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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Sache. Du magst dir über Seelisch und Mechanisch eine Vor¬
stellung machen wie du willst. Leugnen läßt sich unmöglich,
daß in jeder Zelle deines Leibes, sitze sie nun in deiner Leber
oder in deinem Darm oder in deinen Geschlechtsteilen, auch
etwas sitzt, was du als Seelisch bezeichnen mußt. Der Be¬
griff einer Zell-Seele ist kein Märchen, sondern ein sehr scharfer
Denkschluß. Es muß etwas derart geben. Jede Zelle hat ihre
Individualität und die erscheint, von sich selbst aus genommen,
als ihre Seele. Wenn ich nun solche Zellen ein bestimmtes
Gebäude, den Kindesleib, im Mutterleibe aufführen sehe mit
einer Folgerichtigkeit, wie besser keine Schar menschlicher Bau¬
arbeiter einen vorgeschriebenen Plan in That umsetzen könnten,
so steht meines Erachtens nicht das Mindeste im Wege, im
Hinblick auf jene Zellseele zu sagen: jede dieser Zellen weiß,
was sie zu thun hat. Und wenn im Sinne jenes biogenetischen
Grundgesetzes unter diesen Leistungen solche vorkommen, wo
es sich um Wiederholung von Dingen handelt, die vor Millionen
von Jahren schon passiert sind, so kann ich ebenso auch sagen:
die Zellen erinnern sich. Ins innerste Gewebe dieser Dinge
hinein sieht doch vorläufig kein Mensch. Mechanisch und Seelisch,
das sind alles nur so tastende Worte wie Schneckenfühler ins
Unbekannte. Der Materialist wird dir sagen: auch unser
menschlich-bewußtes Gesamtwissen und Erinnern, wie du es
als "Geist" hast, geht auf Mechanisches zurück. Umgekehrt
wird es verflixt schwer sein, einen Menschen zu widerlegen,
der etwa von der Erde, wenn sie mit ihrer Hunderttausend¬
trillionenzentner-Schwere den Mond anzieht, sagen wollte: die
Erde "weiß", wie man das macht, den Mond an sich zu fesseln.
Das Wissen wäre eben nur der seelische Ausdruck für ganz
genau dieselbe Leistung, die mechanisch in jener Ziffer als
Gravitationsgesetz ausgedrückt wird. Notabene von uns Menschen
ausgedrückt, die alle diese Begriffe ja erst erzeugen, um den
Dingen mit irgend einer Hilfskonstruktion auf den Leib zu
rücken.

Sache. Du magſt dir über Seeliſch und Mechaniſch eine Vor¬
ſtellung machen wie du willſt. Leugnen läßt ſich unmöglich,
daß in jeder Zelle deines Leibes, ſitze ſie nun in deiner Leber
oder in deinem Darm oder in deinen Geſchlechtsteilen, auch
etwas ſitzt, was du als Seeliſch bezeichnen mußt. Der Be¬
griff einer Zell-Seele iſt kein Märchen, ſondern ein ſehr ſcharfer
Denkſchluß. Es muß etwas derart geben. Jede Zelle hat ihre
Individualität und die erſcheint, von ſich ſelbſt aus genommen,
als ihre Seele. Wenn ich nun ſolche Zellen ein beſtimmtes
Gebäude, den Kindesleib, im Mutterleibe aufführen ſehe mit
einer Folgerichtigkeit, wie beſſer keine Schar menſchlicher Bau¬
arbeiter einen vorgeſchriebenen Plan in That umſetzen könnten,
ſo ſteht meines Erachtens nicht das Mindeſte im Wege, im
Hinblick auf jene Zellſeele zu ſagen: jede dieſer Zellen weiß,
was ſie zu thun hat. Und wenn im Sinne jenes biogenetiſchen
Grundgeſetzes unter dieſen Leiſtungen ſolche vorkommen, wo
es ſich um Wiederholung von Dingen handelt, die vor Millionen
von Jahren ſchon paſſiert ſind, ſo kann ich ebenſo auch ſagen:
die Zellen erinnern ſich. Ins innerſte Gewebe dieſer Dinge
hinein ſieht doch vorläufig kein Menſch. Mechaniſch und Seeliſch,
das ſind alles nur ſo taſtende Worte wie Schneckenfühler ins
Unbekannte. Der Materialiſt wird dir ſagen: auch unſer
menſchlich-bewußtes Geſamtwiſſen und Erinnern, wie du es
als „Geiſt“ haſt, geht auf Mechaniſches zurück. Umgekehrt
wird es verflixt ſchwer ſein, einen Menſchen zu widerlegen,
der etwa von der Erde, wenn ſie mit ihrer Hunderttauſend¬
trillionenzentner-Schwere den Mond anzieht, ſagen wollte: die
Erde „weiß“, wie man das macht, den Mond an ſich zu feſſeln.
