und diese Uluribinde sollen dabei eine entscheidende Rolle ge¬ spielt haben, sondern auch der allgemeine Verschlußzweck im Urwalde gegen eindringendes Ungeziefer. Er hat nach eigener Anschauung ein lebhaftes Bild entworfen, was einem in dieser Hinsicht im Dickicht Brasiliens alles passieren kann. Wer im Fluß badet, der wird vom Kandirufisch (Cetopsis Candiru) bedroht, einem zolllangen, durchsichtigen Ungetümchen, das ge¬ wiß zu den schauderösesten Erfindungen der Natur gehört. Es schlüpft ihm mit besonderer Bosheit gerade in den Glied¬ kanal, sperrt sich durch seine Flossen dort fest und nötigt zur unheimlichsten Selbstoperation. Wenn der Brasilianer aufschneiden will, so erzählt er, daß sogar einem Pechvogel, der am Ufer ein Bedürfnis verrichtete, der Fisch, im Strahl empordringend, eingekrochen sei. Schlimmer aber noch ist's im Walde selbst. Von allen Seiten regnet es bösartige Zecken (Holzböcke) von den Zweigen. Sie saugen sich an, pumpen sich voll Blut wie ein Schröpfkopf, und verursachen die schlimmsten Entzündungen, wenn man sie ungeschickt abreißt. Der bekleidete Brasilianer führt da einen wahren Verzweiflungskampf. Denn auch diese Zecken greifen gerade die kritischsten Teile an. "Hat sich einer der Schmarotzer in die Glans eingebohrt, so pflegt er ihm mit einer brennenden Cigarrette so nahe auf den Leib zu rücken, als seine eigene Empfindlichkeit nur eben gestattet, da¬ mit das Tierchen, durch die Hitze bedroht, freiwillig seinen Aufenthalt aufgiebt und sich ans der Schleimhaut zurückzieht, ohne zerrissen zu werden." In diesem brasilianischen Wald ist zuerst die Hängematte erfunden worden, -- als Schutz wenigstens gegen die am Boden kriechenden Unholde der Insektenwelt. Wie naheliegend, daß der nackte Wilde sich da schließlich keinen Rat mehr gewußt hat, als die bedrohten unteren Öffnungen mit künstlichen Verschlüssen zu versehen?
Ich leugne gewiß nicht, daß solcher Zwang in bestimmten Gegenden stark übergeleitet hat von dem einfachen Symbol zum Verschluß. Aber Steinen weist selbst auf jene weiteren hy¬
und dieſe Uluribinde ſollen dabei eine entſcheidende Rolle ge¬ ſpielt haben, ſondern auch der allgemeine Verſchlußzweck im Urwalde gegen eindringendes Ungeziefer. Er hat nach eigener Anſchauung ein lebhaftes Bild entworfen, was einem in dieſer Hinſicht im Dickicht Braſiliens alles paſſieren kann. Wer im Fluß badet, der wird vom Kandirúfiſch (Cetopsis Candiru) bedroht, einem zolllangen, durchſichtigen Ungetümchen, das ge¬ wiß zu den ſchauderöſeſten Erfindungen der Natur gehört. Es ſchlüpft ihm mit beſonderer Bosheit gerade in den Glied¬ kanal, ſperrt ſich durch ſeine Floſſen dort feſt und nötigt zur unheimlichſten Selbſtoperation. Wenn der Braſilianer aufſchneiden will, ſo erzählt er, daß ſogar einem Pechvogel, der am Ufer ein Bedürfnis verrichtete, der Fiſch, im Strahl empordringend, eingekrochen ſei. Schlimmer aber noch iſt's im Walde ſelbſt. Von allen Seiten regnet es bösartige Zecken (Holzböcke) von den Zweigen. Sie ſaugen ſich an, pumpen ſich voll Blut wie ein Schröpfkopf, und verurſachen die ſchlimmſten Entzündungen, wenn man ſie ungeſchickt abreißt. Der bekleidete Braſilianer führt da einen wahren Verzweiflungskampf. Denn auch dieſe Zecken greifen gerade die kritiſchſten Teile an. „Hat ſich einer der Schmarotzer in die Glans eingebohrt, ſo pflegt er ihm mit einer brennenden Cigarrette ſo nahe auf den Leib zu rücken, als ſeine eigene Empfindlichkeit nur eben geſtattet, da¬ mit das Tierchen, durch die Hitze bedroht, freiwillig ſeinen Aufenthalt aufgiebt und ſich ans der Schleimhaut zurückzieht, ohne zerriſſen zu werden.“ In dieſem braſilianiſchen Wald iſt zuerſt die Hängematte erfunden worden, — als Schutz wenigſtens gegen die am Boden kriechenden Unholde der Inſektenwelt. Wie naheliegend, daß der nackte Wilde ſich da ſchließlich keinen Rat mehr gewußt hat, als die bedrohten unteren Öffnungen mit künſtlichen Verſchlüſſen zu verſehen?
