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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Was giebt einem nackten Menschenkörper eigentlich seine
vollendet harmonische Schönheit? Schneide dir in Gedanken
die Gliedmaßen, die Arme und Beine, herunter und es bleibt
eine plumpe Ungestalt. Wohl würde dein Antlitz mit Stirn
und Auge noch den Geistmenschen verraten. Aber wenn dieser
Körper sich so bewegen wollte, müßte er mühselig auf dem
Bauche rutschen wie eine große fleischfarbige Schnecke und selbst
das Gesicht wendete sich mehr oder minder abwärts. Die
Gliedmaßen erst sind es, die den "Menschen" ermöglichen.
Auf ihnen ist er um die Erde gewandert. Mit ihnen hat er
diese Erde bezwungen. Erinnere dich, daß an der Existenz
deiner Arme und Hände die Erfindung des Werkzeugs hing,
die größte Erfindung, die der Mensch gemacht hat, seine Grenz-
Erfindung gegen das Tier.

Die Entstehung harter Kiefern mit Zähnen hätte ja einen
Schatten dazu auch liefern können. Aber man muß sich aus¬
malen, was es hieße, wenn alle menschliche Werkzeug-Schaffung
mit dem einzigen Leibesorgan des Gebisses sich hätte vollziehen
sollen. Ein Feuersteinmesser auch nur, das erste Kulturprodukt,
zurecht geschlagen mit dem Munde!

Schon das allein wäre eine verzweifelte Thatsache gewesen,
daß der Mund nur einmal da war und zwar genau in der
Längsachse des Leibes. Wie unendlich viel glücklicher der
doppelt vorhandene Arm -- zwei Hände von rechts und links
zugreifend, dazu diese beiden natürlichen Klammern unabhängig
von den Thätigkeiten des Essens, Trinkens, Aus- und Ein¬
atmens und Sprechens, die alle auf die Mundgegend gehäuft
sind. Auch diese deine Arme wie Beine gehen aber zurück auf
den Haifisch, beginnen mit ihm. Sie beginnen in einer simpeln
Form, die aber nichtsdestoweniger alle Fortentwicklung schon
in der Nuß umschließt. Wunderbar genug ja, wie sich so etwas
anlegte zunächst in einem ganz anderen Element.

Der Fisch hatte vom Wurm die allgemeine Schlauchform,
grundbedingt durch den vorne und hinten offenen Darm, mit¬

Was giebt einem nackten Menſchenkörper eigentlich ſeine
vollendet harmoniſche Schönheit? Schneide dir in Gedanken
die Gliedmaßen, die Arme und Beine, herunter und es bleibt
eine plumpe Ungeſtalt. Wohl würde dein Antlitz mit Stirn
und Auge noch den Geiſtmenſchen verraten. Aber wenn dieſer
Körper ſich ſo bewegen wollte, müßte er mühſelig auf dem
Bauche rutſchen wie eine große fleiſchfarbige Schnecke und ſelbſt
das Geſicht wendete ſich mehr oder minder abwärts. Die
Gliedmaßen erſt ſind es, die den „Menſchen“ ermöglichen.
Auf ihnen iſt er um die Erde gewandert. Mit ihnen hat er
dieſe Erde bezwungen. Erinnere dich, daß an der Exiſtenz
deiner Arme und Hände die Erfindung des Werkzeugs hing,
die größte Erfindung, die der Menſch gemacht hat, ſeine Grenz-
Erfindung gegen das Tier.

Die Entſtehung harter Kiefern mit Zähnen hätte ja einen
Schatten dazu auch liefern können. Aber man muß ſich aus¬
malen, was es hieße, wenn alle menſchliche Werkzeug-Schaffung
mit dem einzigen Leibesorgan des Gebiſſes ſich hätte vollziehen
ſollen. Ein Feuerſteinmeſſer auch nur, das erſte Kulturprodukt,
zurecht geſchlagen mit dem Munde!

Schon das allein wäre eine verzweifelte Thatſache geweſen,
daß der Mund nur einmal da war und zwar genau in der
Längsachſe des Leibes. Wie unendlich viel glücklicher der
doppelt vorhandene Arm — zwei Hände von rechts und links
zugreifend, dazu dieſe beiden natürlichen Klammern unabhängig
von den Thätigkeiten des Eſſens, Trinkens, Aus- und Ein¬
atmens und Sprechens, die alle auf die Mundgegend gehäuft
ſind. Auch dieſe deine Arme wie Beine gehen aber zurück auf
den Haifiſch, beginnen mit ihm. Sie beginnen in einer ſimpeln
Form, die aber nichtsdeſtoweniger alle Fortentwicklung ſchon
in der Nuß umſchließt. Wunderbar genug ja, wie ſich ſo etwas
anlegte zunächſt in einem ganz anderen Element.

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grundbedingt durch den vorne und hinten offenen Darm, mit¬

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[80/0096] Was giebt einem nackten Menſchenkörper eigentlich ſeine vollendet harmoniſche Schönheit? Schneide dir in Gedanken die Gliedmaßen, die Arme und Beine, herunter und es bleibt eine plumpe Ungeſtalt. Wohl würde dein Antlitz mit Stirn und Auge noch den Geiſtmenſchen verraten. Aber wenn dieſer Körper ſich ſo bewegen wollte, müßte er mühſelig auf dem Bauche rutſchen wie eine große fleiſchfarbige Schnecke und ſelbſt das Geſicht wendete ſich mehr oder minder abwärts. Die Gliedmaßen erſt ſind es, die den „Menſchen“ ermöglichen. Auf ihnen iſt er um die Erde gewandert. Mit ihnen hat er dieſe Erde bezwungen. Erinnere dich, daß an der Exiſtenz deiner Arme und Hände die Erfindung des Werkzeugs hing, die größte Erfindung, die der Menſch gemacht hat, ſeine Grenz- Erfindung gegen das Tier. Die Entſtehung harter Kiefern mit Zähnen hätte ja einen Schatten dazu auch liefern können. Aber man muß ſich aus¬ malen, was es hieße, wenn alle menſchliche Werkzeug-Schaffung mit dem einzigen Leibesorgan des Gebiſſes ſich hätte vollziehen ſollen. Ein Feuerſteinmeſſer auch nur, das erſte Kulturprodukt, zurecht geſchlagen mit dem Munde! Schon das allein wäre eine verzweifelte Thatſache geweſen, daß der Mund nur einmal da war und zwar genau in der Längsachſe des Leibes. Wie unendlich viel glücklicher der doppelt vorhandene Arm — zwei Hände von rechts und links zugreifend, dazu dieſe beiden natürlichen Klammern unabhängig von den Thätigkeiten des Eſſens, Trinkens, Aus- und Ein¬ atmens und Sprechens, die alle auf die Mundgegend gehäuft ſind. Auch dieſe deine Arme wie Beine gehen aber zurück auf den Haifiſch, beginnen mit ihm. Sie beginnen in einer ſimpeln Form, die aber nichtsdeſtoweniger alle Fortentwicklung ſchon in der Nuß umſchließt. Wunderbar genug ja, wie ſich ſo etwas anlegte zunächſt in einem ganz anderen Element. Der Fiſch hatte vom Wurm die allgemeine Schlauchform, grundbedingt durch den vorne und hinten offenen Darm, mit¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/96>, abgerufen am 23.11.2024.