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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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ordneten sich auf ein bestimmtes Wort hin die Begriffsworte
der Maschine untereinander und die Lösung erschien schwarz auf
weiß gleich der Ziffer in den allbekannten Zahlapparaten
unserer Warenhäuser. Das Lachbare dabei war nur die
Winzigkeit dieser paar scholastischen Begriffsschachteln, in die
jedes Welträtsel sich sofort einspannen sollte. Wäre die Maschine
des braven Lullus groß und reich gewesen wie die Welt, so
hätte sie in Wahrheit auch alle Fragen dieser Welt beant¬
wortet. Denn in ihrem Wesen ist die wahre Welt, ist der
Kosmos eine solche Maschine, wo alles klappt. Aber noch
etwas engeres hat des Lullus genialbrutaler Versuch wirklich
ahnend berührt: nämlich den Associationsapparat unseres eigenen
Gehirns. Auch da fällt kein kleinstes Wörtchen hinein, ohne
daß automatisch allsogleich die Radstreifen sich zu drehen be¬
ginnen und ganz nach des Lullus Methode eine Reihe anderer
Worte darunter bringen. Und wer etwas in den Tiefen der
Dinge zu lesen versteht, der merkt oft genug, daß es sich auch
hier um ein geheimes Frage- und Antwortspiel handelt. Ich
werfe das Wort "nackt" hinein und alsbald erscheinen die
drei ausgespielten Merkworte: kalt, schön, Liebe. Ohne mein
Zuthun hat mein Gehirn hinter das Einsatzwörtchen ein Frage¬
zeichen geschmuggelt. Und nun wirft es mir drei Antworten
hin. Weiß ich sie zu verknüpfen, so habe ich den großen
Weg zur Lösung, zum tiefen Sinn meines Wortes selbst.

Noch einmal laß den Menschen vor dir auftauchen auf
der Höhe seiner tierischen, seiner kosmischen Entwickelung.
Wie wir ihn, einem voraufeilenden Schatten erst nur seiner
Menschenexistenz gleich, haben heraufkommen sehen durch die
ganzen Zeitäonen von jenem kambrischen Urstrande unserer
Erkenntnis an. Bis endlich der Gibbonaffe vom Baum springt,
die Erde wieder berührt; und die ersten Werkzeuge schafft.
Noch einmal sieh ihn da oben stehen, den Menschen der
Menschheitswende, genau auf dem Grenzkamm, hinter ihm im
Blau versinkend unendliche Tierheit bis in Sternennebel -- --

ordneten ſich auf ein beſtimmtes Wort hin die Begriffsworte
der Maſchine untereinander und die Löſung erſchien ſchwarz auf
weiß gleich der Ziffer in den allbekannten Zahlapparaten
unſerer Warenhäuſer. Das Lachbare dabei war nur die
Winzigkeit dieſer paar ſcholaſtiſchen Begriffsſchachteln, in die
jedes Welträtſel ſich ſofort einſpannen ſollte. Wäre die Maſchine
des braven Lullus groß und reich geweſen wie die Welt, ſo
hätte ſie in Wahrheit auch alle Fragen dieſer Welt beant¬
wortet. Denn in ihrem Weſen iſt die wahre Welt, iſt der
Kosmos eine ſolche Maſchine, wo alles klappt. Aber noch
etwas engeres hat des Lullus genialbrutaler Verſuch wirklich
ahnend berührt: nämlich den Aſſociationsapparat unſeres eigenen
Gehirns. Auch da fällt kein kleinſtes Wörtchen hinein, ohne
daß automatiſch allſogleich die Radſtreifen ſich zu drehen be¬
ginnen und ganz nach des Lullus Methode eine Reihe anderer
Worte darunter bringen. Und wer etwas in den Tiefen der
Dinge zu leſen verſteht, der merkt oft genug, daß es ſich auch
hier um ein geheimes Frage- und Antwortſpiel handelt. Ich
werfe das Wort „nackt“ hinein und alsbald erſcheinen die
drei ausgeſpielten Merkworte: kalt, ſchön, Liebe. Ohne mein
Zuthun hat mein Gehirn hinter das Einſatzwörtchen ein Frage¬
zeichen geſchmuggelt. Und nun wirft es mir drei Antworten
hin. Weiß ich ſie zu verknüpfen, ſo habe ich den großen
Weg zur Löſung, zum tiefen Sinn meines Wortes ſelbſt.

