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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Nichtbrunstzeit. Im Falle Spinne ist es das Weibchen. Im
Falle Stichling das Männchen. Wenn aber die Anforderungen
größer werden, müssen beide Liebespartner heran. Das
Männchen und Weibchen, die den Begattungsakt vollzogen
haben, müssen auch über diese Zeit weit hinaus noch beisammen
bleiben. Es gilt ein Nest bauen, Futter tragen, die brütende
Mutter und die hilflosen Jungen verteidigen. Diese Dinge
schieben sich zum Teil zurück in die Brunstperiode noch selber.
Diese kann gar nicht mehr anders durchgeführt werden als von
ein und demselben Paar. Ein ganzer Complex von Pflichten
wickelt sich nach allen Seiten um die Gatten. Dieses Stadium
ist entschieden schon eheähnlich. Es ist eine Art Zeitehe
auf Widerruf.

Von hier aber ist der Schritt zur fünften Stufe eine
logische Kleinigkeit. Die Jungenpflege dehnt sich so lange aus,
daß Männlein und Weiblein noch beisammen sind, als schon
die nächste Brunstperiode naht. Was wird geschehen? Sie
bleiben halt auch in der zusammen, sie beide. Erstens legt's
die Gewohnheit nahe. Sind sie sich doch in der gemeinsamen
Zeit nicht bloß durch die Liebesfidulität nahe gekommen,
sondern noch durch etwas entschieden Dauerhafteres: nämlich
gemeinschaftliche Arbeit. Zweitens mag der Vogel denken:
eine bessere, einen besseren kriege ich vielleicht doch nicht;
möglich daß ich ganz sitzen bleibe, wenn ich diese oder diesen
jetzt laufen lasse. Mag's nun der Vogel bewußt selber so
denken oder (je nach deiner Auffassung von Instinkt) mag
"es" in ihm denken, das lasse ich dir offen. Jedenfalls ist
das Fazit, daß der Ehekontrakt stillschweigend auch für das
neue Brunstquartal erneuert wird. Dieses Brunstquartal liefert
aber wieder Junge und damit geht die Geschichte wieder ins
selbe Geleis. Die Zeitehe ist einfach zur Dauerehe erklärt,
ohne viel Skrupel. Willst du dir ausmalen, es bliebe noch
ein Lebensrest über die Zeugungszeit hinaus, wo also die
Brunstperioden erlöschen, und wie es da werden soll, so denke

Nichtbrunſtzeit. Im Falle Spinne iſt es das Weibchen. Im
Falle Stichling das Männchen. Wenn aber die Anforderungen
größer werden, müſſen beide Liebespartner heran. Das
Männchen und Weibchen, die den Begattungsakt vollzogen
haben, müſſen auch über dieſe Zeit weit hinaus noch beiſammen
bleiben. Es gilt ein Neſt bauen, Futter tragen, die brütende
Mutter und die hilfloſen Jungen verteidigen. Dieſe Dinge
ſchieben ſich zum Teil zurück in die Brunſtperiode noch ſelber.
Dieſe kann gar nicht mehr anders durchgeführt werden als von
ein und demſelben Paar. Ein ganzer Complex von Pflichten
wickelt ſich nach allen Seiten um die Gatten. Dieſes Stadium
iſt entſchieden ſchon eheähnlich. Es iſt eine Art Zeitehe
auf Widerruf.

Von hier aber iſt der Schritt zur fünften Stufe eine
logiſche Kleinigkeit. Die Jungenpflege dehnt ſich ſo lange aus,
daß Männlein und Weiblein noch beiſammen ſind, als ſchon
die nächſte Brunſtperiode naht. Was wird geſchehen? Sie
bleiben halt auch in der zuſammen, ſie beide. Erſtens legt's
die Gewohnheit nahe. Sind ſie ſich doch in der gemeinſamen
Zeit nicht bloß durch die Liebesfidulität nahe gekommen,
ſondern noch durch etwas entſchieden Dauerhafteres: nämlich
gemeinſchaftliche Arbeit. Zweitens mag der Vogel denken:
eine beſſere, einen beſſeren kriege ich vielleicht doch nicht;
möglich daß ich ganz ſitzen bleibe, wenn ich dieſe oder dieſen
jetzt laufen laſſe. Mag's nun der Vogel bewußt ſelber ſo
denken oder (je nach deiner Auffaſſung von Inſtinkt) mag
„es“ in ihm denken, das laſſe ich dir offen. Jedenfalls iſt
das Fazit, daß der Ehekontrakt ſtillſchweigend auch für das
neue Brunſtquartal erneuert wird. Dieſes Brunſtquartal liefert
aber wieder Junge und damit geht die Geſchichte wieder ins
ſelbe Geleis. Die Zeitehe iſt einfach zur Dauerehe erklärt,
ohne viel Skrupel. Willſt du dir ausmalen, es bliebe noch
ein Lebensreſt über die Zeugungszeit hinaus, wo alſo die
Brunſtperioden erlöſchen, und wie es da werden ſoll, ſo denke

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[160/0174] Nichtbrunſtzeit. Im Falle Spinne iſt es das Weibchen. Im Falle Stichling das Männchen. Wenn aber die Anforderungen größer werden, müſſen beide Liebespartner heran. Das Männchen und Weibchen, die den Begattungsakt vollzogen haben, müſſen auch über dieſe Zeit weit hinaus noch beiſammen bleiben. Es gilt ein Neſt bauen, Futter tragen, die brütende Mutter und die hilfloſen Jungen verteidigen. Dieſe Dinge ſchieben ſich zum Teil zurück in die Brunſtperiode noch ſelber. Dieſe kann gar nicht mehr anders durchgeführt werden als von ein und demſelben Paar. Ein ganzer Complex von Pflichten wickelt ſich nach allen Seiten um die Gatten. Dieſes Stadium iſt entſchieden ſchon eheähnlich. Es iſt eine Art Zeitehe auf Widerruf. Von hier aber iſt der Schritt zur fünften Stufe eine logiſche Kleinigkeit. Die Jungenpflege dehnt ſich ſo lange aus, daß Männlein und Weiblein noch beiſammen ſind, als ſchon die nächſte Brunſtperiode naht. Was wird geſchehen? Sie bleiben halt auch in der zuſammen, ſie beide. Erſtens legt's die Gewohnheit nahe. Sind ſie ſich doch in der gemeinſamen Zeit nicht bloß durch die Liebesfidulität nahe gekommen, ſondern noch durch etwas entſchieden Dauerhafteres: nämlich gemeinſchaftliche Arbeit. Zweitens mag der Vogel denken: eine beſſere, einen beſſeren kriege ich vielleicht doch nicht; möglich daß ich ganz ſitzen bleibe, wenn ich dieſe oder dieſen jetzt laufen laſſe. Mag's nun der Vogel bewußt ſelber ſo denken oder (je nach deiner Auffaſſung von Inſtinkt) mag „es“ in ihm denken, das laſſe ich dir offen. Jedenfalls iſt das Fazit, daß der Ehekontrakt ſtillſchweigend auch für das neue Brunſtquartal erneuert wird. Dieſes Brunſtquartal liefert aber wieder Junge und damit geht die Geſchichte wieder ins ſelbe Geleis. Die Zeitehe iſt einfach zur Dauerehe erklärt, ohne viel Skrupel. Willſt du dir ausmalen, es bliebe noch ein Lebensreſt über die Zeugungszeit hinaus, wo alſo die Brunſtperioden erlöſchen, und wie es da werden ſoll, ſo denke

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/174>, abgerufen am 23.11.2024.