überflüſſig machen müſſe als eine Zwiſchenſtufe der Entwickelung, die ihre Schuldig¬ keit gethan hat und nun gehen kann?
Wenn irgend etwas dabei ſicher iſt, ſo iſt es der unauf¬ haltſame Fortſchritt ſozialer Ordnung in der Menſchheit. Hier waltet eine ſo ſchlichte Logik, wie zwiſchen den Glasteilchen eines Kaleidoſkops, die eine Weile durcheinander rollen mögen, dann aber unerbittlich in ein beſtimmtes Harmoniemuſter ein¬ fallen müſſen. Noch ſteht die Menſchheit in ungezählten Fällen auf ihrem Planeten im Stadium dieſes Rollens, und aus den rohen Zuſammenſtößen quillt Blut und klagt die Stimme der Unterdrückung und der Not. Aber ſchon ſchweben die großen Linien des harmoniſchen Muſters über uns wie ein ungeheures mathematiſches Netz, die Runen einer mathematiſchen Ethik, nur dem Eingeweihten bereits lesbar.
Die bunten Steine werden ſich ſchon einordnen.
Die Höhle im Kalkfels, wo die Schar Mammutjäger ſich zuſammenthat, war ein Stoß im menſchlichen Kaleidoſkop hierher. Chriſtus war einer. Auch was wir heute ſoziale Frage nennen, iſt nur wieder einer. Und ſo werden die Jahrtauſende nach uns noch mehr Worte für große Stationen finden. Am Reſultat aber, meine ich, iſt kein Zweifel. Auch hier ſchreitet ein Natur¬ geſetz ſeine Bahn. Und was Milchſtraßen harmoniſch gebaut hat, das wird auch ein paar hundert Millionen Menſchen auf einem winzigen Stern ſchließlich in ſoziale Harmonie bringen können.
Aber iſt es das Horoſkop des Untergangs nun zugleich für die Ehe, was in dieſen ſchönen Sternen glänzt? Muß ſie unter¬ gehen, dieſes uralte flammende Geſtirn des Liebeslebens, wenn jenes Sternbild einer friedlich geeinten Menſchheit, in der Not und Vergewaltigung geſtorben ſind, an der anderen Himmels¬ ſeite langſam hoch und höher ſteigt?
Die Frage berührt intereſſanterweiſe noch eine zweite.
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Sozialverſuch der Ehe wieder aufſaugen und überflüſſig machen
müſſe als eine Zwiſchenſtufe der Entwickelung, die ihre Schuldig¬
keit gethan hat und nun gehen kann?
Wenn irgend etwas dabei ſicher iſt, ſo iſt es der unauf¬
haltſame Fortſchritt ſozialer Ordnung in der Menſchheit. Hier
waltet eine ſo ſchlichte Logik, wie zwiſchen den Glasteilchen
eines Kaleidoſkops, die eine Weile durcheinander rollen mögen,
dann aber unerbittlich in ein beſtimmtes Harmoniemuſter ein¬
fallen müſſen. Noch ſteht die Menſchheit in ungezählten Fällen
auf ihrem Planeten im Stadium dieſes Rollens, und aus den
rohen Zuſammenſtößen quillt Blut und klagt die Stimme der
Unterdrückung und der Not. Aber ſchon ſchweben die großen
Linien des harmoniſchen Muſters über uns wie ein ungeheures
mathematiſches Netz, die Runen einer mathematiſchen Ethik, nur
dem Eingeweihten bereits lesbar.
Die bunten Steine werden ſich ſchon einordnen.
Die Höhle im Kalkfels, wo die Schar Mammutjäger ſich
zuſammenthat, war ein Stoß im menſchlichen Kaleidoſkop hierher.
Chriſtus war einer. Auch was wir heute ſoziale Frage nennen,
iſt nur wieder einer. Und ſo werden die Jahrtauſende nach
uns noch mehr Worte für große Stationen finden. Am Reſultat
aber, meine ich, iſt kein Zweifel. Auch hier ſchreitet ein Natur¬
geſetz ſeine Bahn. Und was Milchſtraßen harmoniſch gebaut hat,
das wird auch ein paar hundert Millionen Menſchen auf einem
winzigen Stern ſchließlich in ſoziale Harmonie bringen können.
Aber iſt es das Horoſkop des Untergangs nun zugleich für
die Ehe, was in dieſen ſchönen Sternen glänzt? Muß ſie unter¬
gehen, dieſes uralte flammende Geſtirn des Liebeslebens, wenn
jenes Sternbild einer friedlich geeinten Menſchheit, in der Not
und Vergewaltigung geſtorben ſind, an der anderen Himmels¬
ſeite langſam hoch und höher ſteigt?
Die Frage berührt intereſſanterweiſe noch eine zweite.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/281>, abgerufen am 05.07.2024.
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