Das Wiſſen wäre eben nur der ſeeliſche Ausdruck für ganz
genau dieſelbe Leiſtung, die mechaniſch in jener Ziffer als
Gravitationsgeſetz ausgedrückt wird. Notabene von uns Menſchen
ausgedrückt, die alle dieſe Begriffe ja erſt erzeugen, um den
Dingen mit irgend einer Hilfskonſtruktion auf den Leib zu
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[48/0064] Sache. Du magſt dir über Seeliſch und Mechaniſch eine Vor¬ ſtellung machen wie du willſt. Leugnen läßt ſich unmöglich, daß in jeder Zelle deines Leibes, ſitze ſie nun in deiner Leber oder in deinem Darm oder in deinen Geſchlechtsteilen, auch etwas ſitzt, was du als Seeliſch bezeichnen mußt. Der Be¬ griff einer Zell-Seele iſt kein Märchen, ſondern ein ſehr ſcharfer Denkſchluß. Es muß etwas derart geben. Jede Zelle hat ihre Individualität und die erſcheint, von ſich ſelbſt aus genommen, als ihre Seele. Wenn ich nun ſolche Zellen ein beſtimmtes Gebäude, den Kindesleib, im Mutterleibe aufführen ſehe mit einer Folgerichtigkeit, wie beſſer keine Schar menſchlicher Bau¬ arbeiter einen vorgeſchriebenen Plan in That umſetzen könnten, ſo ſteht meines Erachtens nicht das Mindeſte im Wege, im Hinblick auf jene Zellſeele zu ſagen: jede dieſer Zellen weiß, was ſie zu thun hat. Und wenn im Sinne jenes biogenetiſchen Grundgeſetzes unter dieſen Leiſtungen ſolche vorkommen, wo es ſich um Wiederholung von Dingen handelt, die vor Millionen von Jahren ſchon paſſiert ſind, ſo kann ich ebenſo auch ſagen: die Zellen erinnern ſich. Ins innerſte Gewebe dieſer Dinge hinein ſieht doch vorläufig kein Menſch. Mechaniſch und Seeliſch, das ſind alles nur ſo taſtende Worte wie Schneckenfühler ins Unbekannte. Der Materialiſt wird dir ſagen: auch unſer menſchlich-bewußtes Geſamtwiſſen und Erinnern, wie du es als „Geiſt“ haſt, geht auf Mechaniſches zurück. Umgekehrt wird es verflixt ſchwer ſein, einen Menſchen zu widerlegen, der etwa von der Erde, wenn ſie mit ihrer Hunderttauſend¬ trillionenzentner-Schwere den Mond anzieht, ſagen wollte: die Erde „weiß“, wie man das macht, den Mond an ſich zu feſſeln. Das Wiſſen wäre eben nur der ſeeliſche Ausdruck für ganz genau dieſelbe Leiſtung, die mechaniſch in jener Ziffer als Gravitationsgeſetz ausgedrückt wird. Notabene von uns Menſchen ausgedrückt, die alle dieſe Begriffe ja erſt erzeugen, um den Dingen mit irgend einer Hilfskonſtruktion auf den Leib zu rücken.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/64>, abgerufen am 24.11.2024.