Noch einmal laß den Menſchen vor dir auftauchen auf
der Höhe ſeiner tieriſchen, ſeiner kosmiſchen Entwickelung.
Wie wir ihn, einem voraufeilenden Schatten erſt nur ſeiner
Menſchenexiſtenz gleich, haben heraufkommen ſehen durch die
ganzen Zeitäonen von jenem kambriſchen Urſtrande unſerer
Erkenntnis an. Bis endlich der Gibbonaffe vom Baum ſpringt,
die Erde wieder berührt; und die erſten Werkzeuge ſchafft.
Noch einmal ſieh ihn da oben ſtehen, den Menſchen der
Menſchheitswende, genau auf dem Grenzkamm, hinter ihm im
Blau verſinkend unendliche Tierheit bis in Sternennebel — —

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[8/0022] ordneten ſich auf ein beſtimmtes Wort hin die Begriffsworte der Maſchine untereinander und die Löſung erſchien ſchwarz auf weiß gleich der Ziffer in den allbekannten Zahlapparaten unſerer Warenhäuſer. Das Lachbare dabei war nur die Winzigkeit dieſer paar ſcholaſtiſchen Begriffsſchachteln, in die jedes Welträtſel ſich ſofort einſpannen ſollte. Wäre die Maſchine des braven Lullus groß und reich geweſen wie die Welt, ſo hätte ſie in Wahrheit auch alle Fragen dieſer Welt beant¬ wortet. Denn in ihrem Weſen iſt die wahre Welt, iſt der Kosmos eine ſolche Maſchine, wo alles klappt. Aber noch etwas engeres hat des Lullus genialbrutaler Verſuch wirklich ahnend berührt: nämlich den Aſſociationsapparat unſeres eigenen Gehirns. Auch da fällt kein kleinſtes Wörtchen hinein, ohne daß automatiſch allſogleich die Radſtreifen ſich zu drehen be¬ ginnen und ganz nach des Lullus Methode eine Reihe anderer Worte darunter bringen. Und wer etwas in den Tiefen der Dinge zu leſen verſteht, der merkt oft genug, daß es ſich auch hier um ein geheimes Frage- und Antwortſpiel handelt. Ich werfe das Wort „nackt“ hinein und alsbald erſcheinen die drei ausgeſpielten Merkworte: kalt, ſchön, Liebe. Ohne mein Zuthun hat mein Gehirn hinter das Einſatzwörtchen ein Frage¬ zeichen geſchmuggelt. Und nun wirft es mir drei Antworten hin. Weiß ich ſie zu verknüpfen, ſo habe ich den großen Weg zur Löſung, zum tiefen Sinn meines Wortes ſelbſt. Noch einmal laß den Menſchen vor dir auftauchen auf der Höhe ſeiner tieriſchen, ſeiner kosmiſchen Entwickelung. Wie wir ihn, einem voraufeilenden Schatten erſt nur ſeiner Menſchenexiſtenz gleich, haben heraufkommen ſehen durch die ganzen Zeitäonen von jenem kambriſchen Urſtrande unſerer Erkenntnis an. Bis endlich der Gibbonaffe vom Baum ſpringt, die Erde wieder berührt; und die erſten Werkzeuge ſchafft. Noch einmal ſieh ihn da oben ſtehen, den Menſchen der Menſchheitswende, genau auf dem Grenzkamm, hinter ihm im Blau verſinkend unendliche Tierheit bis in Sternennebel — —

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/22>, abgerufen am 02.05.2024.