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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Doch lassen wir diese schon verwickelteren Ausgestaltungen
beiseite, so bleibt als Kern ein fester Männerbund, der zwar
nicht gegen die Ehe, aber doch neben ihr existiert, ein Männer¬
bund, für den es wenigstens theoretisch innerhalb seiner vier
Wände gar keine Frau giebt. Wie streng die Frauen offiziell
ausgeschlossen sind, erlebten bei gewissen, bereits von den
Missionären bekehrten "zahmen" Bakairistämmen, die predigenden
Herren Patres. Sie entdeckten zu ihrer großen Befriedigung in
jedem Dorf das große "Flötenhaus", nämlich eben das Klub¬
lokal des Männerbundes. Das schien ja die geschaffene Kirche,
um die neue Gemeinde zu versammeln. Als aber die Sache zum
erstenmal gemacht werden sollte, sah der fromme Herr sich
plötzlich vor einer ihm selbst nicht vorgesehenen Strenge in der
Befolgung des alten Spruches: Mulier taceat in ecclesia, --
es waren nämlich nur die Männer gekommen, die Weiber da¬
gegen hatten sich gar nicht über die Schwelle gewagt, sintemalen
es doch eben -- das Flötenhaus war!

Solche Klubhäuser mit allen Sorten komplizierter Bräuche
findest du nun nicht bloß bei den Bakairis allein. Semon,
der famose Erforscher des Molchfischs und Schnabeltiers, hat
sie beispielsweise aus Neu-Guinea sehr klar beschrieben.

Das ist das Land, wo heute noch die Wilden vielfältig
ihre Häuser als wahre Pfahlbauten errichten wie unsere vor¬
geschichtlichen Ahnen es in den Schweizer Seen machten, so daß
die ganze Geschichte mit dieser Staffage förmlich schon einen
Eiszeitzug bekommt. Das Männerhaus ist denn auch als
großes Gemeinschaftslokal recht ein solcher hoch aufgestelzter
Bau auf Pfählen. "Marea" heißt es. Im Marea wohnen und
schlafen alle Junggesellen ständig, die Ehemänner wenigstens
einen Teil ihrer Zeit. Kein Weib darf auch hier bei Leibes-
und Lebensgefahr mit herein. Die Waffen und Trophäen des
Mannsvolks aber liegen und hängen frei herum, die Pfosten
sind mit Liebe ausgeschnitzt, vor der Pforte schwebt eine Platt¬
form, wo es zu Zeiten hoch hergeht, Schweine geschlachtet

Doch laſſen wir dieſe ſchon verwickelteren Ausgeſtaltungen
beiſeite, ſo bleibt als Kern ein feſter Männerbund, der zwar
nicht gegen die Ehe, aber doch neben ihr exiſtiert, ein Männer¬
bund, für den es wenigſtens theoretiſch innerhalb ſeiner vier
Wände gar keine Frau giebt. Wie ſtreng die Frauen offiziell
ausgeſchloſſen ſind, erlebten bei gewiſſen, bereits von den
Miſſionären bekehrten „zahmen“ Bakaïriſtämmen, die predigenden
Herren Patres. Sie entdeckten zu ihrer großen Befriedigung in
jedem Dorf das große „Flötenhaus“, nämlich eben das Klub¬
lokal des Männerbundes. Das ſchien ja die geſchaffene Kirche,
um die neue Gemeinde zu verſammeln. Als aber die Sache zum
erſtenmal gemacht werden ſollte, ſah der fromme Herr ſich
plötzlich vor einer ihm ſelbſt nicht vorgeſehenen Strenge in der
Befolgung des alten Spruches: Mulier taceat in ecclesia, —
es waren nämlich nur die Männer gekommen, die Weiber da¬
gegen hatten ſich gar nicht über die Schwelle gewagt, ſintemalen
es doch eben — das Flötenhaus war!

