zwischen Schön und Häßlich bedeutet), bei diesen alten und niedrigeren Tierformen wie dem Igel (der an sich gar nicht mehr für Schön oder Häßlich in Betracht kommt) schon ganz verwischt sei.
Die feine Individualisierung etwa in Frauenantlitz und Mannesantlitz wäre eben bloß erst eine Entwickelungs-Errungen¬ schaft des Menschen, und der Igel mit seiner Igel-Frau, die der Hase für den Igel-Mann hält, weil sie ihm aufs Haar gleicht, stellte uns noch die ursprüngliche, rohe Grundlage vor Augen -- gleichsam den groben Marmorblock, aus dem erst höhere Geistesentfaltung jenen prachtvollen Doppelstern von Weibesschöne und Mannesschöne herausmeißeln sollte.
Klingt hübsch -- und ist verkehrt über alle Maßen.
Mann und Weib sind schon tief, tief unten im Tierreich in tausend und abertausend Fällen so grundverschieden von einander, daß selbst der geistig und leiblich blindeste Hase sie nicht mehr mit einander verwechseln könnte. Und der Igel ist, alle seine Rolle in der edelsten Ahnentafel der Natur zuge¬ standen, nicht das maßgebende Beispiel für die ältere Tierschaft, sondern eine echte und rechte Ausnahme. Schon bei ganz, ganz niedrig stehenden Geschöpfen steigert sich die Verschieden¬ heit der Geschlechter zu Extremen, gegen die unsere menschlichen Verhältnisse igelartig harmlos werden. Erinnere dich nur allein an den grünen Wurm Bonellia, bei dem die Größen¬ verhältnisse zwischen Mann und Frau differieren, wie zwanzig Zentimeter zu ein bis zwei Millimetern; die Zwergmännlein wohnen als winzige Schmarotzer im Leibe ihrer Riesendame.
Nun ist ja ein ein solcher unappetitlicher Wurm wie die Bonellia an sich gewiß noch viel weiter entfernt von jedem ästhetischen Vergleich, als Herr und Frau Swinegel in ihrer Ackerfurche. Die Frage wird aber wichtig für unsere Schön¬ heitsbetrachtung, wie sich in dieser Hinsicht jene Tiere ver¬ halten, von denen wir uns gestanden, daß sie unzweifelhaft "schön" seien.
zwiſchen Schön und Häßlich bedeutet), bei dieſen alten und niedrigeren Tierformen wie dem Igel (der an ſich gar nicht mehr für Schön oder Häßlich in Betracht kommt) ſchon ganz verwiſcht ſei.
Die feine Individualiſierung etwa in Frauenantlitz und Mannesantlitz wäre eben bloß erſt eine Entwickelungs-Errungen¬ ſchaft des Menſchen, und der Igel mit ſeiner Igel-Frau, die der Haſe für den Igel-Mann hält, weil ſie ihm aufs Haar gleicht, ſtellte uns noch die urſprüngliche, rohe Grundlage vor Augen — gleichſam den groben Marmorblock, aus dem erſt höhere Geiſtesentfaltung jenen prachtvollen Doppelſtern von Weibesſchöne und Mannesſchöne herausmeißeln ſollte.
Klingt hübſch — und iſt verkehrt über alle Maßen.
Mann und Weib ſind ſchon tief, tief unten im Tierreich in tauſend und abertauſend Fällen ſo grundverſchieden von einander, daß ſelbſt der geiſtig und leiblich blindeſte Haſe ſie nicht mehr mit einander verwechſeln könnte. Und der Igel iſt, alle ſeine Rolle in der edelſten Ahnentafel der Natur zuge¬ ſtanden, nicht das maßgebende Beiſpiel für die ältere Tierſchaft, ſondern eine echte und rechte Ausnahme. Schon bei ganz, ganz niedrig ſtehenden Geſchöpfen ſteigert ſich die Verſchieden¬ heit der Geſchlechter zu Extremen, gegen die unſere menſchlichen Verhältniſſe igelartig harmlos werden. Erinnere dich nur allein an den grünen Wurm Bonellia, bei dem die Größen¬ verhältniſſe zwiſchen Mann und Frau differieren, wie zwanzig Zentimeter zu ein bis zwei Millimetern; die Zwergmännlein wohnen als winzige Schmarotzer im Leibe ihrer Rieſendame.
Nun iſt ja ein ein ſolcher unappetitlicher Wurm wie die Bonellia an ſich gewiß noch viel weiter entfernt von jedem äſthetiſchen Vergleich, als Herr und Frau Swinegel in ihrer Ackerfurche. Die Frage wird aber wichtig für unſere Schön¬ heitsbetrachtung, wie ſich in dieſer Hinſicht jene Tiere ver¬ halten, von denen wir uns geſtanden, daß ſie unzweifelhaft „ſchön“ ſeien.
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zwiſchen Schön und Häßlich bedeutet), bei dieſen alten und
niedrigeren Tierformen wie dem Igel (der an ſich gar nicht
mehr für Schön oder Häßlich in Betracht kommt) ſchon ganz
verwiſcht ſei.
Die feine Individualiſierung etwa in Frauenantlitz und
Mannesantlitz wäre eben bloß erſt eine Entwickelungs-Errungen¬
ſchaft des Menſchen, und der Igel mit ſeiner Igel-Frau, die
der Haſe für den Igel-Mann hält, weil ſie ihm aufs Haar
gleicht, ſtellte uns noch die urſprüngliche, rohe Grundlage vor
Augen — gleichſam den groben Marmorblock, aus dem erſt
höhere Geiſtesentfaltung jenen prachtvollen Doppelſtern von
Weibesſchöne und Mannesſchöne herausmeißeln ſollte.
Klingt hübſch — und iſt verkehrt über alle Maßen.
Mann und Weib ſind ſchon tief, tief unten im Tierreich
in tauſend und abertauſend Fällen ſo grundverſchieden von
einander, daß ſelbſt der geiſtig und leiblich blindeſte Haſe ſie
nicht mehr mit einander verwechſeln könnte. Und der Igel iſt,
alle ſeine Rolle in der edelſten Ahnentafel der Natur zuge¬
ſtanden, nicht das maßgebende Beiſpiel für die ältere Tierſchaft,
ſondern eine echte und rechte Ausnahme. Schon bei ganz,
ganz niedrig ſtehenden Geſchöpfen ſteigert ſich die Verſchieden¬
heit der Geſchlechter zu Extremen, gegen die unſere menſchlichen
Verhältniſſe igelartig harmlos werden. Erinnere dich nur
allein an den grünen Wurm Bonellia, bei dem die Größen¬
verhältniſſe zwiſchen Mann und Frau differieren, wie zwanzig
Zentimeter zu ein bis zwei Millimetern; die Zwergmännlein
wohnen als winzige Schmarotzer im Leibe ihrer Rieſendame.
Nun iſt ja ein ein ſolcher unappetitlicher Wurm wie die
Bonellia an ſich gewiß noch viel weiter entfernt von jedem
äſthetiſchen Vergleich, als Herr und Frau Swinegel in ihrer
Ackerfurche. Die Frage wird aber wichtig für unſere Schön¬
heitsbetrachtung, wie ſich in dieſer Hinſicht jene Tiere ver¬
halten, von denen wir uns geſtanden, daß ſie unzweifelhaft
„ſchön“ ſeien.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/380>, abgerufen am 22.11.2024.
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