Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

und unbenannten Wellenzügen des Weltäthers durch dich flutet
und ebbt, Wellenzügen, die auf unbekannten Zentralsonnen an¬
geregt, von Sonnen reflektiert und verstärkt, von Planeten in
besonderen Raumlagen und Achsenstellungen abermals abgelenkt
und umgeformt sind. Dein Leib hat noch weitere Weltkörper-
Fähigkeiten. Er hängt im Weltennetz der Schwere, der Gra¬
vitation. Springe nur aus einer gewissen Höhe herab. Du
brauchst gar nichts zu wollen und zu denken dabei: er weiß
ganz allein den geradezu mathematisch genauen Weg. Erst
Galilei und Newton haben den durch schriftliche Tradition
verknüpften Menschengeistern etwas von den Gesetzen des Falles
und der allgemeinen Schwere dargelegt. Die Leiber der
Menschen aber sind nach der raffiniertesten Folge dieser Gesetze
gefallen, so lange es Menschen giebt. Empedokles ist schon
danach in den Ätna gefallen, Marcus Curtius in die berühmte
Erdspalte zu Rom gesaust, Fiesko von seiner weltgeschichtlichen
Planke in die schwarze See gestolpert. Immer ist maßgebend
dabei gewesen, daß der kleine Menschenleib so und so viel
Masse hat und der enorme Erdenleib so viel, und daß die
kleinere Masse auf die größere rein automatisch wie auf Grund
eines uralt eingepaukten Pensums loseilt nach dem durch Newton
festgestellten "direkten Verhältnis der Massen und dem um¬
gekehrten Quadrat ihrer Entfernung voneinander". In diesem
Sinne bist du als einzelner Mensch thatsächlich nichts anderes
als ein kleines Weltkörperchen, das infolge der Schwerkraft
ein kleines Trabantchen, ein kleiner magerer Mond gewisser¬
maßen des ungeheuren fetten Erdkörpers ist. Er saust nicht
mit der Schnelligkeit des anderen großen Mondes hoch oben
im Blau um die Erde herum, in schwindelnder Balance ge¬
halten durch den eigenen Schwung. In kleinen Bewegungen
krebst er dicht an der harten Erdkruste selbst äußerst langsam
dahin, und erst seit nicht ganz vierhundert Jahren ist es
einigen wenigen dieser Möndlein ab und zu geglückt, unter
vielen Fährlichkeiten und immerzu dicht an der Erd- und

und unbenannten Wellenzügen des Weltäthers durch dich flutet
und ebbt, Wellenzügen, die auf unbekannten Zentralſonnen an¬
geregt, von Sonnen reflektiert und verſtärkt, von Planeten in
beſonderen Raumlagen und Achſenſtellungen abermals abgelenkt
und umgeformt ſind. Dein Leib hat noch weitere Weltkörper-
Fähigkeiten. Er hängt im Weltennetz der Schwere, der Gra¬
vitation. Springe nur aus einer gewiſſen Höhe herab. Du
brauchſt gar nichts zu wollen und zu denken dabei: er weiß
ganz allein den geradezu mathematiſch genauen Weg. Erſt
Galilei und Newton haben den durch ſchriftliche Tradition
verknüpften Menſchengeiſtern etwas von den Geſetzen des Falles
und der allgemeinen Schwere dargelegt. Die Leiber der
Menſchen aber ſind nach der raffinierteſten Folge dieſer Geſetze
gefallen, ſo lange es Menſchen giebt. Empedokles iſt ſchon
danach in den Ätna gefallen, Marcus Curtius in die berühmte
Erdſpalte zu Rom geſauſt, Fiesko von ſeiner weltgeſchichtlichen
Planke in die ſchwarze See geſtolpert. Immer iſt maßgebend
dabei geweſen, daß der kleine Menſchenleib ſo und ſo viel
Maſſe hat und der enorme Erdenleib ſo viel, und daß die
kleinere Maſſe auf die größere rein automatiſch wie auf Grund
eines uralt eingepaukten Penſums loseilt nach dem durch Newton
feſtgeſtellten „direkten Verhältnis der Maſſen und dem um¬
gekehrten Quadrat ihrer Entfernung voneinander“. In dieſem
Sinne biſt du als einzelner Menſch thatſächlich nichts anderes
als ein kleines Weltkörperchen, das infolge der Schwerkraft
ein kleines Trabantchen, ein kleiner magerer Mond gewiſſer¬
maßen des ungeheuren fetten Erdkörpers iſt. Er ſauſt nicht
mit der Schnelligkeit des anderen großen Mondes hoch oben
im Blau um die Erde herum, in ſchwindelnder Balance ge¬
halten durch den eigenen Schwung. In kleinen Bewegungen
krebſt er dicht an der harten Erdkruſte ſelbſt äußerſt langſam
dahin, und erſt ſeit nicht ganz vierhundert Jahren iſt es
einigen wenigen dieſer Möndlein ab und zu geglückt, unter
vielen Fährlichkeiten und immerzu dicht an der Erd- und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="61"/>
und unbenannten Wellenzügen des Weltäthers durch dich flutet<lb/>
und ebbt, Wellenzügen, die auf unbekannten Zentral&#x017F;onnen an¬<lb/>
geregt, von Sonnen reflektiert und ver&#x017F;tärkt, von Planeten in<lb/>
be&#x017F;onderen Raumlagen und Ach&#x017F;en&#x017F;tellungen abermals abgelenkt<lb/>
und umgeformt &#x017F;ind. Dein Leib hat noch weitere Weltkörper-<lb/>
