der Magen, das Herz, die Lunge, der Geschlechtsapparat und so weiter, noch einmal in dem großen Gesamtleibe. Aus dieser Gliederung des Leibes in Organe aber kannst du jetzt den Rest deines großen Rubrizier-Verfahrens über den Menschen glatt ab¬ lesen. Es ist, als zerspalte sich dein großer Weiser dir dabei in so und so viel Einzel-Weise, die dir der Reihe nach Antwort stehen.
Der Erste, der sich zum Worte meldet, ist nochmals der Magen.
Er bestimmt dich nicht bloß in der allgemeinen Methode seiner Nahrungswahl als Tier. Sondern enger noch in seiner ausgesprochenen Form als Organ im Innern des Leibes, das (im weitesten Sinne in seinen Verlängerungen gefaßt) einen langen innerlichen Schlauch bildet, in den die Nahrung durch ein äußeres Loch der Leibeswand, den Mund, eintritt. In dieser Form verkündet er dir, daß du in der Reihe der Tiere schon einer gewissen höheren Gruppe angehörst. Das niedrigste Tiervolk, das schon tierisch sich ernährt und auch schon zum Teil aus vielen Zellen besteht, entbehrt doch noch gänzlich des Magens als eines festen Innenorgans mit fester Mundöffnung. Zu diesen Ur-Tieren oder Vor-Tieren gehörst du offenbar nicht mehr.
Aber schon ein verhältnismäßig noch so überaus einfaches Tierlein wie der grüne Süßwasser-Polyp, von dem ich dir früher bereits einiges erzählt habe, hat einen Magen und Mund. Das Tier sieht aus wie ein grünes oder braunes Pflanzenblütchen. Aber die scheinbaren Blütenblättchen sind kleine Fangarme des Mundes und was diese Fangarme wie vorgestreckte Lippen gefaßt haben, das stopfen sie abwärts durch das Mundloch in den Magen, genau so wie wenn deine Kehle einen guten Bissen überschluckt. Wenig unterhalb dieses Polypen muß die erste Bildung eines solchen Magens zum erstenmal bei den Tieren eingesetzt haben -- wie Häckel meint, bei einer Tierform, die nicht am Boden festsaß, wie der Polyp, sondern frei schwamm -- und die er Gasträa, das Ur-Magentier, nennt. Von der Gasträa und solchen immerhin eng verwandten
der Magen, das Herz, die Lunge, der Geſchlechtsapparat und ſo weiter, noch einmal in dem großen Geſamtleibe. Aus dieſer Gliederung des Leibes in Organe aber kannſt du jetzt den Reſt deines großen Rubrizier-Verfahrens über den Menſchen glatt ab¬ leſen. Es iſt, als zerſpalte ſich dein großer Weiſer dir dabei in ſo und ſo viel Einzel-Weiſe, die dir der Reihe nach Antwort ſtehen.
Der Erſte, der ſich zum Worte meldet, iſt nochmals der Magen.
Er beſtimmt dich nicht bloß in der allgemeinen Methode ſeiner Nahrungswahl als Tier. Sondern enger noch in ſeiner ausgeſprochenen Form als Organ im Innern des Leibes, das (im weiteſten Sinne in ſeinen Verlängerungen gefaßt) einen langen innerlichen Schlauch bildet, in den die Nahrung durch ein äußeres Loch der Leibeswand, den Mund, eintritt. In dieſer Form verkündet er dir, daß du in der Reihe der Tiere ſchon einer gewiſſen höheren Gruppe angehörſt. Das niedrigſte Tiervolk, das ſchon tieriſch ſich ernährt und auch ſchon zum Teil aus vielen Zellen beſteht, entbehrt doch noch gänzlich des Magens als eines feſten Innenorgans mit feſter Mundöffnung. Zu dieſen Ur-Tieren oder Vor-Tieren gehörſt du offenbar nicht mehr.
Aber ſchon ein verhältnismäßig noch ſo überaus einfaches Tierlein wie der grüne Süßwaſſer-Polyp, von dem ich dir früher bereits einiges erzählt habe, hat einen Magen und Mund. Das Tier ſieht aus wie ein grünes oder braunes Pflanzenblütchen. Aber die ſcheinbaren Blütenblättchen ſind kleine Fangarme des Mundes und was dieſe Fangarme wie vorgeſtreckte Lippen gefaßt haben, das ſtopfen ſie abwärts durch das Mundloch in den Magen, genau ſo wie wenn deine Kehle einen guten Biſſen überſchluckt. Wenig unterhalb dieſes Polypen muß die erſte Bildung eines ſolchen Magens zum erſtenmal bei den Tieren eingeſetzt haben — wie Häckel meint, bei einer Tierform, die nicht am Boden feſtſaß, wie der Polyp, ſondern frei ſchwamm — und die er Gaſträa, das Ur-Magentier, nennt. Von der Gaſträa und ſolchen immerhin eng verwandten
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der Magen, das Herz, die Lunge, der Geſchlechtsapparat und
ſo weiter, noch einmal in dem großen Geſamtleibe. Aus dieſer
Gliederung des Leibes in Organe aber kannſt du jetzt den Reſt
deines großen Rubrizier-Verfahrens über den Menſchen glatt ab¬
leſen. Es iſt, als zerſpalte ſich dein großer Weiſer dir dabei in
ſo und ſo viel Einzel-Weiſe, die dir der Reihe nach Antwort ſtehen.
Der Erſte, der ſich zum Worte meldet, iſt nochmals der
Magen.
Er beſtimmt dich nicht bloß in der allgemeinen Methode
ſeiner Nahrungswahl als Tier. Sondern enger noch in ſeiner
ausgeſprochenen Form als Organ im Innern des Leibes, das
(im weiteſten Sinne in ſeinen Verlängerungen gefaßt) einen
langen innerlichen Schlauch bildet, in den die Nahrung durch
ein äußeres Loch der Leibeswand, den Mund, eintritt. In
dieſer Form verkündet er dir, daß du in der Reihe der Tiere
ſchon einer gewiſſen höheren Gruppe angehörſt. Das niedrigſte
Tiervolk, das ſchon tieriſch ſich ernährt und auch ſchon zum Teil
aus vielen Zellen beſteht, entbehrt doch noch gänzlich des Magens
als eines feſten Innenorgans mit feſter Mundöffnung. Zu dieſen
Ur-Tieren oder Vor-Tieren gehörſt du offenbar nicht mehr.
Aber ſchon ein verhältnismäßig noch ſo überaus einfaches
Tierlein wie der grüne Süßwaſſer-Polyp, von dem ich dir
früher bereits einiges erzählt habe, hat einen Magen und
Mund. Das Tier ſieht aus wie ein grünes oder braunes
Pflanzenblütchen. Aber die ſcheinbaren Blütenblättchen ſind
kleine Fangarme des Mundes und was dieſe Fangarme wie
vorgeſtreckte Lippen gefaßt haben, das ſtopfen ſie abwärts durch
das Mundloch in den Magen, genau ſo wie wenn deine Kehle
einen guten Biſſen überſchluckt. Wenig unterhalb dieſes Polypen
muß die erſte Bildung eines ſolchen Magens zum erſtenmal
bei den Tieren eingeſetzt haben — wie Häckel meint, bei einer
Tierform, die nicht am Boden feſtſaß, wie der Polyp, ſondern
frei ſchwamm — und die er Gaſträa, das Ur-Magentier,
nennt. Von der Gaſträa und ſolchen immerhin eng verwandten
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/84>, abgerufen am 24.11.2024.
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