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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Dimension gleichsam aller seiner Stimmungen an, ist für eine
mehr oder minder kurze Rauschzeit Bürger einer Welt, die
himmelhoch über der gewöhnlichen Lebenssorge steht. Es greift
etwas in ihm hinaus über das einzelne Individium: das
besondere Leben der Gattung, das über Generationen, über
Jahrtausende wandelt. Ich sagte dir schon: es ist seine
religiöse Zeit. Doch lassen wir jede Definition fort. Die
Hauptsache: es tritt eine Entlastung von der gewöhnlichen
Lebenssorge durch das seelische Ungestüm der Liebesempfindungen
ein. Und folgerichtig: im gleichen Augenblick erheben sich,
vom Druck vorübergehend mehr entlastet, die ästhetischen Em¬
pfindungen.

Die Zeit der Liebesgefühle wird zugleich eine Zeit des be¬
freiten ästhetischen Innenlebens, -- eine Zeit der Schönheit.

An einer Stelle kennt diesen Zusammenhang geradezu jedes
Kind: beim Gesang der Vögel. Die rhythmischen Klänge des
Vogelgesanges, die unser verwöhntes Menschenohr nicht weniger
entzücken, wie das Farbenkleid des Paradiesvogels unser Auge
begeistert, sind Liebeslieder, Lieder der Liebeszeit. Aber auch
jener mehr malerische Sinn für schöne Farben und Formen,
wie ihn der Laubenvogel bethätigt, lebt sich recht eigentlich aus
in dieser Liebeszeit.

Und unsere Paradiesvögel, dürfen wir wohl annehmen,
werden ganz in derselben Weise schon in der Zeit, als sie
noch als unscheinbar gefärbte Krähen im herben Daseinskämpfe
standen, allemal ihre lebhafteste "Kunstzeit" mit Freude an
Bauten und Hübschem in der Rauschzeit ihrer Liebe gehabt
haben. Mann und Weib mögen in diesen Tagen, wie es
einige Arten heute noch thun, geradezu nach dem Brauche der
Laubenvögel auch ihr Liebesversteck mit lustigen roten Blumen
geschmückt haben wie ein Paar verliebter Schäfer, die sich mit
Rosen bekränzen.

Diesen Paradiesiern aber glückt es jetzt, sich in den Neu-
Guinea-Wäldern festzusetzen.

Dimenſion gleichſam aller ſeiner Stimmungen an, iſt für eine
mehr oder minder kurze Rauſchzeit Bürger einer Welt, die
himmelhoch über der gewöhnlichen Lebensſorge ſteht. Es greift
etwas in ihm hinaus über das einzelne Individium: das
beſondere Leben der Gattung, das über Generationen, über
Jahrtauſende wandelt. Ich ſagte dir ſchon: es iſt ſeine
religiöſe Zeit. Doch laſſen wir jede Definition fort. Die
Hauptſache: es tritt eine Entlaſtung von der gewöhnlichen
Lebensſorge durch das ſeeliſche Ungeſtüm der Liebesempfindungen
ein. Und folgerichtig: im gleichen Augenblick erheben ſich,
vom Druck vorübergehend mehr entlaſtet, die äſthetiſchen Em¬
pfindungen.

Die Zeit der Liebesgefühle wird zugleich eine Zeit des be¬
freiten äſthetiſchen Innenlebens, — eine Zeit der Schönheit.

An einer Stelle kennt dieſen Zuſammenhang geradezu jedes
Kind: beim Geſang der Vögel. Die rhythmiſchen Klänge des
Vogelgeſanges, die unſer verwöhntes Menſchenohr nicht weniger
entzücken, wie das Farbenkleid des Paradiesvogels unſer Auge
begeiſtert, ſind Liebeslieder, Lieder der Liebeszeit. Aber auch
jener mehr maleriſche Sinn für ſchöne Farben und Formen,
wie ihn der Laubenvogel bethätigt, lebt ſich recht eigentlich aus
in dieſer Liebeszeit.

Und unſere Paradiesvögel, dürfen wir wohl annehmen,
werden ganz in derſelben Weiſe ſchon in der Zeit, als ſie
noch als unſcheinbar gefärbte Krähen im herben Daſeinskämpfe
ſtanden, allemal ihre lebhafteſte „Kunſtzeit“ mit Freude an
Bauten und Hübſchem in der Rauſchzeit ihrer Liebe gehabt
haben. Mann und Weib mögen in dieſen Tagen, wie es
einige Arten heute noch thun, geradezu nach dem Brauche der
Laubenvögel auch ihr Liebesverſteck mit luſtigen roten Blumen
geſchmückt haben wie ein Paar verliebter Schäfer, die ſich mit
Roſen bekränzen.

Dieſen Paradieſiern aber glückt es jetzt, ſich in den Neu-
Guinea-Wäldern feſtzuſetzen.

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[376/0392] Dimenſion gleichſam aller ſeiner Stimmungen an, iſt für eine mehr oder minder kurze Rauſchzeit Bürger einer Welt, die himmelhoch über der gewöhnlichen Lebensſorge ſteht. Es greift etwas in ihm hinaus über das einzelne Individium: das beſondere Leben der Gattung, das über Generationen, über Jahrtauſende wandelt. Ich ſagte dir ſchon: es iſt ſeine religiöſe Zeit. Doch laſſen wir jede Definition fort. Die Hauptſache: es tritt eine Entlaſtung von der gewöhnlichen Lebensſorge durch das ſeeliſche Ungeſtüm der Liebesempfindungen ein. Und folgerichtig: im gleichen Augenblick erheben ſich, vom Druck vorübergehend mehr entlaſtet, die äſthetiſchen Em¬ pfindungen. Die Zeit der Liebesgefühle wird zugleich eine Zeit des be¬ freiten äſthetiſchen Innenlebens, — eine Zeit der Schönheit. An einer Stelle kennt dieſen Zuſammenhang geradezu jedes Kind: beim Geſang der Vögel. Die rhythmiſchen Klänge des Vogelgeſanges, die unſer verwöhntes Menſchenohr nicht weniger entzücken, wie das Farbenkleid des Paradiesvogels unſer Auge begeiſtert, ſind Liebeslieder, Lieder der Liebeszeit. Aber auch jener mehr maleriſche Sinn für ſchöne Farben und Formen, wie ihn der Laubenvogel bethätigt, lebt ſich recht eigentlich aus in dieſer Liebeszeit. Und unſere Paradiesvögel, dürfen wir wohl annehmen, werden ganz in derſelben Weiſe ſchon in der Zeit, als ſie noch als unſcheinbar gefärbte Krähen im herben Daſeinskämpfe ſtanden, allemal ihre lebhafteſte „Kunſtzeit“ mit Freude an Bauten und Hübſchem in der Rauſchzeit ihrer Liebe gehabt haben. Mann und Weib mögen in dieſen Tagen, wie es einige Arten heute noch thun, geradezu nach dem Brauche der Laubenvögel auch ihr Liebesverſteck mit luſtigen roten Blumen geſchmückt haben wie ein Paar verliebter Schäfer, die ſich mit Roſen bekränzen. Dieſen Paradieſiern aber glückt es jetzt, ſich in den Neu- Guinea-Wäldern feſtzuſetzen.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/392>, abgerufen am 22.11.2024.