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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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dreißig und vierzig Stück, und dieses Rudel leitet auch hier
eine Alterspräsidentin, eine besonders erfahrene Geis. Der
Bock kann sich eben auch allein helfen, die Weiber aber drängen
sich zusammen im Gefühl der Schutzlosigkeit jedes Einzeltiers. Wie
nah liegt aber dann von dieser Stufe aus abermals eine höhere!

Warum soll nicht auch außerhalb der Ehezeit der Ver¬
such gemacht werden, für die Allgemeinheit der weiblichen Herde
einen starken Mann oder einige Männer zu gewinnen, die rein
zu Leit- und Schutzzwecken mitgehen ohne jede erotische Zuthat?
Etwa im Sinne, wie wenn ein Frauenkloster sich einen Ge¬
wappneten wirbt, der bei Nacht das Haus verteidigt, oder einen
Rechtsanwalt, der seine Prozesse führt? Wobei dann der letzte
Schritt noch wieder nahe genug kommt: daß nämlich einfach die
Männer und die Weiber nicht als Ehe, sondern als außerehe¬
liche Genossenschaft sich herdenweise zusammenthun und dann im
Ganzen das älteste Männchen als Leittier an die Spitze wählen.

Klettere in die Berge von Corsika und du findest bei dem
schönen Wildschaf dort, dem Mufflon, den letzteren Brauch in
alter Kraft. Zu fünfzig und hundert Stück bilden Widder
und Schafe den außerehelichen Trupp, an der Spitze aber geht
ein bewährtes altes Männchen.

Reine Weibergenossenschaften mit einem einzelnen alten
Herrn als Führer hast du dagegen in geradezu massenhaften
Beispielen. So kommen die Lamas an in der Kordillere Süd¬
amerikas und viele andere. Hier brauchst du auch nicht bei
den Wiederkäuern zu bleiben. So leben die Pavianaffen.
Nur daß du hier gerade eine kleine Schwenkung erst zur Re¬
serve vornehmen mußt.

Du gerätst nämlich doch hier auf eine Kreuzungsstelle des
Soziallebens außerhalb der Ehe und der Ehe selbst, die das
Bild verschiebt.

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dreißig und vierzig Stück, und dieſes Rudel leitet auch hier
eine Alterspräſidentin, eine beſonders erfahrene Geis. Der
Bock kann ſich eben auch allein helfen, die Weiber aber drängen
ſich zuſammen im Gefühl der Schutzloſigkeit jedes Einzeltiers. Wie
nah liegt aber dann von dieſer Stufe aus abermals eine höhere!

Warum ſoll nicht auch außerhalb der Ehezeit der Ver¬
ſuch gemacht werden, für die Allgemeinheit der weiblichen Herde
einen ſtarken Mann oder einige Männer zu gewinnen, die rein
zu Leit- und Schutzzwecken mitgehen ohne jede erotiſche Zuthat?
Etwa im Sinne, wie wenn ein Frauenkloſter ſich einen Ge¬
wappneten wirbt, der bei Nacht das Haus verteidigt, oder einen
Rechtsanwalt, der ſeine Prozeſſe führt? Wobei dann der letzte
Schritt noch wieder nahe genug kommt: daß nämlich einfach die
Männer und die Weiber nicht als Ehe, ſondern als außerehe¬
liche Genoſſenſchaft ſich herdenweiſe zuſammenthun und dann im
Ganzen das älteſte Männchen als Leittier an die Spitze wählen.

Klettere in die Berge von Corſika und du findeſt bei dem
ſchönen Wildſchaf dort, dem Mufflon, den letzteren Brauch in
alter Kraft. Zu fünfzig und hundert Stück bilden Widder
und Schafe den außerehelichen Trupp, an der Spitze aber geht
ein bewährtes altes Männchen.

Reine Weibergenoſſenſchaften mit einem einzelnen alten
Herrn als Führer haſt du dagegen in geradezu maſſenhaften
Beiſpielen. So kommen die Lamas an in der Kordillere Süd¬
amerikas und viele andere. Hier brauchſt du auch nicht bei
den Wiederkäuern zu bleiben. So leben die Pavianaffen.
Nur daß du hier gerade eine kleine Schwenkung erſt zur Re¬
ſerve vornehmen mußt.

Du gerätſt nämlich doch hier auf eine Kreuzungsſtelle des
Soziallebens außerhalb der Ehe und der Ehe ſelbſt, die das
Bild verſchiebt.

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[192/0206] dreißig und vierzig Stück, und dieſes Rudel leitet auch hier eine Alterspräſidentin, eine beſonders erfahrene Geis. Der Bock kann ſich eben auch allein helfen, die Weiber aber drängen ſich zuſammen im Gefühl der Schutzloſigkeit jedes Einzeltiers. Wie nah liegt aber dann von dieſer Stufe aus abermals eine höhere! Warum ſoll nicht auch außerhalb der Ehezeit der Ver¬ ſuch gemacht werden, für die Allgemeinheit der weiblichen Herde einen ſtarken Mann oder einige Männer zu gewinnen, die rein zu Leit- und Schutzzwecken mitgehen ohne jede erotiſche Zuthat? Etwa im Sinne, wie wenn ein Frauenkloſter ſich einen Ge¬ wappneten wirbt, der bei Nacht das Haus verteidigt, oder einen Rechtsanwalt, der ſeine Prozeſſe führt? Wobei dann der letzte Schritt noch wieder nahe genug kommt: daß nämlich einfach die Männer und die Weiber nicht als Ehe, ſondern als außerehe¬ liche Genoſſenſchaft ſich herdenweiſe zuſammenthun und dann im Ganzen das älteſte Männchen als Leittier an die Spitze wählen. Klettere in die Berge von Corſika und du findeſt bei dem ſchönen Wildſchaf dort, dem Mufflon, den letzteren Brauch in alter Kraft. Zu fünfzig und hundert Stück bilden Widder und Schafe den außerehelichen Trupp, an der Spitze aber geht ein bewährtes altes Männchen. Reine Weibergenoſſenſchaften mit einem einzelnen alten Herrn als Führer haſt du dagegen in geradezu maſſenhaften Beiſpielen. So kommen die Lamas an in der Kordillere Süd¬ amerikas und viele andere. Hier brauchſt du auch nicht bei den Wiederkäuern zu bleiben. So leben die Pavianaffen. Nur daß du hier gerade eine kleine Schwenkung erſt zur Re¬ ſerve vornehmen mußt. Du gerätſt nämlich doch hier auf eine Kreuzungsſtelle des Soziallebens außerhalb der Ehe und der Ehe ſelbſt, die das Bild verſchiebt. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/206>, abgerufen am 17.05.2024.