Eine Reihe Wolken hast du zerteilt. Aber im Hexen¬ kessel der Menschheit brodelt und brodelt es fort. Blasen steigen auf und zerplatzen. Und der blaue Dampf wirbelt über den Rand, geht in menschenhaften Gebilden dahin, immer nach weiteren. Deine Frage ist noch nicht ganz erschöpft.
Aus dem Nebel tritt die Mohammedanerin. Starr bleibt sie vor dir stehen wie eine Wolke. Der Gipfelpunkt der Schamverhüllung ist hier erreicht: auch das Gesicht ist dem profanen Blick durch den dichten Schleier unsichtbar gemacht. Ein wandelnder Vorhang, ein bewegter Haufen Tuch, in dem die Menschenform endlich ganz untergegangen ist. Welch un¬ geheurer Kontrast zu dem nackten Weibe, das nur noch eine Muschel als Symbol trug! Wie realistisch muß diese Mensch¬ heit geworden sein, die nicht gerastet hat, bis sie bei diesem anderen Extrem angelangt war: dem Extrem, das den freien Schmetterling des Weibesleibes ganz wieder in eine starre Puppe schloß. Und das alles als Schutzmaßregel, damit der Schmetterling nur noch auskrieche zur rechten Zeit!
Doch du folgst der Naturgeschichte dieses Schmetterlings noch ein Stücklein weiter. Er besitzt nicht bloß diese trans¬ portable Puppe seiner Bekleidung. Er fliegt in sein Haus -- und er steckt alsbald in einer noch viel energischeren Puppe. Dieses Haus hat vergitterte Fenster, verschlossene Thüren,
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Eine Reihe Wolken haſt du zerteilt. Aber im Hexen¬ keſſel der Menſchheit brodelt und brodelt es fort. Blaſen ſteigen auf und zerplatzen. Und der blaue Dampf wirbelt über den Rand, geht in menſchenhaften Gebilden dahin, immer nach weiteren. Deine Frage iſt noch nicht ganz erſchöpft.
Aus dem Nebel tritt die Mohammedanerin. Starr bleibt ſie vor dir ſtehen wie eine Wolke. Der Gipfelpunkt der Schamverhüllung iſt hier erreicht: auch das Geſicht iſt dem profanen Blick durch den dichten Schleier unſichtbar gemacht. Ein wandelnder Vorhang, ein bewegter Haufen Tuch, in dem die Menſchenform endlich ganz untergegangen iſt. Welch un¬ geheurer Kontraſt zu dem nackten Weibe, das nur noch eine Muſchel als Symbol trug! Wie realiſtiſch muß dieſe Menſch¬ heit geworden ſein, die nicht geraſtet hat, bis ſie bei dieſem anderen Extrem angelangt war: dem Extrem, das den freien Schmetterling des Weibesleibes ganz wieder in eine ſtarre Puppe ſchloß. Und das alles als Schutzmaßregel, damit der Schmetterling nur noch auskrieche zur rechten Zeit!
Doch du folgſt der Naturgeſchichte dieſes Schmetterlings noch ein Stücklein weiter. Er beſitzt nicht bloß dieſe trans¬ portable Puppe ſeiner Bekleidung. Er fliegt in ſein Haus — und er ſteckt alsbald in einer noch viel energiſcheren Puppe. Dieſes Haus hat vergitterte Fenſter, verſchloſſene Thüren,
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Eine Reihe Wolken haſt du zerteilt. Aber im Hexen¬
keſſel der Menſchheit brodelt und brodelt es fort. Blaſen
ſteigen auf und zerplatzen. Und der blaue Dampf wirbelt
über den Rand, geht in menſchenhaften Gebilden dahin, immer
nach weiteren. Deine Frage iſt noch nicht ganz erſchöpft.
Aus dem Nebel tritt die Mohammedanerin. Starr bleibt
ſie vor dir ſtehen wie eine Wolke. Der Gipfelpunkt der
Schamverhüllung iſt hier erreicht: auch das Geſicht iſt dem
profanen Blick durch den dichten Schleier unſichtbar gemacht.
Ein wandelnder Vorhang, ein bewegter Haufen Tuch, in dem
die Menſchenform endlich ganz untergegangen iſt. Welch un¬
geheurer Kontraſt zu dem nackten Weibe, das nur noch eine
Muſchel als Symbol trug! Wie realiſtiſch muß dieſe Menſch¬
heit geworden ſein, die nicht geraſtet hat, bis ſie bei dieſem
anderen Extrem angelangt war: dem Extrem, das den freien
Schmetterling des Weibesleibes ganz wieder in eine ſtarre
Puppe ſchloß. Und das alles als Schutzmaßregel, damit der
Schmetterling nur noch auskrieche zur rechten Zeit!
Doch du folgſt der Naturgeſchichte dieſes Schmetterlings
noch ein Stücklein weiter. Er beſitzt nicht bloß dieſe trans¬
portable Puppe ſeiner Bekleidung. Er fliegt in ſein Haus —
und er ſteckt alsbald in einer noch viel energiſcheren Puppe.
Dieſes Haus hat vergitterte Fenſter, verſchloſſene Thüren,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/160>, abgerufen am 23.11.2024.
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