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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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hose an, wohl aber schnürt er sich die Vorhaut mit einem
Faden zusammen.

Sinnreicher zugleich und einfacher kann das Symbol nicht
gut gegeben werden. "Das jetzt nicht!" predigt es in der
schlichtesten und doch verständlichsten Form. Alles hat seine
Zeit, heißt es im Prediger Salomonis. Und jetzt ist nicht die
Zeit für das, woran ihr denken könntet, wenn ihr diesen Um¬
riß Natur seht. Die Thür ist verschlossen, nicht grob mit
einem Diebsschloß, sondern bloß so wie wenn einer eine Fahne
auf Halbmast zieht zum stillen Zeichen: Ich bin nicht zu
Hause.

Willst du diesem Eskimo seine Schnur abnehmen, wo¬
möglich in Gegenwart von Frauen abnehmen, so schämt er
sich. Was ist das? Du hast ihn plötzlich erotisch nackt gemacht,
obwohl alle Umstände dem richtigen erotischen Zweck sonst
widersprechen! Du hast etwas Unlogisches, einen klaffenden
Widerspruch geschaffen. Die Unlogik wieder schafft bei ihm
Unbehagen, Reaktion, -- Entrüstung. Eine Zornesäußerung
ist -- die Scham. Zorn über eine unlogische Handlung.

Gewiß, dein Eskimo wird dir das nicht so professoral
entwickeln können. Er hat kein Kolleg über Logik gehört. Das
Wort selber ist schwerlich in seinem Wortschatz. Sicherlich
aber hat er einen anderen Begriff: den Begriff Sitte, Brauch,
hergebrachte Schicklichkeit. Ich weiß von keinem Volk der
Erde, ob nackt, ob behemdet, das diesen schlichten Begriff nicht
hätte. Der Inhalt ist unendlich verschieden; der Begriff aber
bleibt. Dein Eskimo wird dir sagen, daß es sich "nicht schickt",
den Vorhautsverschluß jetzt abzulegen. Das ist in Wahrheit
aber nichts als die hergebrachte Überlieferungsform der ur¬
sprünglichen Empfindung von Handlungs-Unlogik. Der Mensch
ist ein soziales Wesen, mit Zusammenhang der Geschlechter¬
folgen, mit Traditionen, mit Weitergeben alter Erfahrungen
als einfache Lehrregeln, die den Jungen immer wieder von
den Alten beigebracht werden. So und so lange ist's am

hoſe an, wohl aber ſchnürt er ſich die Vorhaut mit einem
Faden zuſammen.

Sinnreicher zugleich und einfacher kann das Symbol nicht
gut gegeben werden. „Das jetzt nicht!“ predigt es in der
ſchlichteſten und doch verſtändlichſten Form. Alles hat ſeine
Zeit, heißt es im Prediger Salomonis. Und jetzt iſt nicht die
Zeit für das, woran ihr denken könntet, wenn ihr dieſen Um¬
riß Natur ſeht. Die Thür iſt verſchloſſen, nicht grob mit
einem Diebsſchloß, ſondern bloß ſo wie wenn einer eine Fahne
auf Halbmaſt zieht zum ſtillen Zeichen: Ich bin nicht zu
Hauſe.

Willſt du dieſem Eskimo ſeine Schnur abnehmen, wo¬
möglich in Gegenwart von Frauen abnehmen, ſo ſchämt er
ſich. Was iſt das? Du haſt ihn plötzlich erotiſch nackt gemacht,
obwohl alle Umſtände dem richtigen erotiſchen Zweck ſonſt
widerſprechen! Du haſt etwas Unlogiſches, einen klaffenden
Widerſpruch geſchaffen. Die Unlogik wieder ſchafft bei ihm
Unbehagen, Reaktion, — Entrüſtung. Eine Zornesäußerung
iſt — die Scham. Zorn über eine unlogiſche Handlung.

Gewiß, dein Eskimo wird dir das nicht ſo profeſſoral
entwickeln können. Er hat kein Kolleg über Logik gehört. Das
Wort ſelber iſt ſchwerlich in ſeinem Wortſchatz. Sicherlich
aber hat er einen anderen Begriff: den Begriff Sitte, Brauch,
hergebrachte Schicklichkeit. Ich weiß von keinem Volk der
Erde, ob nackt, ob behemdet, das dieſen ſchlichten Begriff nicht
hätte. Der Inhalt iſt unendlich verſchieden; der Begriff aber
bleibt. Dein Eskimo wird dir ſagen, daß es ſich „nicht ſchickt“,
den Vorhautsverſchluß jetzt abzulegen. Das iſt in Wahrheit
aber nichts als die hergebrachte Überlieferungsform der ur¬
ſprünglichen Empfindung von Handlungs-Unlogik. Der Menſch
iſt ein ſoziales Weſen, mit Zuſammenhang der Geſchlechter¬
folgen, mit Traditionen, mit Weitergeben alter Erfahrungen
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[109/0123] hoſe an, wohl aber ſchnürt er ſich die Vorhaut mit einem Faden zuſammen. Sinnreicher zugleich und einfacher kann das Symbol nicht gut gegeben werden. „Das jetzt nicht!“ predigt es in der ſchlichteſten und doch verſtändlichſten Form. Alles hat ſeine Zeit, heißt es im Prediger Salomonis. Und jetzt iſt nicht die Zeit für das, woran ihr denken könntet, wenn ihr dieſen Um¬ riß Natur ſeht. Die Thür iſt verſchloſſen, nicht grob mit einem Diebsſchloß, ſondern bloß ſo wie wenn einer eine Fahne auf Halbmaſt zieht zum ſtillen Zeichen: Ich bin nicht zu Hauſe. Willſt du dieſem Eskimo ſeine Schnur abnehmen, wo¬ möglich in Gegenwart von Frauen abnehmen, ſo ſchämt er ſich. Was iſt das? Du haſt ihn plötzlich erotiſch nackt gemacht, obwohl alle Umſtände dem richtigen erotiſchen Zweck ſonſt widerſprechen! Du haſt etwas Unlogiſches, einen klaffenden Widerſpruch geſchaffen. Die Unlogik wieder ſchafft bei ihm Unbehagen, Reaktion, — Entrüſtung. Eine Zornesäußerung iſt — die Scham. Zorn über eine unlogiſche Handlung. Gewiß, dein Eskimo wird dir das nicht ſo profeſſoral entwickeln können. Er hat kein Kolleg über Logik gehört. Das Wort ſelber iſt ſchwerlich in ſeinem Wortſchatz. Sicherlich aber hat er einen anderen Begriff: den Begriff Sitte, Brauch, hergebrachte Schicklichkeit. Ich weiß von keinem Volk der Erde, ob nackt, ob behemdet, das dieſen ſchlichten Begriff nicht hätte. Der Inhalt iſt unendlich verſchieden; der Begriff aber bleibt. Dein Eskimo wird dir ſagen, daß es ſich „nicht ſchickt“, den Vorhautsverſchluß jetzt abzulegen. Das iſt in Wahrheit aber nichts als die hergebrachte Überlieferungsform der ur¬ ſprünglichen Empfindung von Handlungs-Unlogik. Der Menſch iſt ein ſoziales Weſen, mit Zuſammenhang der Geſchlechter¬ folgen, mit Traditionen, mit Weitergeben alter Erfahrungen als einfache Lehrregeln, die den Jungen immer wieder von den Alten beigebracht werden. So und ſo lange iſt's am

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/123>, abgerufen am 24.11.2024.