Fähigkeiten. Er hängt im Weltennetz der Schwere, der Gra¬<lb/>
vitation. Springe nur aus einer gewi&#x017F;&#x017F;en Höhe herab. Du<lb/>
brauch&#x017F;t gar nichts zu wollen und zu denken dabei: er weiß<lb/>
ganz allein den geradezu mathemati&#x017F;ch genauen Weg. Er&#x017F;t<lb/>
Galilei und Newton haben den durch &#x017F;chriftliche Tradition<lb/>
verknüpften Men&#x017F;chengei&#x017F;tern etwas von den Ge&#x017F;etzen des Falles<lb/>
und der allgemeinen Schwere dargelegt. Die Leiber der<lb/>
Men&#x017F;chen aber &#x017F;ind nach der raffinierte&#x017F;ten Folge die&#x017F;er Ge&#x017F;etze<lb/>
gefallen, &#x017F;o lange es Men&#x017F;chen giebt. Empedokles i&#x017F;t &#x017F;chon<lb/>
danach in den Ätna gefallen, Marcus Curtius in die berühmte<lb/>
Erd&#x017F;palte zu Rom ge&#x017F;au&#x017F;t, Fiesko von &#x017F;einer weltge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Planke in die &#x017F;chwarze See ge&#x017F;tolpert. Immer i&#x017F;t maßgebend<lb/>
dabei gewe&#x017F;en, daß der kleine Men&#x017F;chenleib &#x017F;o und &#x017F;o viel<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e hat und der enorme Erdenleib &#x017F;o viel, und daß die<lb/>
kleinere Ma&#x017F;&#x017F;e auf die größere rein automati&#x017F;ch wie auf Grund<lb/>
eines uralt eingepaukten Pen&#x017F;ums loseilt nach dem durch Newton<lb/>
fe&#x017F;tge&#x017F;tellten &#x201E;direkten Verhältnis der Ma&#x017F;&#x017F;en und dem um¬<lb/>
gekehrten Quadrat ihrer Entfernung voneinander&#x201C;. In die&#x017F;em<lb/>
Sinne bi&#x017F;t du als einzelner Men&#x017F;ch that&#x017F;ächlich nichts anderes<lb/>
als ein kleines Weltkörperchen, das infolge der Schwerkraft<lb/>
ein kleines Trabantchen, ein kleiner magerer Mond gewi&#x017F;&#x017F;er¬<lb/>
maßen des ungeheuren fetten Erdkörpers i&#x017F;t. Er &#x017F;au&#x017F;t nicht<lb/>
mit der Schnelligkeit des anderen großen Mondes hoch oben<lb/>
im Blau um die Erde herum, in &#x017F;chwindelnder Balance ge¬<lb/>
halten durch den eigenen Schwung. In kleinen Bewegungen<lb/>
kreb&#x017F;t er dicht an der harten Erdkru&#x017F;te &#x017F;elb&#x017F;t äußer&#x017F;t lang&#x017F;am<lb/>
dahin, und er&#x017F;t &#x017F;eit nicht ganz vierhundert Jahren i&#x017F;t es<lb/>
einigen wenigen die&#x017F;er Möndlein ab und zu geglückt, unter<lb/>
vielen Fährlichkeiten und immerzu dicht an der Erd- und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0077] und unbenannten Wellenzügen des Weltäthers durch dich flutet und ebbt, Wellenzügen, die auf unbekannten Zentralſonnen an¬ geregt, von Sonnen reflektiert und verſtärkt, von Planeten in beſonderen Raumlagen und Achſenſtellungen abermals abgelenkt und umgeformt ſind. Dein Leib hat noch weitere Weltkörper- Fähigkeiten. Er hängt im Weltennetz der Schwere, der Gra¬ vitation. Springe nur aus einer gewiſſen Höhe herab. Du brauchſt gar nichts zu wollen und zu denken dabei: er weiß ganz allein den geradezu mathematiſch genauen Weg. Erſt Galilei und Newton haben den durch ſchriftliche Tradition verknüpften Menſchengeiſtern etwas von den Geſetzen des Falles und der allgemeinen Schwere dargelegt. Die Leiber der Menſchen aber ſind nach der raffinierteſten Folge dieſer Geſetze gefallen, ſo lange es Menſchen giebt. Empedokles iſt ſchon danach in den Ätna gefallen, Marcus Curtius in die berühmte Erdſpalte zu Rom geſauſt, Fiesko von ſeiner weltgeſchichtlichen Planke in die ſchwarze See geſtolpert. Immer iſt maßgebend dabei geweſen, daß der kleine Menſchenleib ſo und ſo viel Maſſe hat und der enorme Erdenleib ſo viel, und daß die kleinere Maſſe auf die größere rein automatiſch wie auf Grund eines uralt eingepaukten Penſums loseilt nach dem durch Newton feſtgeſtellten „direkten Verhältnis der Maſſen und dem um¬ gekehrten Quadrat ihrer Entfernung voneinander“. In dieſem Sinne biſt du als einzelner Menſch thatſächlich nichts anderes als ein kleines Weltkörperchen, das infolge der Schwerkraft ein kleines Trabantchen, ein kleiner magerer Mond gewiſſer¬ maßen des ungeheuren fetten Erdkörpers iſt. Er ſauſt nicht mit der Schnelligkeit des anderen großen Mondes hoch oben im Blau um die Erde herum, in ſchwindelnder Balance ge¬ halten durch den eigenen Schwung. In kleinen Bewegungen krebſt er dicht an der harten Erdkruſte ſelbſt äußerſt langſam dahin, und erſt ſeit nicht ganz vierhundert Jahren iſt es einigen wenigen dieſer Möndlein ab und zu geglückt, unter vielen Fährlichkeiten und immerzu dicht an der Erd- und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/77
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/77>, abgerufen am 27.11.2024.