Ich leugne gewiß nicht, daß ſolcher Zwang in beſtimmten Gegenden ſtark übergeleitet hat von dem einfachen Symbol zum Verſchluß. Aber Steinen weiſt ſelbſt auf jene weiteren hy¬
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und dieſe Uluribinde ſollen dabei eine entſcheidende Rolle ge¬
ſpielt haben, ſondern auch der allgemeine Verſchlußzweck im
Urwalde gegen eindringendes Ungeziefer. Er hat nach eigener
Anſchauung ein lebhaftes Bild entworfen, was einem in dieſer
Hinſicht im Dickicht Braſiliens alles paſſieren kann. Wer im
Fluß badet, der wird vom Kandirúfiſch (Cetopsis Candiru)
bedroht, einem zolllangen, durchſichtigen Ungetümchen, das ge¬
wiß zu den ſchauderöſeſten Erfindungen der Natur gehört.
Es ſchlüpft ihm mit beſonderer Bosheit gerade in den Glied¬
kanal, ſperrt ſich durch ſeine Floſſen dort feſt und nötigt zur
unheimlichſten Selbſtoperation. Wenn der Braſilianer aufſchneiden
will, ſo erzählt er, daß ſogar einem Pechvogel, der am Ufer
ein Bedürfnis verrichtete, der Fiſch, im Strahl empordringend,
eingekrochen ſei. Schlimmer aber noch iſt's im Walde ſelbſt.
Von allen Seiten regnet es bösartige Zecken (Holzböcke) von
den Zweigen. Sie ſaugen ſich an, pumpen ſich voll Blut wie
ein Schröpfkopf, und verurſachen die ſchlimmſten Entzündungen,
wenn man ſie ungeſchickt abreißt. Der bekleidete Braſilianer
führt da einen wahren Verzweiflungskampf. Denn auch dieſe
Zecken greifen gerade die kritiſchſten Teile an. „Hat ſich einer
der Schmarotzer in die Glans eingebohrt, ſo pflegt er ihm
mit einer brennenden Cigarrette ſo nahe auf den Leib zu
rücken, als ſeine eigene Empfindlichkeit nur eben geſtattet, da¬
mit das Tierchen, durch die Hitze bedroht, freiwillig ſeinen
Aufenthalt aufgiebt und ſich ans der Schleimhaut zurückzieht,
ohne zerriſſen zu werden.“ In dieſem braſilianiſchen Wald iſt
zuerſt die Hängematte erfunden worden, — als Schutz wenigſtens
gegen die am Boden kriechenden Unholde der Inſektenwelt.
Wie naheliegend, daß der nackte Wilde ſich da ſchließlich
keinen Rat mehr gewußt hat, als die bedrohten unteren
Öffnungen mit künſtlichen Verſchlüſſen zu verſehen?
Ich leugne gewiß nicht, daß ſolcher Zwang in beſtimmten
Gegenden ſtark übergeleitet hat von dem einfachen Symbol zum
Verſchluß. Aber Steinen weiſt ſelbſt auf jene weiteren hy¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/140>, abgerufen am 22.11.2024.
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