Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

und vor ihm plötzlich, durch den zollbreiten Schritt über die
Wasserscheide gegeben, das morgenstille, taufrische Neuland
der Kultur.

In dieser Morgenstunde ohne gleichen, an diesem Welt¬
entdeckungstag, gegen den der Guanahanimorgen des Kolumbus
zu einem winzigen Idyll zusammenschmilzt, -- da hat der
Mensch körperlich noch ein letztes erlebt, in dem symbolisch
zugleich die Tierverkleidung noch einmal von ihm abfiel wie
ein wirklicher Rock und zu diesem Abfallen schon Geistes¬
leistungen höherer, kulturhafter Art mitwirkten, -- mitwirkten
in eine letzte organische Umbildung noch gerade hinein.

Wenn in der Dichtung Homers sich die Dinge nach un¬
endlichem Aufbau endlich zur höchsten dramatischen Spannung
zuspitzen, dann verklärt die hilfreiche Hand seiner Schutzgöttin
auch persönlich den Körper des Helden, das rauhe Bettlergewand
schmilzt wie ein Nebelrauch und über die Glieder fließt wie
Salböl strahlende Heldenschönheit. Im Epos der wahren
Weltgeschichte stecken die hilfreichen Göttinnen in Alraunengestalt,
sie erscheinen als Erdachsen, Vulkane, Eisgletscher, Bazillen¬
wolken und verwandte hübsche Sachen. Aber sie heißen auch
Gehirn und Sehnsucht, Kunst und Kulturkraft -- und Liebe.
Und auch sie haben zu gewisser Stunde, ohne Theaterpomp,
aber unvergänglich sichtbar in alle Folge hinein, ihren Helden
verklärt, haben von ihrem Meisterwerk die Arbeitshülle
gezogen.

Ein Liebesproblem allerersten Ranges, stellt sich uns die
Nacktheit des Menschen dar, -- das erste Problem zugleich,
mit dem seine Liebeswallfahrt im engeren einsetzt.

[Abbildung]

Auf den schwarzen Klostertisch hier lege ich dir zunächst
ein einzelnes modernes Kunstblatt und einen alten schweins¬
ledernen Folianten.

und vor ihm plötzlich, durch den zollbreiten Schritt über die
Waſſerſcheide gegeben, das morgenſtille, taufriſche Neuland
der Kultur.

In dieſer Morgenſtunde ohne gleichen, an dieſem Welt¬
entdeckungstag, gegen den der Guanahanimorgen des Kolumbus
zu einem winzigen Idyll zuſammenſchmilzt, — da hat der
Menſch körperlich noch ein letztes erlebt, in dem ſymboliſch
zugleich die Tierverkleidung noch einmal von ihm abfiel wie
ein wirklicher Rock und zu dieſem Abfallen ſchon Geiſtes¬
leiſtungen höherer, kulturhafter Art mitwirkten, — mitwirkten
in eine letzte organiſche Umbildung noch gerade hinein.

Wenn in der Dichtung Homers ſich die Dinge nach un¬
endlichem Aufbau endlich zur höchſten dramatiſchen Spannung
zuſpitzen, dann verklärt die hilfreiche Hand ſeiner Schutzgöttin
auch perſönlich den Körper des Helden, das rauhe Bettlergewand
ſchmilzt wie ein Nebelrauch und über die Glieder fließt wie
Salböl ſtrahlende Heldenſchönheit. Im Epos der wahren
Weltgeſchichte ſtecken die hilfreichen Göttinnen in Alraunengeſtalt,
ſie erſcheinen als Erdachſen, Vulkane, Eisgletſcher, Bazillen¬
wolken und verwandte hübſche Sachen. Aber ſie heißen auch
Gehirn und Sehnſucht, Kunſt und Kulturkraft — und Liebe.
Und auch ſie haben zu gewiſſer Stunde, ohne Theaterpomp,
aber unvergänglich ſichtbar in alle Folge hinein, ihren Helden
verklärt, haben von ihrem Meiſterwerk die Arbeitshülle
gezogen.

Ein Liebesproblem allererſten Ranges, ſtellt ſich uns die
Nacktheit des Menſchen dar, — das erſte Problem zugleich,
mit dem ſeine Liebeswallfahrt im engeren einſetzt.

[Abbildung]

