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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Aber du redest laut im Eifer deines Philosophierens, dein
Unterkiefer bewegt sich wie im Takt zu jedem Worte an deinem
Schädel und im Sturm der Debatte haut deine Faust auf den
Tisch. Von alle dem hat das Neunauge trotz seines Gehirns und
Schädels wieder noch nichts. Es hat keine Kiefer im Maul, es hat
nicht den leisesten Ansatz am Leibe zu irgend welchen Gliedmaßen.

Der Haifisch ist das erste Wirbeltier, mit dem du jetzt
wieder diese Dinge teilst.

Ein uraltes wildes Räubervolk beleben die Haifische noch
heute alle unsere Meere. Als der Mensch Seefahrer wurde,
lernte er den Hai zuerst mit Grausen kennen. Wo ein Schiffer
über Bord fiel, da schoß ein Ungetüm in Fischesgestalt auf ihn
los und riß ihm mit dem Biß furchtbarer Zähne die Glieder
vom Leibe. Das Wort "Menschenhai" wurde gebildet, ein
Schreckwort aller, die an die See dachten. Und doch liegt in
dem Worte noch ein geheimerer Sinn als Schrecken und Gefahr
für das Menschenkind, das in des großen Fisches Element
gerät. Ein viel tieferes, bedeutsameres Band verknüpft Mensch
und Hai und läßt uns vom Menschenhai reden.

Deine schwellenden roten Lippen, hinter denen die weiße
Zahnkette wie ein kleines Schneegebirge blinkt -- und weise
Philosophenworte hervorquellend aus diesem Menschenmunde:

-- -- und dann ein Haifisch-Rachen! Es scheint der äußerste
Gegensatz. Und doch ist es eigentlich gerade ein Haifisch-Rachen,
was du besitzt. Von allen Tieren der Haifisch zuerst zeigt
dieses Gebilde eines Ober- und Unterkiefers. Von ihm an
war das in der Welt. Bis zu ihm war der Mund ein Loch
einfach am vorderen Ende des Darmes. Von ihm ab geht
dieses Loch durch ein kompliziertes, schließlich knochenhartes
und bewegliches Werkzeug. Der Haifisch ist der eigentliche
Erfinder der Schnauze, des Schnabels, des Maules -- des
Mundes, wie grob oder liebenswürdig du die Sache nun
nennen willst. Und er ist noch mehr, was dich angeht, ist noch
in mehr Punkten ein wahrer Menschenhai.

Aber du redeſt laut im Eifer deines Philoſophierens, dein
Unterkiefer bewegt ſich wie im Takt zu jedem Worte an deinem
Schädel und im Sturm der Debatte haut deine Fauſt auf den
Tiſch. Von alle dem hat das Neunauge trotz ſeines Gehirns und
Schädels wieder noch nichts. Es hat keine Kiefer im Maul, es hat
nicht den leiſeſten Anſatz am Leibe zu irgend welchen Gliedmaßen.

Der Haifiſch iſt das erſte Wirbeltier, mit dem du jetzt
wieder dieſe Dinge teilſt.

Ein uraltes wildes Räubervolk beleben die Haifiſche noch
heute alle unſere Meere. Als der Menſch Seefahrer wurde,
lernte er den Hai zuerſt mit Grauſen kennen. Wo ein Schiffer
über Bord fiel, da ſchoß ein Ungetüm in Fiſchesgeſtalt auf ihn
los und riß ihm mit dem Biß furchtbarer Zähne die Glieder
vom Leibe. Das Wort „Menſchenhai“ wurde gebildet, ein
Schreckwort aller, die an die See dachten. Und doch liegt in
dem Worte noch ein geheimerer Sinn als Schrecken und Gefahr
für das Menſchenkind, das in des großen Fiſches Element
gerät. Ein viel tieferes, bedeutſameres Band verknüpft Menſch
und Hai und läßt uns vom Menſchenhai reden.

Deine ſchwellenden roten Lippen, hinter denen die weiße
Zahnkette wie ein kleines Schneegebirge blinkt — und weiſe
Philoſophenworte hervorquellend aus dieſem Menſchenmunde:

— — und dann ein Haifiſch-Rachen! Es ſcheint der äußerſte
Gegenſatz. Und doch iſt es eigentlich gerade ein Haifiſch-Rachen,
was du beſitzt. Von allen Tieren der Haifiſch zuerſt zeigt
dieſes Gebilde eines Ober- und Unterkiefers. Von ihm an
war das in der Welt. Bis zu ihm war der Mund ein Loch
einfach am vorderen Ende des Darmes. Von ihm ab geht
dieſes Loch durch ein kompliziertes, ſchließlich knochenhartes
und bewegliches Werkzeug. Der Haifiſch iſt der eigentliche
Erfinder der Schnauze, des Schnabels, des Maules — des
Mundes, wie grob oder liebenswürdig du die Sache nun
nennen willſt. Und er iſt noch mehr, was dich angeht, iſt noch
in mehr Punkten ein wahrer Menſchenhai.

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[79/0095] Aber du redeſt laut im Eifer deines Philoſophierens, dein Unterkiefer bewegt ſich wie im Takt zu jedem Worte an deinem Schädel und im Sturm der Debatte haut deine Fauſt auf den Tiſch. Von alle dem hat das Neunauge trotz ſeines Gehirns und Schädels wieder noch nichts. Es hat keine Kiefer im Maul, es hat nicht den leiſeſten Anſatz am Leibe zu irgend welchen Gliedmaßen. Der Haifiſch iſt das erſte Wirbeltier, mit dem du jetzt wieder dieſe Dinge teilſt. Ein uraltes wildes Räubervolk beleben die Haifiſche noch heute alle unſere Meere. Als der Menſch Seefahrer wurde, lernte er den Hai zuerſt mit Grauſen kennen. Wo ein Schiffer über Bord fiel, da ſchoß ein Ungetüm in Fiſchesgeſtalt auf ihn los und riß ihm mit dem Biß furchtbarer Zähne die Glieder vom Leibe. Das Wort „Menſchenhai“ wurde gebildet, ein Schreckwort aller, die an die See dachten. Und doch liegt in dem Worte noch ein geheimerer Sinn als Schrecken und Gefahr für das Menſchenkind, das in des großen Fiſches Element gerät. Ein viel tieferes, bedeutſameres Band verknüpft Menſch und Hai und läßt uns vom Menſchenhai reden. Deine ſchwellenden roten Lippen, hinter denen die weiße Zahnkette wie ein kleines Schneegebirge blinkt — und weiſe Philoſophenworte hervorquellend aus dieſem Menſchenmunde: — — und dann ein Haifiſch-Rachen! Es ſcheint der äußerſte Gegenſatz. Und doch iſt es eigentlich gerade ein Haifiſch-Rachen, was du beſitzt. Von allen Tieren der Haifiſch zuerſt zeigt dieſes Gebilde eines Ober- und Unterkiefers. Von ihm an war das in der Welt. Bis zu ihm war der Mund ein Loch einfach am vorderen Ende des Darmes. Von ihm ab geht dieſes Loch durch ein kompliziertes, ſchließlich knochenhartes und bewegliches Werkzeug. Der Haifiſch iſt der eigentliche Erfinder der Schnauze, des Schnabels, des Maules — des Mundes, wie grob oder liebenswürdig du die Sache nun nennen willſt. Und er iſt noch mehr, was dich angeht, iſt noch in mehr Punkten ein wahrer Menſchenhai.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/95>, abgerufen am 23.11.2024.