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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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das aber gewinnt eine außerordentlich viel größere Macht erst
durch die Einmischung jener sozialen Linie.

Der Begriff des "Leittiers" wird für die Herde so un¬
geheuer wichtig, daß die einfache Arbeitsteilung der Ehe da¬
gegen zurücktritt. Indem dieses Leittier ein Mann wird, tritt
dieser in eine Übergewichtsstellung, die eine ganz neue Ordnung
anbahnt.

Nun paßt sich gar in vielen Fällen die Ehe dem an,
wird zur Polygamie, der Anführer wird Kollektivgatte einer
ganzen Gruppe von Frauen. Damit wird das Besitzverhältnis
allmählich ein ganz anderes: ein Mann gilt an Kraft etwa
zwanzig Frauen, jede dieser zwanzig Frauen aber nur ein
zwanzigstel Mann! In Wahrheit liegt auch dieser Linie
eigentlich immer noch ein Akt, eine Initiative der Frau zu
Grunde: so und so viel Weibchen wählen sich einen stärksten
Mann als Anführer. Es ist halb Sparsamkeit, halb geschickteste
Ausnützung der thatsächlich höchsten Kraft: besser zu zwanzig
hinter einem wirklichen Kraftgenie, als zwanzig Paare mit der
Chance, daß neunzehn davon weniger starke Männer haben.
Aber nun macht dieser "Anführer" sich kraft seiner Kraft auch
zum Ehemann, und damit kommt nun doch schließlich eine
stärkere Einverleibung der Weiber in seinen "Besitz" zu stande.
Und eine Steigerung davon ist endlich dann jenes eigentümliche
Verhältnis, daß der Leitaffe einer doppelgeschlechtigen Herde
noch einmal über die Köpfe aller echten Ehemänner hinweg,
alle Weiber "besitzt".

Damit sind wir aber allgemein bei einem Punkt, wo das
Sozialleben anfängt, die Ehe überhaupt wieder zu verschlingen.
Ein zweites Motiv ist dabei von anderer Seite her flott beim
Werk, je "sozialer" das Ganze wird. Es betrifft die Kinderpflege.

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das aber gewinnt eine außerordentlich viel größere Macht erſt
durch die Einmiſchung jener ſozialen Linie.

Der Begriff des „Leittiers“ wird für die Herde ſo un¬
geheuer wichtig, daß die einfache Arbeitsteilung der Ehe da¬
gegen zurücktritt. Indem dieſes Leittier ein Mann wird, tritt
dieſer in eine Übergewichtsſtellung, die eine ganz neue Ordnung
anbahnt.

Nun paßt ſich gar in vielen Fällen die Ehe dem an,
wird zur Polygamie, der Anführer wird Kollektivgatte einer
ganzen Gruppe von Frauen. Damit wird das Beſitzverhältnis
allmählich ein ganz anderes: ein Mann gilt an Kraft etwa
zwanzig Frauen, jede dieſer zwanzig Frauen aber nur ein
zwanzigſtel Mann! In Wahrheit liegt auch dieſer Linie
eigentlich immer noch ein Akt, eine Initiative der Frau zu
Grunde: ſo und ſo viel Weibchen wählen ſich einen ſtärkſten
Mann als Anführer. Es iſt halb Sparſamkeit, halb geſchickteſte
Ausnützung der thatſächlich höchſten Kraft: beſſer zu zwanzig
hinter einem wirklichen Kraftgenie, als zwanzig Paare mit der
Chance, daß neunzehn davon weniger ſtarke Männer haben.
Aber nun macht dieſer „Anführer“ ſich kraft ſeiner Kraft auch
zum Ehemann, und damit kommt nun doch ſchließlich eine
ſtärkere Einverleibung der Weiber in ſeinen „Beſitz“ zu ſtande.
Und eine Steigerung davon iſt endlich dann jenes eigentümliche
Verhältnis, daß der Leitaffe einer doppelgeſchlechtigen Herde
noch einmal über die Köpfe aller echten Ehemänner hinweg,
alle Weiber „beſitzt“.

Damit ſind wir aber allgemein bei einem Punkt, wo das
Sozialleben anfängt, die Ehe überhaupt wieder zu verſchlingen.
Ein zweites Motiv iſt dabei von anderer Seite her flott beim
Werk, je „ſozialer“ das Ganze wird. Es betrifft die Kinderpflege.

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[201/0215] das aber gewinnt eine außerordentlich viel größere Macht erſt durch die Einmiſchung jener ſozialen Linie. Der Begriff des „Leittiers“ wird für die Herde ſo un¬ geheuer wichtig, daß die einfache Arbeitsteilung der Ehe da¬ gegen zurücktritt. Indem dieſes Leittier ein Mann wird, tritt dieſer in eine Übergewichtsſtellung, die eine ganz neue Ordnung anbahnt. Nun paßt ſich gar in vielen Fällen die Ehe dem an, wird zur Polygamie, der Anführer wird Kollektivgatte einer ganzen Gruppe von Frauen. Damit wird das Beſitzverhältnis allmählich ein ganz anderes: ein Mann gilt an Kraft etwa zwanzig Frauen, jede dieſer zwanzig Frauen aber nur ein zwanzigſtel Mann! In Wahrheit liegt auch dieſer Linie eigentlich immer noch ein Akt, eine Initiative der Frau zu Grunde: ſo und ſo viel Weibchen wählen ſich einen ſtärkſten Mann als Anführer. Es iſt halb Sparſamkeit, halb geſchickteſte Ausnützung der thatſächlich höchſten Kraft: beſſer zu zwanzig hinter einem wirklichen Kraftgenie, als zwanzig Paare mit der Chance, daß neunzehn davon weniger ſtarke Männer haben. Aber nun macht dieſer „Anführer“ ſich kraft ſeiner Kraft auch zum Ehemann, und damit kommt nun doch ſchließlich eine ſtärkere Einverleibung der Weiber in ſeinen „Beſitz“ zu ſtande. Und eine Steigerung davon iſt endlich dann jenes eigentümliche Verhältnis, daß der Leitaffe einer doppelgeſchlechtigen Herde noch einmal über die Köpfe aller echten Ehemänner hinweg, alle Weiber „beſitzt“. Damit ſind wir aber allgemein bei einem Punkt, wo das Sozialleben anfängt, die Ehe überhaupt wieder zu verſchlingen. Ein zweites Motiv iſt dabei von anderer Seite her flott beim Werk, je „ſozialer“ das Ganze wird. Es betrifft die Kinderpflege. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/215>, abgerufen am 28.11.2024.