Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Doch diese ganzen begrifflichen Sachen, so hübsch sie sind,
führen uns hier vom Hundertsten ins Tausendste. Lassen wir
das lieber jetzt.

[Abbildung]

Beschränken wir uns: die Zellen deines Leibes thun
allerlei jedenfalls, das du mit deinem konventionell so genannten
Geist da oben unbedingt nicht gekonnt hättest. Wollen wir das
seelisch als ein Wissen, Erinnern u. s. w. dieser Zellen bezeichnen,
so handelt es sich auf alle Fälle um ein Wissen und Erinnern,
das mit deinem Gesamt-Geiste da oben zunächst nicht in Ver¬
bindung steht. Und das soll das Wort bloß ausdrücken: dein
Leib ist in diesen bestimmten Punkten weiser als du.

Gehen wir den Thatsachen noch ein Stückchen weiter nach.

Bleiben wir in der Linie der engeren Liebes-Thatsachen.

In deinem Geiste spukt die Liebe und baut Himmel und
Höllen auf. Aber nun dein weiser Leib. Was wärst du,
wenn du selber in die Liebesjahre kommst, ohne den. Über¬
lege dir. Ohne Prüderie, die in diese heiligsten Dinge wahr¬
haftig nicht gehört. Ganz nüchtern ernst.

Dein Leib weiß zu seiner Reifezeit um die Geschlechts¬
funktionen ganz genau -- und sei dein Geist auf seinem mit¬
bekommenen weißen Blatte auch noch so unbeschrieben nach
dieser Seite.

Nimm an, du bist als geschlechtsunreifes Kind auf jenen
weltverlassenen Felsen verschlagen, den Chamissos Lied feiert:
Salas y Gomez. Einsam. Kein Mensch außer dem armen
schiffbrüchigen Kinde. Nur blaues Meer ringsum. Und See¬
vögel auf der Klippe, die Eier legen. Der Erhaltungssinn
des Kindes soll gerade schon so weit entwickelt sein, daß es

4

Doch dieſe ganzen begrifflichen Sachen, ſo hübſch ſie ſind,
führen uns hier vom Hundertſten ins Tauſendſte. Laſſen wir
das lieber jetzt.

[Abbildung]

Beſchränken wir uns: die Zellen deines Leibes thun
allerlei jedenfalls, das du mit deinem konventionell ſo genannten
Geiſt da oben unbedingt nicht gekonnt hätteſt. Wollen wir das
ſeeliſch als ein Wiſſen, Erinnern u. ſ. w. dieſer Zellen bezeichnen,
ſo handelt es ſich auf alle Fälle um ein Wiſſen und Erinnern,
das mit deinem Geſamt-Geiſte da oben zunächſt nicht in Ver¬
bindung ſteht. Und das ſoll das Wort bloß ausdrücken: dein
Leib iſt in dieſen beſtimmten Punkten weiſer als du.

Gehen wir den Thatſachen noch ein Stückchen weiter nach.

Bleiben wir in der Linie der engeren Liebes-Thatſachen.

In deinem Geiſte ſpukt die Liebe und baut Himmel und
Höllen auf. Aber nun dein weiſer Leib. Was wärſt du,
wenn du ſelber in die Liebesjahre kommſt, ohne den. Über¬
lege dir. Ohne Prüderie, die in dieſe heiligſten Dinge wahr¬
haftig nicht gehört. Ganz nüchtern ernſt.

Dein Leib weiß zu ſeiner Reifezeit um die Geſchlechts¬
funktionen ganz genau — und ſei dein Geiſt auf ſeinem mit¬
bekommenen weißen Blatte auch noch ſo unbeſchrieben nach
dieſer Seite.

Nimm an, du biſt als geſchlechtsunreifes Kind auf jenen
weltverlaſſenen Felſen verſchlagen, den Chamiſſos Lied feiert:
Salas y Gomez. Einſam. Kein Menſch außer dem armen
ſchiffbrüchigen Kinde. Nur blaues Meer ringsum. Und See¬
vögel auf der Klippe, die Eier legen. Der Erhaltungsſinn
des Kindes ſoll gerade ſchon ſo weit entwickelt ſein, daß es

