kalt vorübergeht: in den Gemeinden der tiefstehenden Vögel finden sich hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu üben. Das Junge, welches seine Eltern verlor, ist nicht verloren: die Gesamtheit steht ein für das Wohl des einzelnen."
Von den wilden, meerumtobten Schären und Klippen dieser Genossenschaftsvögel fort sinkt der Blick dann in den tiefen grünen Tropenwald. Ein dumpfes Knacken der Zweige, ein schriller Trompetenton: eine Elefantenherde schiebt sich lang¬ sam dahin. Auch diese Ungetüme leben in Gemeinschaft, bis zu fünfzig, ja hundert und mehr Stück. Ein kluger alter Leit¬ elefant geht voraus. Die Herde bilden eine kleine Anzahl Männchen mit ihren viel zahlreicheren Weibchen. Diese Weibchen aber wieder zeigen das seltsamste Verhältnis zu ihren Jungen. Sie sind nicht zärtlicher gegen ihr eigenes Kind, wie gegen das jeder andern Mutter im Trupp. Je nachdem sich gerade dieses, jenes Truppkind in ihrer Nähe befindet, bietet die Elefanten¬ frau ihr Euter dar, wahllos, denn alles, was zum Trupp zählt, ist mit ihr solidarisch. Das Kind gehört der Gesellschaft!
So hast du also, merk es wohl, ganz deutlich schon im Tierreich, wo es sozial wird, zwei Pole gleichsam der Möglichkeit: -- hier alle Kinder gemeinsames Eigentum, sozial erhalten durch die Gesamtheit unter immer geringerer Individualisierung der Herkunft, -- dort einem Manne der Möglichkeit nach zugänglich alle Weiber; dieser Mann thut als Anführer der Gesamtheit einen unschätzbaren Dienst und dafür stehen ihm alle Weiber zur Verfügung.
Male das einen Schritt nur noch weiter aus: und die Ehe hat überhaupt hier keinen Zweck mehr. Was dem einen Anführer zusteht und mit ihm durchführbar war: Kollektivbesitz aller Weiber und Kollektiverziehung aller von ihm gezeugten Kinder durch die Gesamtheit, -- das kann schließlich jeder Mann in der Genossenschaft beanspruchen und gewährt erhalten, sobald er in wachsender Arbeitsteilung auch der Allgemeinheit
kalt vorübergeht: in den Gemeinden der tiefſtehenden Vögel finden ſich hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten, Barmherzigkeit zu üben. Das Junge, welches ſeine Eltern verlor, iſt nicht verloren: die Geſamtheit ſteht ein für das Wohl des einzelnen.“
Von den wilden, meerumtobten Schären und Klippen dieſer Genoſſenſchaftsvögel fort ſinkt der Blick dann in den tiefen grünen Tropenwald. Ein dumpfes Knacken der Zweige, ein ſchriller Trompetenton: eine Elefantenherde ſchiebt ſich lang¬ ſam dahin. Auch dieſe Ungetüme leben in Gemeinſchaft, bis zu fünfzig, ja hundert und mehr Stück. Ein kluger alter Leit¬ elefant geht voraus. Die Herde bilden eine kleine Anzahl Männchen mit ihren viel zahlreicheren Weibchen. Dieſe Weibchen aber wieder zeigen das ſeltſamſte Verhältnis zu ihren Jungen. Sie ſind nicht zärtlicher gegen ihr eigenes Kind, wie gegen das jeder andern Mutter im Trupp. Je nachdem ſich gerade dieſes, jenes Truppkind in ihrer Nähe befindet, bietet die Elefanten¬ frau ihr Euter dar, wahllos, denn alles, was zum Trupp zählt, iſt mit ihr ſolidariſch. Das Kind gehört der Geſellſchaft!
So haſt du alſo, merk es wohl, ganz deutlich ſchon im Tierreich, wo es ſozial wird, zwei Pole gleichſam der Möglichkeit: — hier alle Kinder gemeinſames Eigentum, ſozial erhalten durch die Geſamtheit unter immer geringerer Individualiſierung der Herkunft, — dort einem Manne der Möglichkeit nach zugänglich alle Weiber; dieſer Mann thut als Anführer der Geſamtheit einen unſchätzbaren Dienſt und dafür ſtehen ihm alle Weiber zur Verfügung.
Male das einen Schritt nur noch weiter aus: und die Ehe hat überhaupt hier keinen Zweck mehr. Was dem einen Anführer zuſteht und mit ihm durchführbar war: Kollektivbeſitz aller Weiber und Kollektiverziehung aller von ihm gezeugten Kinder durch die Geſamtheit, — das kann ſchließlich jeder Mann in der Genoſſenſchaft beanſpruchen und gewährt erhalten, ſobald er in wachſender Arbeitsteilung auch der Allgemeinheit
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[203/0217]
kalt vorübergeht: in den Gemeinden der tiefſtehenden Vögel
finden ſich hunderte, welche nur auf die Gelegenheit warten,
Barmherzigkeit zu üben. Das Junge, welches ſeine Eltern
verlor, iſt nicht verloren: die Geſamtheit ſteht ein für
das Wohl des einzelnen.“
Von den wilden, meerumtobten Schären und Klippen
dieſer Genoſſenſchaftsvögel fort ſinkt der Blick dann in den
tiefen grünen Tropenwald. Ein dumpfes Knacken der Zweige,
ein ſchriller Trompetenton: eine Elefantenherde ſchiebt ſich lang¬
ſam dahin. Auch dieſe Ungetüme leben in Gemeinſchaft, bis
zu fünfzig, ja hundert und mehr Stück. Ein kluger alter Leit¬
elefant geht voraus. Die Herde bilden eine kleine Anzahl
Männchen mit ihren viel zahlreicheren Weibchen. Dieſe Weibchen
aber wieder zeigen das ſeltſamſte Verhältnis zu ihren Jungen.
Sie ſind nicht zärtlicher gegen ihr eigenes Kind, wie gegen das
jeder andern Mutter im Trupp. Je nachdem ſich gerade dieſes,
jenes Truppkind in ihrer Nähe befindet, bietet die Elefanten¬
frau ihr Euter dar, wahllos, denn alles, was zum Trupp
zählt, iſt mit ihr ſolidariſch. Das Kind gehört der Geſellſchaft!
So haſt du alſo, merk es wohl, ganz deutlich ſchon im
Tierreich, wo es ſozial wird, zwei Pole gleichſam der Möglichkeit:
— hier alle Kinder gemeinſames Eigentum, ſozial erhalten
durch die Geſamtheit unter immer geringerer Individualiſierung
der Herkunft, — dort einem Manne der Möglichkeit nach
zugänglich alle Weiber; dieſer Mann thut als Anführer der
Geſamtheit einen unſchätzbaren Dienſt und dafür ſtehen ihm
alle Weiber zur Verfügung.
Male das einen Schritt nur noch weiter aus: und die
Ehe hat überhaupt hier keinen Zweck mehr. Was dem einen
Anführer zuſteht und mit ihm durchführbar war: Kollektivbeſitz
aller Weiber und Kollektiverziehung aller von ihm gezeugten
Kinder durch die Geſamtheit, — das kann ſchließlich jeder
Mann in der Genoſſenſchaft beanſpruchen und gewährt erhalten,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/217>, abgerufen am 28.11.2024.
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