Im warmen Bauch der Höhle sitzt die nackte Bande um ihr Feuer, Männer und Weiber. Eine Beute ist gemacht, ein Mammut ist in einer Grube gefangen, mit Pfeilen vom sicheren Rande aus erschossen worden. Nach langem Hungern sind alle einmal wieder satt geworden. Ihr Blut glüht von Wärme und junger Kraft. So regt sich der gewaltigste Trieb. Jahrtausende noch trennen diesen Tag von unsern ältesten Überlieferungen fester menschlicher Liebessatzungen. Wie nahe liegt es, sich hineinzudenken in ein freies Umarmen Aller mit Allen! Kein Geist irgend einer überkommenen Vorschrift weht durch den heißen Raum. Nur das uralte Liebesgebot selbst. Wo sollen da Schranken gewesen sein? Wie die Tiere werden sie in ihrer Kraft sich ausgetobt haben, wahllos, regellos, nur Keime pflanzend im dunkeln Trieb, damit die Menschheit nicht wieder aussterbe, nun sie eben endlich da war, -- wie die Eintagsfliegen, wie die Heringe in den Schauern ihrer großen Gattungsnacht ....
Wie die Tiere! Das klingt so überaus plausibel.
Indessen, es giebt da eine hübsche Geschichte, die ich dir nicht vorenthalten möchte.
Es war einmal ein Häuptling auf der Insel Ceylon. Die Geschichte spielt in neuerer Zeit und der Mann lebte durchaus innerhalb gewisser Begriffe von Ehe. Er war aber Polygamist nach Landes Brauch, hatte also mehrere Frauen. Nun kommt er zu den Weddas, jenem viel urtümlicheren, zwerg¬ haften, noch den Grenzen aller Kultur anscheinend außerordent¬ lich nahen Volksrest in den Urwäldern seiner Insel. Ihm mag zu Mute gewesen sein, wie wenn wir unter jene Schussenrieder oder Taubacher an der Eiszeitgrenze gerieten. Er schaut sich auch nach der Ehe der Leute um und er bemerkt hier etwas, was ihn förmlich entsetzt. "Diese Menschenkinder", ruft er, "leben ja in der kompletesten Barbarei, denn sie -- haben jeder nur eine Frau, von der sie sich nur im Tode trennen. Unerhört, -- die leben ja reinweg wie die Wanderu-Affen!"
Im warmen Bauch der Höhle ſitzt die nackte Bande um ihr Feuer, Männer und Weiber. Eine Beute iſt gemacht, ein Mammut iſt in einer Grube gefangen, mit Pfeilen vom ſicheren Rande aus erſchoſſen worden. Nach langem Hungern ſind alle einmal wieder ſatt geworden. Ihr Blut glüht von Wärme und junger Kraft. So regt ſich der gewaltigſte Trieb. Jahrtauſende noch trennen dieſen Tag von unſern älteſten Überlieferungen feſter menſchlicher Liebesſatzungen. Wie nahe liegt es, ſich hineinzudenken in ein freies Umarmen Aller mit Allen! Kein Geiſt irgend einer überkommenen Vorſchrift weht durch den heißen Raum. Nur das uralte Liebesgebot ſelbſt. Wo ſollen da Schranken geweſen ſein? Wie die Tiere werden ſie in ihrer Kraft ſich ausgetobt haben, wahllos, regellos, nur Keime pflanzend im dunkeln Trieb, damit die Menſchheit nicht wieder ausſterbe, nun ſie eben endlich da war, — wie die Eintagsfliegen, wie die Heringe in den Schauern ihrer großen Gattungsnacht ....
Wie die Tiere! Das klingt ſo überaus plauſibel.
Indeſſen, es giebt da eine hübſche Geſchichte, die ich dir nicht vorenthalten möchte.
Es war einmal ein Häuptling auf der Inſel Ceylon. Die Geſchichte ſpielt in neuerer Zeit und der Mann lebte durchaus innerhalb gewiſſer Begriffe von Ehe. Er war aber Polygamiſt nach Landes Brauch, hatte alſo mehrere Frauen. Nun kommt er zu den Weddas, jenem viel urtümlicheren, zwerg¬ haften, noch den Grenzen aller Kultur anſcheinend außerordent¬ lich nahen Volksreſt in den Urwäldern ſeiner Inſel. Ihm mag zu Mute geweſen ſein, wie wenn wir unter jene Schuſſenrieder oder Taubacher an der Eiszeitgrenze gerieten. Er ſchaut ſich auch nach der Ehe der Leute um und er bemerkt hier etwas, was ihn förmlich entſetzt. „Dieſe Menſchenkinder“, ruft er, „leben ja in der kompleteſten Barbarei, denn ſie — haben jeder nur eine Frau, von der ſie ſich nur im Tode trennen. Unerhört, — die leben ja reinweg wie die Wanderu-Affen!“
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Im warmen Bauch der Höhle ſitzt die nackte Bande um
ihr Feuer, Männer und Weiber. Eine Beute iſt gemacht,
ein Mammut iſt in einer Grube gefangen, mit Pfeilen vom
ſicheren Rande aus erſchoſſen worden. Nach langem Hungern
ſind alle einmal wieder ſatt geworden. Ihr Blut glüht von
Wärme und junger Kraft. So regt ſich der gewaltigſte Trieb.
Jahrtauſende noch trennen dieſen Tag von unſern älteſten
Überlieferungen feſter menſchlicher Liebesſatzungen. Wie nahe
liegt es, ſich hineinzudenken in ein freies Umarmen Aller mit
Allen! Kein Geiſt irgend einer überkommenen Vorſchrift weht
durch den heißen Raum. Nur das uralte Liebesgebot ſelbſt.
Wo ſollen da Schranken geweſen ſein? Wie die Tiere werden
ſie in ihrer Kraft ſich ausgetobt haben, wahllos, regellos, nur
Keime pflanzend im dunkeln Trieb, damit die Menſchheit
nicht wieder ausſterbe, nun ſie eben endlich da war, — wie
die Eintagsfliegen, wie die Heringe in den Schauern ihrer
großen Gattungsnacht ....
Wie die Tiere! Das klingt ſo überaus plauſibel.
Indeſſen, es giebt da eine hübſche Geſchichte, die ich dir
nicht vorenthalten möchte.
Es war einmal ein Häuptling auf der Inſel Ceylon.
Die Geſchichte ſpielt in neuerer Zeit und der Mann lebte
durchaus innerhalb gewiſſer Begriffe von Ehe. Er war aber
Polygamiſt nach Landes Brauch, hatte alſo mehrere Frauen.
Nun kommt er zu den Weddas, jenem viel urtümlicheren, zwerg¬
haften, noch den Grenzen aller Kultur anſcheinend außerordent¬
lich nahen Volksreſt in den Urwäldern ſeiner Inſel. Ihm mag
zu Mute geweſen ſein, wie wenn wir unter jene Schuſſenrieder
oder Taubacher an der Eiszeitgrenze gerieten. Er ſchaut ſich
auch nach der Ehe der Leute um und er bemerkt hier etwas,
was ihn förmlich entſetzt. „Dieſe Menſchenkinder“, ruft er,
„leben ja in der kompleteſten Barbarei, denn ſie — haben
jeder nur eine Frau, von der ſie ſich nur im Tode trennen.
Unerhört, — die leben ja reinweg wie die Wanderu-Affen!“
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/169>, abgerufen am 23.11.2024.
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