4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0065" n="49"/>
        <p>Doch die&#x017F;e ganzen begrifflichen Sachen, &#x017F;o hüb&#x017F;ch &#x017F;ie &#x017F;ind,<lb/>
führen uns hier vom Hundert&#x017F;ten ins Tau&#x017F;end&#x017F;te. La&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
das lieber jetzt.</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Be&#x017F;chränken wir uns: die Zellen deines Leibes <hi rendition="#g">thun</hi><lb/>
allerlei jedenfalls, das du mit deinem konventionell &#x017F;o genannten<lb/>
Gei&#x017F;t da oben unbedingt <hi rendition="#g">nicht</hi> gekonnt hätte&#x017F;t. Wollen wir das<lb/>
&#x017F;eeli&#x017F;ch als ein Wi&#x017F;&#x017F;en, Erinnern u. &#x017F;. w. die&#x017F;er Zellen bezeichnen,<lb/>
&#x017F;o handelt es &#x017F;ich auf alle Fälle um ein Wi&#x017F;&#x017F;en und Erinnern,<lb/>
das mit deinem Ge&#x017F;amt-Gei&#x017F;te da oben zunäch&#x017F;t nicht in Ver¬<lb/>
bindung &#x017F;teht. Und das &#x017F;oll das Wort bloß ausdrücken: dein<lb/>
Leib i&#x017F;t in die&#x017F;en be&#x017F;timmten Punkten <hi rendition="#g">wei&#x017F;er</hi> als du.</p><lb/>
        <p>Gehen wir den That&#x017F;achen noch ein Stückchen weiter nach.</p><lb/>
        <p>Bleiben wir in der Linie der engeren <hi rendition="#g">Liebes</hi>-That&#x017F;achen.</p><lb/>
        <p>In deinem Gei&#x017F;te &#x017F;pukt die Liebe und baut Himmel und<lb/>
Höllen auf. Aber nun dein wei&#x017F;er Leib. Was wär&#x017F;t du,<lb/>
wenn du &#x017F;elber in die Liebesjahre komm&#x017F;t, ohne den. Über¬<lb/>
lege dir. Ohne Prüderie, die in die&#x017F;e heilig&#x017F;ten Dinge wahr¬<lb/>
haftig nicht gehört. Ganz nüchtern ern&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Dein Leib weiß zu &#x017F;einer Reifezeit um die Ge&#x017F;chlechts¬<lb/>
funktionen ganz genau &#x2014; und &#x017F;ei dein Gei&#x017F;t auf &#x017F;einem mit¬<lb/>
bekommenen weißen Blatte auch <hi rendition="#g">noch &#x017F;o</hi> unbe&#x017F;chrieben nach<lb/>
die&#x017F;er Seite.</p><lb/>
        <p>Nimm an, du bi&#x017F;t als ge&#x017F;chlechtsunreifes Kind auf jenen<lb/>
weltverla&#x017F;&#x017F;enen Fel&#x017F;en ver&#x017F;chlagen, den Chami&#x017F;&#x017F;os Lied feiert:<lb/>
Salas y Gomez. Ein&#x017F;am. Kein Men&#x017F;ch außer dem armen<lb/>
&#x017F;chiffbrüchigen Kinde. Nur blaues Meer ringsum. Und See¬<lb/>
vögel auf der Klippe, die Eier legen. Der Erhaltungs&#x017F;inn<lb/>
des Kindes &#x017F;oll gerade &#x017F;chon &#x017F;o weit entwickelt &#x017F;ein, daß es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0065] Doch dieſe ganzen begrifflichen Sachen, ſo hübſch ſie ſind, führen uns hier vom Hundertſten ins Tauſendſte. Laſſen wir das lieber jetzt. [Abbildung] Beſchränken wir uns: die Zellen deines Leibes thun allerlei jedenfalls, das du mit deinem konventionell ſo genannten Geiſt da oben unbedingt nicht gekonnt hätteſt. Wollen wir das ſeeliſch als ein Wiſſen, Erinnern u. ſ. w. dieſer Zellen bezeichnen, ſo handelt es ſich auf alle Fälle um ein Wiſſen und Erinnern, das mit deinem Geſamt-Geiſte da oben zunächſt nicht in Ver¬ bindung ſteht. Und das ſoll das Wort bloß ausdrücken: dein Leib iſt in dieſen beſtimmten Punkten weiſer als du. Gehen wir den Thatſachen noch ein Stückchen weiter nach. Bleiben wir in der Linie der engeren Liebes-Thatſachen. In deinem Geiſte ſpukt die Liebe und baut Himmel und Höllen auf. Aber nun dein weiſer Leib. Was wärſt du, wenn du ſelber in die Liebesjahre kommſt, ohne den. Über¬ lege dir. Ohne Prüderie, die in dieſe heiligſten Dinge wahr¬ haftig nicht gehört. Ganz nüchtern ernſt. Dein Leib weiß zu ſeiner Reifezeit um die Geſchlechts¬ funktionen ganz genau — und ſei dein Geiſt auf ſeinem mit¬ bekommenen weißen Blatte auch noch ſo unbeſchrieben nach dieſer Seite. Nimm an, du biſt als geſchlechtsunreifes Kind auf jenen weltverlaſſenen Felſen verſchlagen, den Chamiſſos Lied feiert: Salas y Gomez. Einſam. Kein Menſch außer dem armen ſchiffbrüchigen Kinde. Nur blaues Meer ringsum. Und See¬ vögel auf der Klippe, die Eier legen. Der Erhaltungsſinn des Kindes ſoll gerade ſchon ſo weit entwickelt ſein, daß es 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/65
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/65>, abgerufen am 28.11.2024.