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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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wie des Hektor Söhnlein oder in einen Korb aus Weiden¬
ruten, den die mongolische Hirtin vor sich aufs Roß nimmt,
-- neues über das Tier hinaus bietet auch das immer noch
nicht. Wie wunderbar ist die Kinderwiege, die unsere Zwerg¬
maus ins Kornfeld hängt. Meterhoch oft über der Erde
flicht sie einige zwanzig Rietgrashalme zusammen und setzt ein
feinstes Kugelkörbchen, einem Gänseei an Form und Größe
gleich, hinein, aus vielfach zerbissenen, zu Fäden verdünnten
Rohrblättern gewoben und innen mit Rohrähren und Kätzchen
mollig gepolstert. Der große schwarze Kolben-Wasserkäfer aber
webt aus Spinnstoff um den eigenen Hinterleib eine Art stumpf
geschlossener Badehose, beschwert sie mit seinen Eiern, schlüpft
dann ganz heraus und dreht die Offenseite spindelförmig zu.
Die Spindelspitze ragt über die Wasserfläche vor und läßt
durch einen feinen Kanal frische Luft zu den Eiern treten.
So wird das Mosesschifflein vom Käfer entlassen, auch das
ein Wiegenkunstwerk ersten Ranges.

Als Hüons Liebste in Wielands "Oberon" in robinson¬
hafter Einsamkeit Mutter werden soll, da muß Titania als
Schutzgeist helfend eintreten, -- als Geburtshelferin. Unser
Kulturgefühl steckt in der Erfindung des Dichters: daß ein
Menschenweib rettungslos zu Grunde gehen müsse, dem nicht
ein kundiger zweiter Mensch beim Geburtsakt zu Hülfe käme.
Die Hirschkuh in ihrem Walde macht's allein, die Katze auf
ihrer Heuscheuer, die Zwergmaus in ihrem Nest: der Mensch
braucht eine Hebamme. Und doch ist auch diese Vorstellung
nur eine durch und durch irrtümliche.

Unzählige schwangere Frauen wilder Stämme vollziehen
heute noch ohne besondere Gefahr den Akt in völlig oberon¬
hafter Weltverlassenheit. Longfellow, der echte Indianersagen
in sein dem Oberon an Schönheit wohl vergleichbares Hiawatha-
Epos verarbeitet hat, hat mit Recht die Titania verschmäht
und läßt seine Nokanis im Sternenschein auf einem Lilienfelde
allein und "freudig" eine Tochter gebären. Denn die wirkliche

wie des Hektor Söhnlein oder in einen Korb aus Weiden¬
ruten, den die mongoliſche Hirtin vor ſich aufs Roß nimmt,
— neues über das Tier hinaus bietet auch das immer noch
nicht. Wie wunderbar iſt die Kinderwiege, die unſere Zwerg¬
maus ins Kornfeld hängt. Meterhoch oft über der Erde
flicht ſie einige zwanzig Rietgrashalme zuſammen und ſetzt ein
feinſtes Kugelkörbchen, einem Gänſeei an Form und Größe
gleich, hinein, aus vielfach zerbiſſenen, zu Fäden verdünnten
Rohrblättern gewoben und innen mit Rohrähren und Kätzchen
mollig gepolſtert. Der große ſchwarze Kolben-Waſſerkäfer aber
webt aus Spinnſtoff um den eigenen Hinterleib eine Art ſtumpf
geſchloſſener Badehoſe, beſchwert ſie mit ſeinen Eiern, ſchlüpft
dann ganz heraus und dreht die Offenſeite ſpindelförmig zu.
Die Spindelſpitze ragt über die Waſſerfläche vor und läßt
durch einen feinen Kanal friſche Luft zu den Eiern treten.
So wird das Moſesſchifflein vom Käfer entlaſſen, auch das
ein Wiegenkunſtwerk erſten Ranges.

Als Hüons Liebſte in Wielands „Oberon“ in robinſon¬
hafter Einſamkeit Mutter werden ſoll, da muß Titania als
Schutzgeiſt helfend eintreten, — als Geburtshelferin. Unſer
Kulturgefühl ſteckt in der Erfindung des Dichters: daß ein
Menſchenweib rettungslos zu Grunde gehen müſſe, dem nicht
ein kundiger zweiter Menſch beim Geburtsakt zu Hülfe käme.
Die Hirſchkuh in ihrem Walde macht's allein, die Katze auf
ihrer Heuſcheuer, die Zwergmaus in ihrem Neſt: der Menſch
braucht eine Hebamme. Und doch iſt auch dieſe Vorſtellung
nur eine durch und durch irrtümliche.

Unzählige ſchwangere Frauen wilder Stämme vollziehen
heute noch ohne beſondere Gefahr den Akt in völlig oberon¬
hafter Weltverlaſſenheit. Longfellow, der echte Indianerſagen
in ſein dem Oberon an Schönheit wohl vergleichbares Hiawatha-
Epos verarbeitet hat, hat mit Recht die Titania verſchmäht
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[94/0108] wie des Hektor Söhnlein oder in einen Korb aus Weiden¬ ruten, den die mongoliſche Hirtin vor ſich aufs Roß nimmt, — neues über das Tier hinaus bietet auch das immer noch nicht. Wie wunderbar iſt die Kinderwiege, die unſere Zwerg¬ maus ins Kornfeld hängt. Meterhoch oft über der Erde flicht ſie einige zwanzig Rietgrashalme zuſammen und ſetzt ein feinſtes Kugelkörbchen, einem Gänſeei an Form und Größe gleich, hinein, aus vielfach zerbiſſenen, zu Fäden verdünnten Rohrblättern gewoben und innen mit Rohrähren und Kätzchen mollig gepolſtert. Der große ſchwarze Kolben-Waſſerkäfer aber webt aus Spinnſtoff um den eigenen Hinterleib eine Art ſtumpf geſchloſſener Badehoſe, beſchwert ſie mit ſeinen Eiern, ſchlüpft dann ganz heraus und dreht die Offenſeite ſpindelförmig zu. Die Spindelſpitze ragt über die Waſſerfläche vor und läßt durch einen feinen Kanal friſche Luft zu den Eiern treten. So wird das Moſesſchifflein vom Käfer entlaſſen, auch das ein Wiegenkunſtwerk erſten Ranges. Als Hüons Liebſte in Wielands „Oberon“ in robinſon¬ hafter Einſamkeit Mutter werden ſoll, da muß Titania als Schutzgeiſt helfend eintreten, — als Geburtshelferin. Unſer Kulturgefühl ſteckt in der Erfindung des Dichters: daß ein Menſchenweib rettungslos zu Grunde gehen müſſe, dem nicht ein kundiger zweiter Menſch beim Geburtsakt zu Hülfe käme. Die Hirſchkuh in ihrem Walde macht's allein, die Katze auf ihrer Heuſcheuer, die Zwergmaus in ihrem Neſt: der Menſch braucht eine Hebamme. Und doch iſt auch dieſe Vorſtellung nur eine durch und durch irrtümliche. Unzählige ſchwangere Frauen wilder Stämme vollziehen heute noch ohne beſondere Gefahr den Akt in völlig oberon¬ hafter Weltverlaſſenheit. Longfellow, der echte Indianerſagen in ſein dem Oberon an Schönheit wohl vergleichbares Hiawatha- Epos verarbeitet hat, hat mit Recht die Titania verſchmäht und läßt ſeine Nokanis im Sternenſchein auf einem Lilienfelde allein und „freudig“ eine Tochter gebären. Denn die wirkliche

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/108>, abgerufen am 25.11.2024.