Solche Klubhäuſer mit allen Sorten komplizierter Bräuche
findeſt du nun nicht bloß bei den Bakaïris allein. Semon,
der famoſe Erforſcher des Molchfiſchs und Schnabeltiers, hat
ſie beiſpielsweiſe aus Neu-Guinea ſehr klar beſchrieben.

Das iſt das Land, wo heute noch die Wilden vielfältig
ihre Häuſer als wahre Pfahlbauten errichten wie unſere vor¬
geſchichtlichen Ahnen es in den Schweizer Seen machten, ſo daß
die ganze Geſchichte mit dieſer Staffage förmlich ſchon einen
Eiszeitzug bekommt. Das Männerhaus iſt denn auch als
großes Gemeinſchaftslokal recht ein ſolcher hoch aufgeſtelzter
Bau auf Pfählen. „Marea“ heißt es. Im Marea wohnen und
ſchlafen alle Junggeſellen ſtändig, die Ehemänner wenigſtens
einen Teil ihrer Zeit. Kein Weib darf auch hier bei Leibes-
und Lebensgefahr mit herein. Die Waffen und Trophäen des
Mannsvolks aber liegen und hängen frei herum, die Pfoſten
ſind mit Liebe ausgeſchnitzt, vor der Pforte ſchwebt eine Platt¬
form, wo es zu Zeiten hoch hergeht, Schweine geſchlachtet

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[214/0228] Doch laſſen wir dieſe ſchon verwickelteren Ausgeſtaltungen beiſeite, ſo bleibt als Kern ein feſter Männerbund, der zwar nicht gegen die Ehe, aber doch neben ihr exiſtiert, ein Männer¬ bund, für den es wenigſtens theoretiſch innerhalb ſeiner vier Wände gar keine Frau giebt. Wie ſtreng die Frauen offiziell ausgeſchloſſen ſind, erlebten bei gewiſſen, bereits von den Miſſionären bekehrten „zahmen“ Bakaïriſtämmen, die predigenden Herren Patres. Sie entdeckten zu ihrer großen Befriedigung in jedem Dorf das große „Flötenhaus“, nämlich eben das Klub¬ lokal des Männerbundes. Das ſchien ja die geſchaffene Kirche, um die neue Gemeinde zu verſammeln. Als aber die Sache zum erſtenmal gemacht werden ſollte, ſah der fromme Herr ſich plötzlich vor einer ihm ſelbſt nicht vorgeſehenen Strenge in der Befolgung des alten Spruches: Mulier taceat in ecclesia, — es waren nämlich nur die Männer gekommen, die Weiber da¬ gegen hatten ſich gar nicht über die Schwelle gewagt, ſintemalen es doch eben — das Flötenhaus war! Solche Klubhäuſer mit allen Sorten komplizierter Bräuche findeſt du nun nicht bloß bei den Bakaïris allein. Semon, der famoſe Erforſcher des Molchfiſchs und Schnabeltiers, hat ſie beiſpielsweiſe aus Neu-Guinea ſehr klar beſchrieben. Das iſt das Land, wo heute noch die Wilden vielfältig ihre Häuſer als wahre Pfahlbauten errichten wie unſere vor¬ geſchichtlichen Ahnen es in den Schweizer Seen machten, ſo daß die ganze Geſchichte mit dieſer Staffage förmlich ſchon einen Eiszeitzug bekommt. Das Männerhaus iſt denn auch als großes Gemeinſchaftslokal recht ein ſolcher hoch aufgeſtelzter Bau auf Pfählen. „Marea“ heißt es. Im Marea wohnen und ſchlafen alle Junggeſellen ſtändig, die Ehemänner wenigſtens einen Teil ihrer Zeit. Kein Weib darf auch hier bei Leibes- und Lebensgefahr mit herein. Die Waffen und Trophäen des Mannsvolks aber liegen und hängen frei herum, die Pfoſten ſind mit Liebe ausgeſchnitzt, vor der Pforte ſchwebt eine Platt¬ form, wo es zu Zeiten hoch hergeht, Schweine geſchlachtet

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/228>, abgerufen am 29.11.2024.