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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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In diesen Wäldern, wo der pressende Druck des Daseins¬
kampfes überhaupt um ein beträchtliches Teil auch in der Nicht¬
liebeszeit heruntergeht! In einem im ganzen fortan fast ge¬
fahrlosen Leben wird die Liebeszeit jetzt ein dreimal freies
und ideales Fest. Alles in ihr mag sich bis zur Neige aus¬
leben: also auch die Freude an der schönen Farbe und Form.

Äußerst seltsam aber: sobald hier einmal offenste Bahn
für alle Wirkungen geschaffen ist, erscheint es geradezu undenkbar,
daß nicht auch folgendes eingetreten sein sollte. Etwas, was
man gleichsam als einen Knoten bezeichnen kann, zu dem sich
die Regungen des Liebeslebens und die Regungen des Schönheits¬
sinnes notwendig eines Tages verschlingen mußten.

[Abbildung]

Die Empfindung für hübsche Farben und Formen begann
eine Rolle zu spielen bei der Wahl innerhalb der Liebe.

Bei unseren liebenden Paradiesiern herrschten im wesent¬
lichen Verhältnisse wie bei der Mehrzahl der übrigen Vögel.
Es gab im allgemeinen stets mehr Männlein als Weiblein.
Die Folge davon pflegt bei den Vögeln eine doppelte zu sein.

Einerseits ist jeder Mann froh, wenn er eine Frau über¬
haupt gewonnen hat und wacht eifersüchtig über seiner Ehe,
so daß sich bei diesen befiederten Liebesleuten thatsächlich in
größter Zahl ganz ehrbar monogamische Ehen auf Lebenszeit
finden. Anderseits aber fühlt sich das annoch unvermählte
Mägdelein durchweg in der guten Lage, unter einem ganzen
Heer liebenswürdiger Bewerber den aussuchen zu können,
der ihr am liebsten scheint.

In der possierlichsten Weise beobachtet man, wie die
eifrigen Werber sich der Vielumworbenen vorstellen, ihre Reize
vor ihr entfalten und irgendwie sich als der Begehrenswerteste

In dieſen Wäldern, wo der preſſende Druck des Daſeins¬
kampfes überhaupt um ein beträchtliches Teil auch in der Nicht¬
liebeszeit heruntergeht! In einem im ganzen fortan faſt ge¬
fahrloſen Leben wird die Liebeszeit jetzt ein dreimal freies
und ideales Feſt. Alles in ihr mag ſich bis zur Neige aus¬
leben: alſo auch die Freude an der ſchönen Farbe und Form.

Äußerſt ſeltſam aber: ſobald hier einmal offenſte Bahn
für alle Wirkungen geſchaffen iſt, erſcheint es geradezu undenkbar,
daß nicht auch folgendes eingetreten ſein ſollte. Etwas, was
man gleichſam als einen Knoten bezeichnen kann, zu dem ſich
die Regungen des Liebeslebens und die Regungen des Schönheits¬
ſinnes notwendig eines Tages verſchlingen mußten.

[Abbildung]

Die Empfindung für hübſche Farben und Formen begann
eine Rolle zu ſpielen bei der Wahl innerhalb der Liebe.

Bei unſeren liebenden Paradieſiern herrſchten im weſent¬
lichen Verhältniſſe wie bei der Mehrzahl der übrigen Vögel.
Es gab im allgemeinen ſtets mehr Männlein als Weiblein.
Die Folge davon pflegt bei den Vögeln eine doppelte zu ſein.

Einerſeits iſt jeder Mann froh, wenn er eine Frau über¬
haupt gewonnen hat und wacht eiferſüchtig über ſeiner Ehe,
ſo daß ſich bei dieſen befiederten Liebesleuten thatſächlich in
größter Zahl ganz ehrbar monogamiſche Ehen auf Lebenszeit
finden. Anderſeits aber fühlt ſich das annoch unvermählte
Mägdelein durchweg in der guten Lage, unter einem ganzen
Heer liebenswürdiger Bewerber den ausſuchen zu können,
der ihr am liebſten ſcheint.

In der poſſierlichſten Weiſe beobachtet man, wie die
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[377/0393] In dieſen Wäldern, wo der preſſende Druck des Daſeins¬ kampfes überhaupt um ein beträchtliches Teil auch in der Nicht¬ liebeszeit heruntergeht! In einem im ganzen fortan faſt ge¬ fahrloſen Leben wird die Liebeszeit jetzt ein dreimal freies und ideales Feſt. Alles in ihr mag ſich bis zur Neige aus¬ leben: alſo auch die Freude an der ſchönen Farbe und Form. Äußerſt ſeltſam aber: ſobald hier einmal offenſte Bahn für alle Wirkungen geſchaffen iſt, erſcheint es geradezu undenkbar, daß nicht auch folgendes eingetreten ſein ſollte. Etwas, was man gleichſam als einen Knoten bezeichnen kann, zu dem ſich die Regungen des Liebeslebens und die Regungen des Schönheits¬ ſinnes notwendig eines Tages verſchlingen mußten. [Abbildung] Die Empfindung für hübſche Farben und Formen begann eine Rolle zu ſpielen bei der Wahl innerhalb der Liebe. Bei unſeren liebenden Paradieſiern herrſchten im weſent¬ lichen Verhältniſſe wie bei der Mehrzahl der übrigen Vögel. Es gab im allgemeinen ſtets mehr Männlein als Weiblein. Die Folge davon pflegt bei den Vögeln eine doppelte zu ſein. Einerſeits iſt jeder Mann froh, wenn er eine Frau über¬ haupt gewonnen hat und wacht eiferſüchtig über ſeiner Ehe, ſo daß ſich bei dieſen befiederten Liebesleuten thatſächlich in größter Zahl ganz ehrbar monogamiſche Ehen auf Lebenszeit finden. Anderſeits aber fühlt ſich das annoch unvermählte Mägdelein durchweg in der guten Lage, unter einem ganzen Heer liebenswürdiger Bewerber den ausſuchen zu können, der ihr am liebſten ſcheint. In der poſſierlichſten Weiſe beobachtet man, wie die eifrigen Werber ſich der Vielumworbenen vorſtellen, ihre Reize vor ihr entfalten und irgendwie ſich als der Begehrenswerteſte

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/393>, abgerufen am 11.05.2024.