Auf den ſchwarzen Kloſtertiſch hier lege ich dir zunächſt
ein einzelnes modernes Kunſtblatt und einen alten ſchweins¬
ledernen Folianten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="9"/>
und vor ihm plötzlich, durch den zollbreiten Schritt über die<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;cheide gegeben, das morgen&#x017F;tille, taufri&#x017F;che Neuland<lb/>
der Kultur.</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;er Morgen&#x017F;tunde ohne gleichen, an die&#x017F;em Welt¬<lb/>
entdeckungstag, gegen den der Guanahanimorgen des Kolumbus<lb/>
zu einem winzigen Idyll zu&#x017F;ammen&#x017F;chmilzt, &#x2014; da hat der<lb/>
Men&#x017F;ch körperlich noch ein letztes erlebt, in dem &#x017F;ymboli&#x017F;ch<lb/>
zugleich die Tierverkleidung noch einmal von ihm abfiel wie<lb/>
ein wirklicher Rock und zu die&#x017F;em Abfallen &#x017F;chon Gei&#x017F;tes¬<lb/>
lei&#x017F;tungen höherer, kulturhafter Art mitwirkten, &#x2014; mitwirkten<lb/>
in eine letzte organi&#x017F;che Umbildung noch gerade hinein.</p><lb/>
        <p>Wenn in der Dichtung Homers &#x017F;ich die Dinge nach un¬<lb/>
endlichem Aufbau endlich zur höch&#x017F;ten dramati&#x017F;chen Spannung<lb/>
zu&#x017F;pitzen, dann verklärt die hilfreiche Hand &#x017F;einer Schutzgöttin<lb/>
auch per&#x017F;önlich den Körper des Helden, das rauhe Bettlergewand<lb/>
&#x017F;chmilzt wie ein Nebelrauch und über die Glieder fließt wie<lb/>
Salböl &#x017F;trahlende Helden&#x017F;chönheit. Im Epos der wahren<lb/>
Weltge&#x017F;chichte &#x017F;tecken die hilfreichen Göttinnen in Alraunenge&#x017F;talt,<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;cheinen als Erdach&#x017F;en, Vulkane, Eisglet&#x017F;cher, Bazillen¬<lb/>
wolken und verwandte hüb&#x017F;che Sachen. Aber &#x017F;ie heißen auch<lb/>
Gehirn und Sehn&#x017F;ucht, Kun&#x017F;t und Kulturkraft &#x2014; und Liebe.<lb/>
Und auch &#x017F;ie haben zu gewi&#x017F;&#x017F;er Stunde, ohne Theaterpomp,<lb/>
aber unvergänglich &#x017F;ichtbar in alle Folge hinein, ihren Helden<lb/>
verklärt, haben von ihrem Mei&#x017F;terwerk die Arbeitshülle<lb/>
gezogen.</p><lb/>
        <p>Ein Liebesproblem allerer&#x017F;ten Ranges, &#x017F;tellt &#x017F;ich uns die<lb/>
Nacktheit des Men&#x017F;chen dar, &#x2014; das er&#x017F;te Problem zugleich,<lb/>
mit dem &#x017F;eine Liebeswallfahrt im engeren ein&#x017F;etzt.</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Auf den &#x017F;chwarzen Klo&#x017F;terti&#x017F;ch hier lege ich dir zunäch&#x017F;t<lb/>
ein einzelnes modernes Kun&#x017F;tblatt und einen alten &#x017F;chweins¬<lb/>
ledernen Folianten.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0023] und vor ihm plötzlich, durch den zollbreiten Schritt über die Waſſerſcheide gegeben, das morgenſtille, taufriſche Neuland der Kultur. In dieſer Morgenſtunde ohne gleichen, an dieſem Welt¬ entdeckungstag, gegen den der Guanahanimorgen des Kolumbus zu einem winzigen Idyll zuſammenſchmilzt, — da hat der Menſch körperlich noch ein letztes erlebt, in dem ſymboliſch zugleich die Tierverkleidung noch einmal von ihm abfiel wie ein wirklicher Rock und zu dieſem Abfallen ſchon Geiſtes¬ leiſtungen höherer, kulturhafter Art mitwirkten, — mitwirkten in eine letzte organiſche Umbildung noch gerade hinein. Wenn in der Dichtung Homers ſich die Dinge nach un¬ endlichem Aufbau endlich zur höchſten dramatiſchen Spannung zuſpitzen, dann verklärt die hilfreiche Hand ſeiner Schutzgöttin auch perſönlich den Körper des Helden, das rauhe Bettlergewand ſchmilzt wie ein Nebelrauch und über die Glieder fließt wie Salböl ſtrahlende Heldenſchönheit. Im Epos der wahren Weltgeſchichte ſtecken die hilfreichen Göttinnen in Alraunengeſtalt, ſie erſcheinen als Erdachſen, Vulkane, Eisgletſcher, Bazillen¬ wolken und verwandte hübſche Sachen. Aber ſie heißen auch Gehirn und Sehnſucht, Kunſt und Kulturkraft — und Liebe. Und auch ſie haben zu gewiſſer Stunde, ohne Theaterpomp, aber unvergänglich ſichtbar in alle Folge hinein, ihren Helden verklärt, haben von ihrem Meiſterwerk die Arbeitshülle gezogen. Ein Liebesproblem allererſten Ranges, ſtellt ſich uns die Nacktheit des Menſchen dar, — das erſte Problem zugleich, mit dem ſeine Liebeswallfahrt im engeren einſetzt. [Abbildung] Auf den ſchwarzen Kloſtertiſch hier lege ich dir zunächſt ein einzelnes modernes Kunſtblatt und einen alten ſchweins¬ ledernen Folianten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/23
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/23>, abgerufen am 02.05.2024.